Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassung notwendiger Beiladungen
Leitsatz (NV)
Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung führt auch dann zur Aufhebung des FG-Urteils, wenn dem FG die Notwendigkeit der Beiladung erst durch die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision bekannt wird.
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1, § 60 Abs. 3; AO 1977 § 183 Abs. 2, § 360 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG. Sie ist an einer GmbH und über diese mittelbar an einer anderen KG beteiligt; in Zusammenhang mit einer diese Beteiligung betreffenden Garantieverpflichtung hinterlegte die Klägerin bei einer Bank zur Absicherung der Garantie einen Betrag von . . . DM. Der Betrag wurde zu Gunsten der Klägerin verzinst. Der hinterlegte Betrag, der zu Gunsten der Bank verpfändet war, ergab zusammen mit Zinsen und Zinseszinsen den Garantiebetrag zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme (31. Dezember 1982). Die Klägerin aktivierte in den Bilanzen der Streitjahre die jeweiligen Guthabenbeträge aus der Hinterlegung nebst gutgeschriebenen Zinsen und Zinseszinsen, nahm jedoch in jeweils gleicher Höhe gewinnmindernde Wertberichtigungen vor, die auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen wurden; im Klageverfahren wurde die Wertberichtigung auf 77 v.H. des jeweiligen Guthabens reduziert.
In den Streitjahren überwies die Klägerin außerdem insgesamt . . . DM aufgrund einer Vereinbarung mit einem als Treuhänder auftretenden Schweizer Rechtsanwalt (X) auf das Konto eines nicht näher bezeichneten und der Klägerin nach ihren Angaben auch nicht bekannten Kunden einer Bank in der Schweiz. Die Beträge wurden als Honorare für die Übernahme von Bürgschaften für einen von der Klägerin im Zusammenhang mit einem Grundstücksgeschäft aufgenommenen Kredit sowie die Übernahme etwaiger Verluste aus dem Grundstücksgeschäft behandelt und im Streitjahr 1971 als Betriebsausgabe abgezogen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte nach einer Betriebsprüfung weder die Wertberichtigung noch die Honorarzahlung als Betriebsausgaben an und erhöhte den Gewinn der Streitjahre entsprechend. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Nach Zustellung des Urteils wurde dem Finanzgericht (FG) durch die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision bekannt, daß in den Streitjahren A und B Kommanditisten der Klägerin gewesen und am 31. Dezember 1975 A bzw. 2. Januar 1985 B aus der Klägerin ausgeschieden waren. Daraufhin ließ das FG die Revision zu.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Als Verletzung formellen Rechts wird u.a. gerügt, das FG habe die Beiladung der 1975 bzw. 1985 ausgeschiedenen Kommanditisten A und B unterlassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), da die notwendige Beiladung der früheren Gesellschafter A und B der Klägerin unterblieben ist.
1. Nach § 60 Abs. 3 FGO ist eine Beiladung erforderlich, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies gilt nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind. Nach § 48 Abs. 1 Nr.3 FGO ist in Streitigkeiten, die eine einheitliche Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb betreffen, grundsätzlich nur die Gesellschaft, vertreten durch ihre Geschäftsführer, klagebefugt. Die nicht zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter können im Regelfall nur dann gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid Klage erheben, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr.1 oder Nr.2 FGO erfüllt sind. Da im vorliegenden Fall nur die Höhe des Gewinns der Gesellschaft streitig ist, steht das Prozeßführungsrecht nach § 48 Abs. 1 FGO an sich nur der Klägerin zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein nicht zur Geschäftsführung berufener Gesellschafter jedoch über die Fälle des § 48 Abs. 1 Nr.1 und Nr.2 FGO hinaus selbständig zur Erhebung der Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid befugt, wenn er aus der Gesellschaft ausgeschieden ist; dabei kommt es auch nicht darauf an, ob der Gesellschafter vor Zustellung des angefochtenen Feststellungsbescheids, während des außergerichtlichen Vorverfahrens oder erst während des finanzgerichtlichen Verfahrens ausgeschieden ist (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 19. Juni 1990 VIII B 3/89, BFHE 161, 404, BStBl II 1990, 1068, m.w.N.). Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze im Streitfall mußten der im Jahre 1975 ausgeschiedene Kommanditist A und der im Jahre 1985 ausgeschiedene Kommanditist B notwendig beigeladen werden. Mit der Beiladung des A wäre zugleich die Unterlassung der Hinzuziehung durch das FA zum Einspruchsverfahren gemäß § 360 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) geheilt worden (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359, m.w.N.).
