Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG ist keine sachliche Steuerbefreiungsvorschrift, die bei der Ermittlung der Lohnsumme nach § 24 Abs. 2 GewStG in seiner vor dem 1. Januar 1968 geltenden Fassung zu berücksichtigen ist.
Normenkette
GewStG 1965 § 24 Abs. 2; EStG § 19 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Berechnung der steuerpflichtigen Lohnsumme der Arbeitnehmerfreibetrag aus § 19 Abs. 2 EStG von den Arbeitslöhnen abgesetzt werden kann. Entgegen der Auffassung der Klägerin und Revisionsbeklagten hatte der Beklagte und Revisionskläger (das FA) den Freibetrag nicht von den Arbeitslöhnen abgesetzt. Die gemäß § 45 FGO unmittelbar zum FG erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG führte aus:
Nach § 24 Abs. 2 GewStG in der für den streitigen Erhebungszeitraum (1967) geltenden Fassung seien unter Vergütungen - von bestimmten im Gesetz genannten Ausnahmen abgesehen - die Arbeitslöhne im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu verstehen, "soweit sie nicht durch andere Rechtsvorschriften von der Lohnsteuer befreit sind". Nachdem mit Wirkung vom 1. Januar 1965 durch das StÄndG 1964 (BStBl I 1964, 553) die Vorschrift des § 19 EStG u. a. dahin erweitert worden sei, daß bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vor Abzug der Werbungskosten (§§ 9, 9a Nr. 1 EStG) ein Betrag von 240 DM jährlich, höchstens jedoch ein Betrag in Höhe der Einnahmen, abzuziehen sei (Arbeitnehmerfreibetrag: § 19 Abs. 2 EStG), sei streitig, ob § 19 Abs. 2 EStG den Charakter einer Rechtsvorschrift oder vielmehr den einer Tarifvorschrift habe, da der Arbeitnehmerfreibetrag gemäß § 39 Abs. 1 EStG in die Jahreslohnsteuertabelle eingearbeitet worden sei.
Ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 24 Abs. 2 GewStG seien angesichts des Charakters der Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG als einer Rechtsvorschrift (Hinweis auch auf Abschn. 5 Abs. 1 EStR 1967, woselbst die Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG als eine Steuerbefreiungsvorschrift bezeichnet werde) die Arbeitslöhne um den Arbeitnehmerfreibetrag zu kürzen. Die Behandlung des Arbeitnehmerfreibetrages entspreche damit der des Weihnachtsfreibetrages, der der Lohnsumme nicht zugerechnet werde (Abschn. 103 Abs. 2 GewStR 1966). Die mit dem Gesetz zur Änderung des GewStG vom 10. Januar 1968 (BStBl I 1968, 285) mit Wirkung vom 1. Januar 1968 eingeführte Vorschrift des § 24 Abs. 2 Satz 2 GewStG, nach der bei der Ermittlung der Lohnsumme § 19 Abs. 2 EStG nicht anzuwenden ist, stelle nach Ansicht des FG eine Rechtsänderung dar. Es könne nicht von der Hand gewiesen werden, daß bei Einführung der Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG ihre Auswirkung auf die Gewerbesteuer übersehen worden sei. Demgegenüber sei der Hinweis auf die Einarbeitung des Arbeitnehmerfreibetrages in die Lohnsteuertabelle (Erlaß des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 17. Februar 1967, BStBl II 1967, 59), mit dem der Charakter der Vorschrift als einer Tarifvorschrift belegt werden solle, nicht überzeugend.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte, vom FG zugelassene Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt das FA vor:
