Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Steuerliche Betriebsprüfung, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer Grunderwerbsteuer, Kfz-Steuer, sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der Unterbrechung der Verjährungsfrist durch ein an den Steuerpflichtigen gerichtetes Schreiben.
2. Grunderwerbsteuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung und Verwirkung des Steueranspruchs.
Normenkette
AO §§ 86, 91, 144, 145 Abs. 3 Nr. 3, §§ 147, 222 Abs. 1 Nr. 3; StAnpG § 3 Abs. 1; GrEStG § 1 Abs. 1 Ziff. 1, §§ 5-6; GrEStDV § 9; VwZG § 17 Abs. 2
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 31. Mai 1949 gründeten vier Gesellschafter die Bfin. Drei der Gesellschafter, die früher zu einer Erbengemeinschaft gehörten, brachten ein Grundstück in die Gesellschaft ein. Das Grundstück wurde durch notariellen Vertrag vom 8. Mai 1952 an die Bfin. aufgelassen und der Eigentumsübergang am 24. Dezember 1952 in das Grundbuch eingetragen. Das Finanzamt erhielt von dem Rechtsgeschäft anläßlich einer durch die Oberfinanzdirektion durchgeführten Betriebsprüfung am 25. Januar 1952 und von der Auflassung am 28. Mai 1952 Kenntnis.
Durch Verfügung vom 2. Dezember 1952 sah das Finanzamt gemäß § 5 GrEStG von der Erhebung der Grunderwerbsteuer ab, da es den Grundstückserwerb irrtümlich als Übergang des Grundstücks von mehreren Miteigentümern auf eine Gesamthand ansah. Dem beurkundenden Notar ist noch am gleichen Tage eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gemäß § 9 GrEStDV zugesandt worden. Durch Bescheid vom 17. Dezember 1957 hat das Finanzamt den Rechtsvorgang gemäß § 1 Abs. 1 Ziff. 1 GrEStG für steuerpflichtig erklärt. Dieser Steuerbescheid ist am 27. Dezember 1957 zur Post gelangt. Mit ihrem Einspruch wandte sich die Bfin. unter Berufung auf die Verjährungsvorschriften und die Vorschrift des § 6 GrEStG gegen diese Steuerfestsetzung.
Der Einspruch blieb nicht nur ohne Erfolg, sondern führte ohne Anhörung der Bfin. zu einer wesentlichen Verböserung. Auf die Berufung der Bfin. hob das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung des Finanzamts auf. Die Vorinstanz hielt zwar die Verjährungsfrist noch für eingehalten, sah es aber als Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs an, daß das Finanzamt verbösert habe, ohne der Bfin. Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Entscheidungsgründe
Der Rb. der Steuerpflichtigen ist der Erfolg zu versagen.
Der Ansicht der Bfin., daß die Verjährungsfrist gemäß § 145 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) am 31. Dezember 1954 abgelaufen sei, kann nicht gefolgt werden. Nach § 145 Abs. 3 Ziff. 3 AO beginnt die Verjährung der Grunderwerbsteuer mit Ablauf des Jahres, in dem der Erwerber des Grundstücks als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden ist. Da die Rechtsänderung, aus welchen Gründen auch immer, erst am 24. Dezember 1952 in das Grundbuch eingetragen worden ist, begann die Verjährungsfrist erst ab 31. Dezember 1952 zu laufen; sie endete somit gemäß § 144 AO frühestens nach fünf Jahren, im Streitfall also am 31. Dezember 1957. Der Steueranspruch ist auch nicht etwa dadurch verjährt, daß die Bfin. den Steuerbescheid erst am 3. Januar 1958 in ihrem Postfach fand; denn wie das Finanzgericht zu Recht ausgeführt hat, kann es nicht darauf ankommen, wann die Bfin. ihr Postschließfach geleert hat. Maßgebend ist vielmehr der Zeitpunkt, in dem die Verjährung unterbrochen worden ist. Das kann nur entweder der Zeitpunkt der Aufgabe des Steuerbescheids zur Post oder der Zeitpunkt des Zugangs des Steuerbescheids bei der Bfin. sein. Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat im Urteil VII 45/60 S vom 22. März 1961 (BStBl 1961 III S. 244, Slg. Bd. 72 S. 672) unter anderem ausgesprochen, daß durch ein Ermittlungsersuchen des Finanzamts an eine Dienststelle derselben Finanzverwaltung zur Feststellung eines bestimmten Steuertatbestandes die Verjährung unterbrochen wird, ohne daß es darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige von dem Ersuchen Kenntnis erhält. Der Senat vermag diese Rechtsansicht, die für einen Tatbestand, bei dem sich die Unterbrechungshandlung nicht an, sondern nur gegen den Steuerpflichtigen richtete, entwickelt worden ist, jedenfalls dann nicht zu teilen, wenn -- wie im Streitfall -- eine Unterbrechungshandlung zu beurteilen ist, die sich an den Steuerpflichtigen wendet. Hier kann -- entgegen der Aufassung des VI. Senats (vgl. Urteil VI 251/57 U vom 23. Oktober 1959, BStBl 1960 III S. 25, Slg. Bd. 70 S. 65) -- nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (vgl. auch den Rechtsgedanken des § 91 AO) die Unterbrechung der Verjährung erst im Zeitpunkt des Zugehens des Steuer- oder Haftungsbescheides eintreten.
