Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält daran fest, daß die Fortschreibung des Einheitswerts eines Grundstücks wegen Flächenänderung und aus anderen Gründen selbständig nebeneinander bestehende Fälle der Wertfortschreibung sind, deren Voraussetzungen getrennt zu prüfen sind. Bei der Durchführung einer Wertfortschreibung, für die die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG gegeben sind, müssen jedoch alle Umstände berücksichtigt werden, die den Wert seit der letzten Feststellung verändert haben.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 22 Abs. 1 Nr. 1; ÄndG-BewG 1965 Art. 2 Abs. 4

 

Tatbestand

Die Kläger erwarben 1967 ein unbebautes Grundstück mit einer Fläche von 520 qm, für das zuletzt zum 1. Januar 1957 ein Einheitswert von 800 DM festgestellt worden war. Damals hatte das Grundstück eine Fläche von 557 qm. 37 qm der Grundstücksfläche hat der Voreigentümer der Kläger an die Stadt X. für Straßenbauzwecke veräußert. Dieser Flächenabgang führte zu keiner Wertfortschreibung.

Im Jahre 1968 errichteten die Kläger auf dem Grundstück ein Einfamilienhaus. Das FA (Beklagter und Revisionskläger) führte zum 1. Januar 1969 eine Wertfortschreibung auf 10 300 DM durch. Es ging dabei weiterhin von einer Fläche von 557 qm aus, weil durch den Flächenabgang von 37 qm die Fortschreibungsgrenze für die besondere Wertfortschreibung wegen Flächenveränderungen nicht erreicht wurde.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Auf die Klage hob das FG die Einspruchsentscheidung auf und änderte den Einheitswertbescheid dahingehend ab, daß zum 1. Januar 1969 entsprechend der tatsächlichen Grundstücksfläche von 520 qm ein Einheitswert von 10 200 DM festgestellt wird. Zur Begründung seiner Entscheidung bezieht sich das FG u. a. auf die in den EFG 1969, 480 veröffentlichte Entscheidung des FG München.

Die Revision des FA rügt, das FG habe § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG unrichtig angewendet. Nach der Rechtsprechung des BFH ständen die beiden Möglichkeiten der Wertfortschreibungen völlig selbständig nebeneinander. Bei jeder sei getrennt zu prüfen, ob ihre Voraussetzungen vorlägen. Das habe das FG nicht getan.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen die Revision als unbegründet zurückzuzweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die vom FG zugelassene Revision ist unbegründet.

Rechtsgrundlage für die Fortschreibung des Einheitswerts für das Grundstück der Kläger zum 1. Januar 1967 ist § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG unter Berücksichtigung der erhöhten Wertgrenzen des Art. 2 Abs. 4 ÄndG-BewG 1965 vom 13. August 1965 (BGBl I 1965, 851, BStBl I 1965, 375). Satz 1 dieser Vorschrift verlangt für eine Wertfortschreibung auf Feststellungszeitpunkte ab 1. Januar 1966, daß der sich für einen bestimmten Feststellungszeitpunkt ergebende Wert von dem zuletzt festgestellten Einheitswert entweder um mehr als 1/4, mindestens aber um 3 000 DM, oder um mehr als 200 000 DM abweicht. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BewG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 4 ÄndG-BewG 1965 ist eine Fortschreibung auch möglich, wenn bei einer wirtschaftlichen Einheit die Grundfläche verkleinert oder vergrößert wird und der neue Wert um mindestens 1 000 DM von dem zuletzt festgestellten Einheitswert abweicht.

Der Senat hat mit Urteil III 99/64 U vom 9. Oktober 1964 (BFH 80, 458, BStBl III 1964, 640) entschieden, daß die Wertfortschreibung wegen Flächenänderung ein selbständiger Sonderfall der Wertfortschreibung sei, bei dem die Wertänderungen infolge Flächenzugangs oder -abgangs für sich allein und unter Ausschluß sonstiger Fortschreibungsgründe zu betrachten seien. Falls die Wertänderung infolge der Flächenveränderung allein die Mindestgrenze von nunmehr 1 000 DM erreiche, sei die Fortschreibung durchzuführen. Bei dieser Fortschreibung sei nur die Flächenveränderung zu berücksichtigen; sonstige Fortschreibungsgründe müßten außer Betracht bleiben. Der Senat hat diese Auffassung in der Entscheidung III 99/64 U (a. a. O.) insbesondere auf den Zweck der Vorschrift gestützt, der darin liege, eine doppelte Besteuerung derselben Grundstücksfläche weitestgehend zu vermeiden. Damals brauchte nicht dazu Stellung genommen zu werden, ob bei einer Wertforschreibung aus anderen Gründen als einer Flächenveränderung auch Flächenabgänge und -zugänge mitberücksichtigt werden dürfen.