Wie aus der Gesetzesbegründung hervorgehe, diene die Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG als Ausgleich dafür, daß der Lohnsteuerpflichtige (Arbeitnehmer) seine Steuer zeitnäher entrichte als der Veranlagte. Der Arbeitnehmerfreibetrag sei daher in die Jahreslohnsteuertabelle eingearbeitet worden und in den Monats- und Wochenlohnsteuertabellen anteilig berücksichtigt. Daraus folge allein, daß es sich bei der Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG nicht um eine allgemeine Befreiungsvorschrift, sondern lediglich um eine für die Berechnung der Lohnsteuer bedeutsame Tarifvorschrift handle.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Wie der BFH im Beschluß VI B 59/67 vom 22. September 1967 (BFH 90, 253, BStBl II 1968, 37) ausgeführt hat, ist die Frage nach dem Charakter der Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG sowohl von den Finanzbehörden als auch im Schrifttum unterschiedlich beantwortet worden (vgl. auch die Kommentare zum Gewerbesteuergesetz, Blümich-Boyens-Steinbring-Klein-Hübl, 8. Aufl., Anm. 1 zu § 24; Lenski-Steinberg, 1. bis 3. Aufl., Anm. 3, 9 zu § 24; Müthling, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 24). Für die Auffassung des FA spricht das Urteil des erkennenden Senats I 262/54 U vom 28. Februar 1956 (BFH 62, 350, BStBl III 1956, 130), nach dem in die Jahreslohnsteuertabelle eingearbeitete Freibeträge nach dem Familienstand und Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben sowie auf den Lohnsteuerkarten der Arbeitnehmer nach § 41 EStG eingetragene Freibeträge nicht zur Kürzung der steuerpflichtigen Lohnsumme berechtigen. Dieses Urteil macht in seiner Begründung deutlich, daß nicht die Stellung einer Vorschrift im Gesetz, sondern ihr Charakter als einer sachlichen Befreiungs- oder aber Tarifvorschrift für die Abzugsfähigkeit von der Lohnsumme bestimmend ist. Dabei stellte der Senat entscheidend darauf ab, daß ein Eingehen auf die die genannten Freibeträge beeinflussenden persönlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer nicht entspräche.
2. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 EStG bezweckt keine sachliche Steuerbefreiung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bis zur Höhe von 240 DM; sie ist dem Weihnachtsfreibetrag in § 3 Nr. 17 EStG nicht vergleichbar, dessen Berücksichtigung mit 100 DM der Berücksichtigung des Arbeitnehmerfreibetrages mit 240 DM vorgeht. Dies zeigt nach Ansicht des erkennenden Senats weniger die Begründung für ihre Einführung, dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für seine zeitnähere steuerliche Erfassung - verglichen mit dem veranlagten Einkommensteuerpflichtigen - zu geben, als vielmehr der Umstand, daß sie die Ermittlung der Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit betrifft, die er im Kalenderjahr erzielte und die sowohl aus einem wie auch aus mehreren nebeneinander oder nacheinander bestehenden Dienstverhältnissen resultieren können, nicht aber die Lohnzahlung (en) als solche, die für die Berechnung der Lohnsummensteuer bestimmend ist (sind). Anders als § 3 Nr. 17 EStG enthält § 19 Abs. 2 EStG auch keine Regelung darüber, wie bei Vorliegen mehrerer Dienstverhältnisse im gleichen Kalenderjahr zu verfahren ist, was notwendig wäre, wenn der Arbeitnehmerfreibetrag ein echter Steuerfreibetrag und bei Berechnung der Lohnsteuer etwa aus dem ersten von mehreren Dienstverhältnissen zu berücksichtigen wäre.
Wollte man der Klägerin in ihrer Rechtsauffassung folgen, so müßte im Falle des Bestehens mehrerer Dienstverhältnisse im gleichen Kalenderjahr jeder der mehreren Arbeitgeber berechtigt sein, den von ihm gezahlten Arbeitslohn um die in § 19 Abs. 2 EStG genannten 240 DM zu kürzen. Daß diese Folgerung aus § 19 Abs. 2 EStG nicht gezogen werden kann, liegt auf der Hand.
Fundstellen
Haufe-Index 425958 |
BStBl II 1972, 910 |
BFHE 1973, 44 |