Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts
Leitsatz (NV)
Eine Kürzung des nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu berücksichtigenden Insolvenzgelds um sogenannte Vorsorgeaufwendungen ist weder gesetzlich vorgesehen noch aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung geboten.
Normenkette
EStG § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob Lohnersatzleistungen (Insolvenzgeld) auch insoweit dem Progressionsvorbehalt unterliegen, als der Kläger und Revisionskläger (Kläger) davon Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung entrichtet.
Der Kläger war als Diplom-Ingenieur nichtselbständig tätig und hatte sich privat krankenversichert. Im Streitjahr (1999) bezog er Insolvenzgeld nach §§ 183 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von 20 338 DM, das er in Höhe von 5 108 DM an das Versorgungswerk der Architektenkammer und in Höhe von 1 532 DM an seine private Krankenversicherung weitergeleitet hat.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bezog das an den Kläger ausgezahlte Insolvenzgeld in voller Höhe in die Berechnung des besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (Progressionsvorbehalt) ein.
Im Einspruchs- und Klageverfahren machte der Kläger geltend, dass das ausgezahlte Insolvenzgeld aus Gleichheitsgründen nur insoweit dem Progressionsvorbehalt unterworfen werden dürfe, als er es nicht an das Versorgungswerk der Architektenkammer und seine private Krankenversicherung abgeführt habe. Ein pflichtversicherter Arbeitnehmer erhalte als Insolvenzgeld nur sein Nettogehalt vom Arbeitsamt ausgezahlt. Dies sei um die gesetzlichen Sozialbeiträge gekürzt und werde nur in dieser Höhe im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt. Er hingegen müsse seine Sozialversicherungsbeiträge aus "versteuertem" Insolvenzgeld entrichten, so dass er gegenüber einem pflichtversicherten Arbeitnehmer benachteiligt werde.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 518 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG Köln vom 9. November 2006 10 K 1997/02 und die Einspruchsentscheidung des FA vom 14. März 2002 aufzuheben und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1999 --zuletzt vom 9. November 2006-- die Bemessungsgrundlage für die Anwendung des Progressionsvorbehalts um 6 640 DM zu kürzen.
Das FA tritt der Revision --unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils-- entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Die Entscheidung des FG, das im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu berücksichtigende Insolvenzgeld nicht um die vom Kläger geleisteten Beiträge zum Versorgungswerk der Architektenkammer sowie zu der privaten Kranken- und Pflegeversicherung zu kürzen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Hat ein zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtiger Insolvenzgeld bezogen, so ist gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. Der besondere Steuersatz ist nach § 32b Abs. 2 Nr. 1 EStG der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um die Summe der Leistungen nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, soweit dieser nicht bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar ist. Dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nach kann die Summe der Lohnersatzleistungen allein um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag gekürzt werden, sofern jener nicht --wie im Streitfall-- bereits bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Berücksichtigung gefunden hat; in diesem Falle ist die Summe der Lohnersatzleistungen ungekürzt in Ansatz zu bringen. Weitere Minderungen der anzusetzenden Lohnersatzleistungen sieht das Gesetz nicht vor.
2. Eine Kürzung des nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu berücksichtigenden Insolvenzgelds um sog. Vorsorgeaufwendungen ist auch nicht aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung des § 32b EStG geboten.
Eine solche Auslegung ist aus Gründen der Gleichbehandlung nur erforderlich, wenn andernfalls wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte ohne rechtfertigenden Grund ungleich behandelt würden. Differenzierungen, die dem Gesetzgeber verboten sind, dürfen auch von den Gerichten im Wege der Auslegung oder Fortbildung gesetzlicher Vorschriften nicht für Recht erkannt werden (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, m.w.N.).
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist im Streitfall jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere bewirkt der Umstand, dass die Arbeitsagenturen nach § 208 SGB III --unter den dort genannten Voraussetzungen-- Pflichtbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie die Beiträge nach dem Recht der Arbeitsförderung (sog. Gesamtsozialversicherungsbeitrag, § 28d des Vierten Buches Sozialgesetzbuch --SGB IV--) nicht an den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer leisten, sondern an die Einzugsstellen (Krankenkassen, § 28h SGB IV) abführen, im Rahmen des § 32b EStG keine Besserstellung der Pflichtversicherten. Nach R 185 Abs. 2 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1999 beziehen die Finanzbehörden Lohn- und Einkommensersatzleistungen mit den Beträgen in den Progressionsvorbehalt ein, die als Leistungsbeträge nach den einschlägigen Leistungsgesetzen festgestellt werden. Kürzungen dieser Leistungsbeträge, die sich durch den Abzug von Versichertenanteilen an den Beiträgen zur Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und gegebenenfalls zur Kranken- und Pflegeversicherung ergeben, bleiben nach R 185 Abs. 2 Satz 2 EStR 1999 unberücksichtigt. Aufgrund dieser langjährigen, nicht nur im Streitjahr geübten Verwaltungspraxis, die von der Literatur nicht in Frage gestellt wird (Schmidt/Heinicke, EStG, 27. Aufl., § 32b Rz 24; Blümich/Wied, § 32b EStG Rz 39; Frotscher in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 32b Rz 59), wird der Kläger bei der Besteuerung des Insolvenzgelds nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht anders als ein sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmer behandelt. In beiden Fällen wird die Bemessungsgrundlage für die Anwendung des besonderen Steuersatzes nach § 32b EStG nicht um sog. Vorsorgeaufwendungen gekürzt.
Danach entspricht die Behauptung des Klägers, der Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28d SGB IV bleibe im Rahmen des Progressionsvorbehalts unberücksichtigt, nicht der Rechtslage. Im Übrigen könnte die Revision des Klägers selbst dann keinen Erfolg haben, wenn der steuerbare Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags --entgegen R 185 Abs. 2 EStR 1999-- im Einzelfall tatsächlich nicht in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden würde. Das Begehren des Klägers wäre insoweit auf die unzulässige Teilhabe an einer gleichheitswidrigen Begünstigung gerichtet (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. Oktober 1990 VII R 110/88, BFHE 163, 496; vom 14. Juni 1991 VI R 185/87, BFHE 165, 208, BStBl II 1991, 926; vom 29. August 2000 VII R 42/00, BFHE 192, 372, BStBl II 2001, 118, sowie BFH-Urteil vom 11. September 2008 VI R 13/06, BFHE 223, 39, BStBl II 2008, 928; BFH-Beschlüsse vom 21. Oktober 1994 VI R 15/94, BFHE 175, 368, BStBl II 1995, 142, unter VI.; vom 24. Februar 1999 X R 171/96, BFHE 188, 69, BStBl II 1999, 450, unter C.II.2.; vom 14. November 2001 X R 32-33/01, BFHE 197, 199, BStBl II 2002, 183, unter C.II.3.).
Fundstellen
Haufe-Index 2164553 |
BFH/NV 2009, 1110 |