Entscheidungsstichwort (Thema)
Formerfordernisse eines formularmäßigen Bescheides
Leitsatz (NV)
1. Formularmäßige Bescheide, bei denen Unterschrift und Namenswiedergabe des Behördenleiters fehlen können, sind Bescheide, für die ein Formular verwendet wird, das ausgefüllt werden kann, aber nicht wesentlich abgeändert werden darf.
2. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, daß der Mangel der Unterschrift nicht zur Nichtigkeit des Bescheides führt.
3. § 127 AO 1977 schließt nicht die Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts schlechthin aus. Die Vorschrift besagt nur, daß die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO 1977 nichtig ist, dann nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er u. a. unter Verletzung von Vorschriften über die Form zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
4. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, daß die Nacherhebung - auch wenn die Nachsteuer identisch ist mit derjenigen Steuer, welche ohne die materiell vorläufige Freistellung entstanden wäre - verfahrensrechtlich einen gesonderten Steuerfall bildet. Die Anwendung des § 176 AO 1977 bezüglich des Nacherhebungsbescheides ist damit ausgeschlossen.
5. Zur Verwirkung bei Erlaß einer Unbedenklichkeitsbescheinigung und eines Freistellungsbescheides.
6. Die Bezeichnung der geltend gemachten Abweichung von einer Entscheidung des BFH verlangt, daß in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze sowohl der angegriffenen Entscheidung des FG als auch der Divergenzentscheidung so genau dargestellt sind, daß eine Abweichung erkennbar ist.
Normenkette
AO 1977 § 119 Abs. 3-4, §§ 125, 127, 176; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist - soweit sie zulässig ist - unbegründet.
1. Soweit die Beschwerdeschrift die grundsätzliche Bedeutung der Sache darin sieht, ob ein Steuerbescheid, der unter Verwendung eines Formulars handschriftlich ausgefüllt wurde, formularmäßig i. S. des § 119 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) erlassen worden sei, oder ob nicht in solchen Fällen die Beweis- und Garantiefunktion des § 119 Abs. 3 AO 1977 gefordert sei, ist die Beschwerde mangels Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) unzulässig. Es fehlt bereits die insoweit erforderliche Auseinandersetzung mit der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluß vom 26. November 1986 II B 112/86, BFH/NV 1988, 304). In seiner Entscheidung vom 18. Juli 1985 VI R 41/81 (BFHE 144, 240, BStBl II 1986, 169) hat der Bundesfinanzhof (BFH) ausgeführt, formularmäßig ergingen Bescheide, für die ein Formular verwendet wird, das ausgefüllt werden kann, aber nicht wesentlich abgeändert werden darf. In ähnlicher Weise hat sich der BFH in seinem Urteil vom 28. April 1987 VIII R 353/83 (BFH/NV 1988, 3) geäußert und hinzugefügt, der Formularmäßigkeit stehe nicht entgegen, wenn kurze Erläuterungen in dem dafür auf dem auf den Fall passenden Formular vorgesehenen Freiraum hinzugesetzt würden.
2. Soweit die Beschwerde ausführt, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob ein Verstoß gegen § 119 Abs. 3 AO 1977 zur Rechtswidrigkeit, zur Nichtigkeit oder zur Sanktionslosigkeit führe, zumal der BFH einerseits (Urteil in BFHE 144, 240, BStBl II 1986, 169) die fehlende Unterschrift wegen § 127 AO 1977 für unbeachtlich erklärt habe, andererseits (Urteil vom 26. Juli 1989 X R 42/86, BFH/NV 1990, 345) angedeutet habe, daß die fehlende Unterschrift zur Anfechtbarkeit führe, und schließlich der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 5. Dezember 1984 II R 25/83 (nicht veröffentlicht - NV -) ausgesprochen habe, ein Verstoß gegen § 119 Abs. 3 AO 1977 führe nicht zur Nichtigkeit, während das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12. November 1980 V 50/79, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 322, aufgehoben durch das o. a. BFH-Urteil in BFHE 144, 240, BStBl II 1986, 169) ebenso wie der Bundesgerichtshof - BGH - (Urteil vom 16. März 1984 RiZ [R] 6/83, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 2533) das Fehlen der Unterschrift als schweren, offensichtlichen und zur Nichtigkeit führenden Mangel angesehen hätten, ist die Beschwerde unbegründet. Der BGH hat in dem angeführten Urteil lediglich entschieden, daß ein Verwaltungsakt nicht deshalb nach § 37 Abs. 3 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - BayVwVfG - (entspricht wörtlich § 119 Abs. 3 AO 1977) nichtig sei, weil die bei den Akten verbliebene Urschrift lediglich mit einer Paraphe des für den Erlaß des Verwaltungsaktes Verantwortlichen unterzeichnet ist. Durch die Urteile des BFH ist auch geklärt, daß der Mangel der Unterschrift nicht zur Nichtigkeit des Bescheides führt. Im übrigen weichen die genannten Entscheidungen voneinander nicht ab. Denn § 127 AO 1977 schließt nicht die Anfechtbarkeit des Verwaltungsaktes schlechthin aus. Die Vorschrift besagt vielmehr lediglich, daß die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO 1977 nichtig ist, dann nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er u. a. unter Verletzung von Vorschriften über die Form zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Die damit in Zusammenhang stehende Frage, ob § 127 AO 1977 auch für das finanzgerichtliche Verfahren von Bedeutung ist, ist durch die Rechtsprechung bereits geklärt (vgl. Urteile des BFH vom 2. Juli 1980 I R 74/77, BFHE 131, 180, BStBl II 1980, 684 - grundlegend -; vom 22. September 1983 IV R 109/83, BFHE 140, 132, BStBl II 1984, 342 sowie vom 19. Februar 1987 IV R 143/84, BFHE 149, 121, BStBl II 1987, 412, und Beschluß vom 14. September 1989 IV S 2/89, BFH/NV 1990, 311, m. w. H. auch auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG -).