Nach § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) gilt bei Zusendung durch einfachen Brief die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Im Streitfall ist daher zu vermuten, daß der am 27. Dezember 1957 zur Post gelangte Steuerbescheid am 30. Dezember 1957 bekanntgegeben worden ist. Bestreitet, wie hier, ein Steuerpflichtiger den Zugang, so obliegt die Nachweispflicht allerdings der Behörde. Das bedeutet aber nach dem Sinn und dem Zweck der vom Gesetz mit der vereinfachten Zustellung beabsichtigten Arbeits- und Kostenersparnis nicht, daß schon ein einfaches Bestreiten des Steuerpflichtigen genügt, die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstückes zu entkräften. Es müssen vielmehr Zweifel berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssigen oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 287/57 vom 20. November 1958, Steuerrechtsprechung in Karteiform, § 86 AO, Rechtsspruch 29). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Bfin. hat nicht behauptet, daß der Steuerbescheid erst nach dem 30. Dezember 1957 in ihr Postfach, also in ihren Gewahrsam gelangt sei. Sie konnte dies auch nicht, weil sie wegen Betriebsruhe das Postfach zwischen Weihnachten und Neujahr nicht entleert hatte. Ebensowenig wie ein Steuerpflichtiger durch verspätete Abholung von postlagernden Sendungen den Zeitpunkt der Zustellung beeinflussen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 59/59 U vom 23. September 1959, BStBl 1959 III S. 456, Slg. Bd. 69 S. 529), kann er dies, wenn er seine Post stets aus dem Postfach in Empfang nimmt. Auch nach den Umständen des Falles spricht nichts dafür, daß eine am 27. Dezember 1957 abgestempelte Postsendung nicht am 30. Dezember 1957, spätestens aber am 31. Dezember 1957, an dem nur wenige Kilometer vom Absendeort entfernten Wohnsitz der Empfängerin eingetroffen und in deren Postfach gelangt sein sollte. Das Finanzgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß die Steuerforderung nicht verjährt ist.
Der Vorinstanz ist auch darin zuzustimmen, daß das Finanzamt die Steuerforderung in der Einspruchsentscheidung nicht erhöhen durfte, ohne die Bfin. vorher zu hören. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Gründen des Urteils des III. Senats III 286/57 U vom 4. September 1959 (BStBl 1959 III S. 472, Slg. Bd. 69 S. 569). Die Frage der Zulässigkeit einer Neuveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO ist einem anderen Verfahren vorbehalten.
Das Finanzamt wird allerdings bei der erneuten Entscheidung auch zu prüfen haben, ob der Steueranspruch nicht verwirkt ist. Der Grundsatz der Verwirkung ist heute auf allen Rechtsgebieten anerkannt. Allerdings kann im Interesse der Allgemeinheit und aus Gründen einer möglichst gleichmäßigen und gerechten Besteuerung ein Steueranspruch nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen verwirkt werden. Keinesfalls kann der Zeitablauf, sei er auch noch so lang, allein ausreichen, um eine Verwirkung anzunehmen. Der Zeitablauf führt gegebenenfalls zur Verjährung. Eine Verwirkung setzt über den Zeitablauf hinaus ein Verhalten des Finanzamts voraus, aus dem der Steuerpflichtige die Folgerung ziehen konnte, daß das Finanzamt den in Frage stehenden Steueranspruch nicht geltend machen werde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 220/59 U vom 9. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 108, Slg. Bd. 72 S. 288). Maßgebend ist somit vor allem, ob die Bfin. sich darauf einrichten durfte, daß sie mit einer Grunderwerbsteuerforderung durch das Finanzamt nicht mehr zu rechnen brauchte, daß sie sich mit Rücksicht auf das Verhalten des Finanzamts eingerichtet hat und daß es gerade deshalb mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist, wenn das Finanzamt später doch noch mit der Geltendmachung des Steueranspruchs hervortritt (vgl. zu diesen Grundsätzen die Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesgerichtshofs II ZR 15/56 vom 27. Juni 1957 Abschn. II Nr. 1, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 25 S. 47, 51 f. = Juristenzeitung -- JZ -- 1957 S. 624, 625 und die Anmerkung Nr. 2 zu diesem Urteil von Hueck, JZ 1957 S. 626, 627). Das Finanzamt wird dabei der Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung, deren genauer Wortlaut noch festzustellen ist, dem Vorbringen der Bfin., daß sie annehmen konnte, durch die Betriebsprüfung seien alle Steuern erfaßt, der Nichtaktivierung der Grunderwerbsteuer bei der Körperschaftsteuer und der Einziehung der Gesellschaftsteuer einerseits sowie der Nichterhebung der Grunderwerbsteuer andererseits Bedeutung beizumessen haben. Auch wird zu prüfen sein, ob und inwiefern die Bfin. sich auf die Nichterhebung der Steuer eingerichtet hat und ob deshalb die Erhebung der Steuer auch mit Rücksicht auf die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse der Bfin. gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Andererseits wird das Finanzamt bei seiner Entscheidung auch zu beachten haben, daß die Bfin. einen nicht unerheblichen Vorteil durch die späte Einziehung der Steuer gehabt hat, da sie den als Steuer geschuldeten Betrag viele Jahre in ihrem Betrieb arbeiten lassen konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 425872 |
BStBl III 1962, 496 |
BFHE 1963, 628 |