Leitsatz (amtlich)
Für die Grunderwerbsteuerbefreiung aus Art. 1 Nr. 2 GrESWG Bayern ist der Grund, der zu der Beschädigung des Gebäudes zu mehr als 50 v. H. geführt hat, ohne Bedeutung.
Normenkette
GrESWG Bayern Art. 1 Nr. 2; I. WoBauG § 19 Abs. 4; II. WoBauG § 16 Abs. 4, § 100
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 30. August 1973 erwarben die Kläger als Miteigentümer je zur Hälfte ein 30 992 qm großes, seit längerer Zeit nicht mehr bewirtschaftetes landwirtschaftliches Anwesen mit einem nicht mehr benützbaren Wohngebäude (errichtet etwa 1800) um 65 000 DM Gesamtkaufpreis. Bewertungsrechtlich war eine Teilfläche von 1 500 qm wegen Unbewohnbarkeit des Hauses seit 1. Januar 1971 als unbebautes Grundstück bewertet, der Rest entfällt auf landwirtschaftliche Stückländereien und Wald. In den Jahren 1973/74 bauten die Kläger das Gebäude um und aus. Nach dem Anerkennungsbescheid des zuständigen Landratsamtes errichteten sie ein im Januar 1975 bezugsfertiges grundsteuerbegünstigtes Familienheim mit 126,32 qm Wohnfläche und einer überbauten Fläche von 79,77 qm.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die von den Klägern begehrte Grunderwerbsteuerbefreiung nach Art. 1 Nr. 2 des bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) ab und setzte gegen jeden der Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von je 2 275 DM fest.
Mit der nach erfolgloser Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erhobenen Klage begehrten die Kläger Herabsetzung der Steuer auf je 1 333 DM. Sie beschränkten dabei ihren Befreiungsantrag auf den Erwerb der Teilfläche von 1 500 qm mit dem unbewohnbaren Gebäude. Das Finanzgericht (FG) hat die Steuer auf je 1 604,40 DM herabgesetzt. Es sah die Voraussetzungen des Art. 2 Nr. 2 GrESWG für gegeben an und beschränkte die Befreiung entsprechend Art. 2 Abs. 1 GrESWG auf das Zwölffache der überbauten Fläche. Seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 409 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA sinngemäß, die Klage unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Nach Art. 1 Nr. 2 GrESWG ist unter bestimmten Voraussetzungen von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks mit einem Gebäude, das zu mehr als 50 v. H. beschädigt ist, zur Wiederherstellung des Gebäudes durch den Erwerber. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Grund für die Beschädigung ohne Bedeutung ist.
1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (II. GrESWDB) sind für die Feststellung, ob ein Grundstück zu mehr als 50 v. H. beschädigt ist, die Verhältnisse im Erwerbszeitpunkt maßgebend. Dies spricht für eine statische Betrachtung. Aus dem Wortlaut des Gesetzes läßt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß es darauf ankomme, wodurch das Gebäude in den beschädigten Zustand versetzt wurde. Wenn auch das Verb "beschädigen", wie das Schleswig-Holsteinische FG in seinem Urteil vom 20. Mai 1980 (EFG 1981, 39) an sich zutreffend ausführt, bedeutet: Schaden an etwas verursachen, schadhaft machen, kann daraus jedoch nicht geschlossen werden, es bezeichne nur ein von außen einwirkendes plötzliches Ereignis (z. B. Brand, Explosion, Erdbeben, Kriegseinwirkung); auch stete Witterungseinflüsse, langsam aufsteigende Nässe und damit natürliche alterungsbedingte Prozesse wirken beschädigend.
2. Auch aus dem Sinnzusammenhang der Vorschrift mit den weiteren Befreiungstatbeständen von Art. 1 GrESWG - sofern überhaupt vergleichbar - läßt sich kein Anhaltspunkt finden, der auf die Bedeutung nur bestimmter schädigender Ereignisse schließen läßt. Art. 1 Nr. 1 Buchst. a und c GrESWG betreffen den Erwerb von unbebauten Grundstücken bzw. Ruinengrundstükken. Dabei gilt als Ruinengrundstück ein Grundstück, wenn oberhalb des Kellergeschosses auf die Dauer benutzbarer Raum nicht mehr vorhanden ist (§ 1 Abs. 4 II. GrESWDB; vgl. dazu auch die Entscheidung des Senats vom 5. November 1975 II R 102/68, BFHE 117, 400, BStBl II 1976, 167). Auch in bezug auf ein Ruinengrundstück kommt den Umständen, die zu dem ruinösen Zustand der Mauerreste geführt haben, keine Bedeutung zu.
3. Auch Entstehungsgeschichte und weitgezogener Kontext sprechen nicht gegen die vom FG vertretene Ansicht. Der hier einschlägige erste Halbsatz von Art. 1 Nr. 2 GrESWG ist durch das GrESWG 1954 vom 11. Februar 1954 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1954, 38) geschaffen worden und seitdem - mit Ausnahme der Einfügung der Worte "durch den Erwerber" - unverändert geblieben. Das GrESWG 1954 diente, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (Bayerischer Landtag, 2. Legislaturperiode, Beilage 4084) allgemein der Abstimmung auf das Erste Wohnungsbaugesetz (I. Wo-BauG). Zur hier interessierenden Vorschrift heißt es in der Begründung, die Begünstigung kriegsbeschädigter Gebäude sei im Interesse des alsbaldigen Wiederaufbaues kriegszerstörter Städte geboten. Insoweit stimmt die Zielrichtung des Gesetzes mit der des I. WoBauG (vgl. § 19 Abs. 4) in etwa überein. Diese Zielrichtung als Motiv des Gesetzgebers ist aber nicht in dieser Beschränkung auf kriegsbedingte Beschädigung im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommen. Entsprechend dem Hauptanliegen des Gesetzes, die Schaffung von Wohnraum zu fördern, ist vielmehr allgemein der Erwerb von Grundstücken mit zu mehr als 50 v. H. beschädigten Gebäuden zur Wiederherstellung im sozialen Wohnungsbau begünstigt worden.
Ohne Einfluß auf die Auslegung des Gesetzes müssen die im II. WoBauG enthaltenen, später (1956) geschaffenen Begriffsbestimmungen bzw. Fiktionen zum beschädigten Gebäude bleiben (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 II. WoBauG). § 100 II. WoBauG hat für das Landesrecht ohne ausdrückliche Bezugnahme ohnehin keine Bedeutung.
4. An der im Urteil vom 15. Juni 1960 II 254/58 U (BFHE 71, 179, BStBl III 1960, 315) enthaltenen Aussage, ein Gebäude gelte nur dann als "beschädigt" (i. S. des insoweit die gleichen Worte verwendenden § 1 Nr. 3 des nordrhein-westfälischen GrESWG 1952), wenn es infolge außergewöhnlicher Einwirkung - etwa durch Fliegerangriff oder durch Brand - einen Substanzverlust erlitten habe, wird nicht mehr festgehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 74260 |
BStBl II 1982, 415 |
BFHE 1982, 346 |