2. Im Streitfall ist dem FG allerdings erst nach Ergehen seines Urteils bekannt geworden, daß Beiladungen erforderlich gewesen wären. Objektiv ändert das aber nichts daran, daß das Verfahren unter dem Mangel der Unterlassung notwendiger Beiladungen litt. Durch die (notwendige) Beiladung soll im Interesse der Prozeßökonomie sichergestellt werden, daß streitige Rechtsverhältnisse nicht nur zwischen den Hauptbeteiligten, sondern auch gegenüber Dritten, deren Rechte durch die Entscheidung notwendigerweise unmittelbar gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen gebracht werden, einheitlich geordnet und widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden. Gleichzeitig dient die Beiladung der Wahrung der Interessen des Beizuladenden, indem ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, seine Rechte wahrzunehmen und die gerichtliche Entscheidung durch seinen Vortrag zu beeinflussen. Darüber hinaus soll durch die Beiladung eine umfassende Aufklärung des Streitstoffs und damit eine Förderung des zwischen den Beteiligten schwebenden Streits erreicht werden (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 60 Rz.3, m.w.N.). Dieser Zwecksetzung entspricht es, daß die Beiladung bis zum Eintritt der Rechtskraft des FG-Urteils erfolgen kann (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Februar 1980 IV B 97/79, BFHE 129, 310, BStBl II 1980, 210). Das FG hätte dem Rechnung tragen können, indem es von sich aus noch nach Ergehen seines Urteils die früheren Gesellschafter beilud und diesen so die Möglichkeit eröffnete, Revision bzw. gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde einzulegen (Senatsurteil vom 4. August 1983 IV R 222/80, BFHE 139, 134, BStBl II 1983, 762). In diesem Falle wäre es mangels Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch das FG zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gekommen (Urteil in BFHE 139, 134, BStBl II 1983, 762). Nichts anderes kann gelten, wenn, wie im Streitfall, das FG von der Nachholung der unterlassenen Beiladungen absieht. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß aus den dem FG vorliegenden Akten das Ausscheiden der Gesellschafter A und B nicht erkennbar war. Das FG hat hierzu in seinem Zulassungsbeschluß auf das BFH-Urteil vom 19. Mai 1987 VIII R 382/83 (BFH/NV 1988, 161) verwiesen. Dort wird unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 22. September 1976 I R 77/75 (nicht veröffentlicht) und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom14. Januar 1966 IV C 111/65 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1966, 284) ausgeführt, bei Unterbleiben einer notwendigen Beiladung müsse die Vorentscheidung auch dann aufgehoben werden, wenn die Notwendigkeit der Beiladung vom Tatsachengericht nicht nachgeprüft worden sei, obwohl der Sachverhalt eine solche Prüfung verlangt habe. Diese Entscheidungen beziehen sich auf Sachverhalte, bei denen für das Revisionsgericht nicht erkennbar war, ob eine notwendige Beiladung unterblieben war, der festgestellte Sachverhalt indes Anhaltspunkte dafür hergab. Damit ist der Streitfall nicht vergleichbar. Im Streitfall ist vor Eintritt der Rechtskraft des FG-Urteils bekannt geworden und zwischen den Beteiligten unstreitig, daß notwendige Beiladungen unterblieben sind. Dem muß, wie dargelegt, durch Aufhebung des FG-Urteils unter Zurückverweisung der Sache an das FG Rechnung getragen werden.3. Das FG hat im Zulassungsbeschluß offengelassen, ob die Klägerin entsprechend der Regelung in § 183 Abs. 2 AO 1977 eine ,,Informationslast" in bezug auf die die notwendige Beiladung betreffenden Umstände trug. Im Streitfall stellt sich diese Frage nach Auffassung des Senats nicht. Mit der notwendigen Beiladung soll, wie dargelegt, auch den Rechten und Interessen des notwendig Beizuladenden Rechnung getragen werden. Dieser hat deshalb ein Recht, zum Verfahren beigeladen zu werden (vgl. Gräber/Koch, § 60 FGO Rz.30), und zwar unabhängig vom Verhalten anderer Beteiligter. Daraus folgt, daß dem notwendig Beizuladenden grundsätzlich keine verfahrensrechtlichen Nachteile daraus entstehen dürfen, daß ein anderer Beteiligter die Umstände, die die Notwendigkeit der Beiladung begründen, nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt offenlegt. Anhaltspunkte dafür, daß in einvernehmlichem Zusammenwirken zwischen der Klägerin und ihren früheren Gesellschaftern die Beiladungsvoraussetzungen bewußt nicht offengelegt worden sind, um sich damit verfahrensrechtliche Vorteile zu sichern, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
Demnach mußte das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden. Darauf, ob auch diesonstigen Verfahrensrügen durchgreifen, kommt es für die Entscheidung nicht an.
Fundstellen