Der Senat hat allerdings in dem amtlich nicht zur Veröffentlichung bestimmten Urteil III 385/61 vom 5. März 1965 (HFR 1966, 88) entschieden, daß die Wertfortschreibung aus derartigen allgemeinen Gründen (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG) und die Wertfortschreibung wegen Flächenveränderungen (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BewG) zwei völlig selbständig nebeneinander stehende Möglichkeiten der Wertfortschreibung seien. Für jede sei getrennt zu prüfen, ob ihre Voraussetzungen gegeben seien. Bei der Wertfortschreibung nach Satz 1 komme es darauf an, ob Wertänderungen vorlägen, die die Wertgrenzen des Satzes 1 überschritten. Werterhöhungen infolge Änderungen des Gebäudebestandes dürften nicht mit Wertminderungen infolge Flächenverkleinerung saldiert werden.

Das FG ist zu Unrecht der Meinung, es sei von letzterer Entscheidung abgewichen. Der Senat hat zwar damals den Rechtsstandpunkt eingenommen, daß die beiden Fortschreibungsmöglichkeiten des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG völlig selbständig nebeneinander stehen. Deshalb seien auch die Voraussetzungen für die beiden Fortschreibungsmöglichheiten getrennt zu prüfen. Bei dieser Prüfung der Fortschreibungsvoraussetzungen ist eine Saldierung von Wertänderungen wegen Flächenabgängen oder -zugängen mit Wertänderungen aus anderen Gründen nicht möglich. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest. Das FG hat aber nicht beachtet, daß zwischen den Fortschreibungsvoraussetzungen und zwischen der Durchführung einer Fortschreibung, für die die Voraussetzungen gegeben sind, unterschieden werden muß. Dies bedeutet, daß bei einer Wertänderung aus anderen Gründen als Flächenveränderungen die Frage, ob die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG erreicht bzw. überschritten sind, nur auf Grund dieser Wertänderungen aus anderen Gründen beantwortet werden kann. Sind die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt, so steht fest, daß die Wertfortschreibung durchzuführen ist. Bei der Durchführung dieser Wertfortschreibung nach Satz 1 sind allerdings alle den Einheitswert beeinflussenden Umstände für die Ermittlung des neu festzustellenden Einheitswerts zu berücksichtigen, also auch Flächenveränderungen, die für sich allein die Voraussetzung für eine Fortschreibung nach Satz 2 des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG nicht erfüllen. Das FG hat deshalb zu Recht bei der Fortschreibung des zuletzt festgestellten Einheitswerts auf Grund von Werterhöhungen aus anderen Gründen als Flächenabgängen und -zugängen, die für sich die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG erfüllen, auch die Flächenabgänge mitberücksichtigt, die bisher zu keiner Wertfortschreibung führen konnten, weil die besondere Wertgrenze des Satzes 2 für Flächenveränderungen nicht erreicht wurde. Diese Handhabung hat der Senat schon im Urteil III 385/61 (a. a. O.) gebilligt. Damals betrug der zuletzt festgestellte Einheitswert 89 500 DM. Durch die Änderung des Gebäudebestandes erhöhte sich der Wert um 17 116 DM. Damit waren die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG erfüllt. Der Senat hat es gebilligt, daß bei der Durchführung dieser Wertfortschreibung Flächenabgänge, die zu einer Wertminderung von 9 675 DM führten, mitberücksichtigt wurden, so daß sich ein neu festzustellender Einheitswert von 96 900 DM ergab. Die Wertdifferenz zwischen dem zuletzt festgestellten Einheitswert von 89 500 DM und dem fortgeschriebenen Einheitswert von 96 900 DM erfüllte nicht mehr die nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BewG erforderliche Wertabweichung. Hierauf kam es aber nicht an, weil dieses Ergebnis erst im Zuge der Durchführung einer Fortschreibung auftrat, deren Voraussetzungen bei getrennter Betrachtung der Fortschreibungsmöglichkeiten gegeben waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425922

BStBl II 1972, 164

BFHE 1972, 142

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