3. Unzulässig ist die Beschwerde, soweit in ihr ausgeführt wird, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob jeder Verstoß gegen die aus § 121 Abs. 1 AO 1977 folgende Begründungspflicht zur Heilungsmöglichkeit nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 führe, oder nicht seinerseits Nichtigkeit bewirke. Insoweit fehlt es zumindest an der zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung erforderlichen Auseinandersetzung mit der vorhandenen Rechtsprechung, nämlich beispielsweise mit dem Urteil des BFH vom 25. Oktober 1989 X R 51/88 (BFH/NV 1990, 502).
4. Jedenfalls unbegründet ist die Beschwerde soweit ausgeführt wird, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob der gesamte Bereich der Freistellungsbescheide für den Fall des nachträglichen Erlasses von Grunderwerbsteuer(nacherhebungs)bescheiden ,,aus dem Regelungsbereich des § 176 AO 1977 herausgenommen sei". Denn seit den Entscheidungen des erkennenden Senats vom 14. August 1974 II R 73/68 (BFHE 113, 573, BStBl II 1975, 219) und vom 14. März 1979 II R 97/78 (BFHE 127, 554, BStBl II 1979, 526) ist geklärt, daß die Nacherhebung - auch wenn die Nachsteuer identisch ist mit derjenigen Steuer, welche ohne die materiell vorläufige Freistellung entstanden wäre - verfahrensrechtlich einen gesonderten Steuerfall bildet. Damit aber ist die Anwendung des § 176 AO 1977, einer Vorschrift, die allein den Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden gewährleistet, ausgeschlossen. Die Frage ist also eindeutig aus dem Gesetz zu beantworten.
5. Unschlüssig ist die Beschwerde, soweit mit ihr vorgetragen wird, grundsätzliche Bedeutung komme auch der Rechtsfrage zu, ,,ob Vertrauen des Steuerbürgers im Hinblick auf die Frage der Verwirkung sich innerhalb der Verwendungsfrist nicht begründen könne oder ob nicht umgekehrt die Vertrauensfrage unabhängig von der Verwendungsfrist davon abhängig gemacht werden muß, daß und was die Finanzverwaltung positiv veranlaßt hat, um einen Vertrauensbestand beim Steuerbürger zu begründen". Verwirkung bedeutet, daß ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Angesprochen ist vermutlich der Vertrauensgrundsatz, der zu den Grundsätzen von Treu und Glauben gehört, deren Anwendung regelmäßig ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem Schutzbedürftigen und der Verwaltungsbehörde erfordert, weil sich eine Vertrauenssituation nur in einem solchen Verhältnis bilden kann (vgl. BFH-Urteil vom 13. Mai 1987 VII R 37/84, BFHE 150, 108, BStBl II 1987, 606, m. w. N.). Damit aber können weder die gesetzliche Förderung des Wohnungsbaues durch Grunderwerbsteuerbefreiung, noch die Erteilung eines Anerkennungsbescheides durch die dazu zuständige Behörde der Inneren Verwaltung, noch der zitierte Erlaß eine Vertrauenssituation herbeigeführt haben. Die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung sowohl wie der Erlaß eines Freistellungsbescheides aufgrund des entsprechenden Antrags des Erwerbers sind als Folge dieses Antrags nach den dem Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG NW) zugrunde liegenden Rechtsgedanken nicht geeignet, für sich einen Vertrauensbestand zu begründen.
6. Auch soweit die Beschwerde die Zulassung der Revision wegen Divergenz begehrt, ist sie unzulässig. Die Notwendigkeit, die Entscheidung des BFH zu ,,bezeichnen" (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) verlangt, daß in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze sowohl der angegriffenen Entscheidung des FG als auch der Divergenzentscheidung so genau dargestellt sind, daß eine Abweichung erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 29. Juni 1987 X B 26/87, BFH/NV 1988, 239). Diesem Erfordernis ist nicht dadurch genügt, daß ausgeführt wird, das finanzgerichtliche Urteil lasse nicht erkennen, ob und inwieweit das FG in seiner eigenen Entscheidung sich an den Maßstäben der Urteile des BFH vom 17. September 1986 II R 62/84 (BFH/NV 1987, 738) und vom 5. Juli 1988 VII R 142/84 (BFH/NV 1990, 69) orientiert.
7. Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, das finanzgerichtliche Urteil verstoße gegen das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auf rechtliches Gehör, wird im Ergebnis Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers - Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO - begehrt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde insoweit schlüssig ist; sie ist jedenfalls unbegründet. Denn das FG hat sich in den Gründen der angefochtenen Entscheidung mit den im Verfahren erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen, die es für nicht stichhaltig hielt, über mehrere Seiten hin beschäftigt und damit deutlich erkennbar gemacht, daß es die diesbezüglichen Rechtsausführungen nicht nur zur Kenntnis, sondern auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 1989 1 BvR 674/89, Wertpapier-Mitteilungen / Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1990, 152) verarbeitet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 418240 |
BFH/NV 1992, 788 |