Leitsatz (amtlich)
Die Verjährung eines vor dem 1.Januar 1977 entstandenen Steueranspruchs wird nach Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 Halbsatz 1 EGAO 1977 i.V.m. § 147 AO (i.d.F. ab 1966) durch die einem wirksamen Steuerbescheid beigefügte schriftliche Zahlungsaufforderung in Höhe des angeforderten Betrags unterbrochen; die Verjährungsunterbrechung bleibt auch dann bestehen, wenn der Bescheid später aufgehoben oder geändert wird.
Orientierungssatz
1. Art. 97 § 14 EGAO 1977 enthält lediglich Übergangsregelungen im Bereich der Zahlungsverjährung, betrifft also nur die der Steuerfestsetzung nachfolgende Erhebung einer bereits vor 1977 fällig gewordenen Steuer und nicht die Festsetzung eines vor 1977 entstandenen Steueranspruchs (vgl. BFH-Urteil vom 18.3.1987 II R 226/84).
2. Die für die Verjährungsunterbrechung nach § 147 AO geforderte vorherige Konkretisierung oder Bestimmbarkeit des Steueranspruchs setzt nicht einen durch vorherige Steuerfestsetzung abschließend geregelten Zahlungsanspruch voraus. Erforderlich ist nur, daß sich die tatsächliche Unterbrechungshandlung auf einen nach Art, Zeitraum und Höhe bestimmten Steueranspruch bezog und bei der Finanzbehörde ein konkreter Wille zur Unterbrechungshandlung vorlag (vgl. Rechtsprechung: BFH, FG Hamburg).
Normenkette
AO § 147 Abs. 1, 3; EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1 S. 2 Hs. 1, § 14
Tatbestand
Aufgrund ihrer am 3.Mai 1976 eingegangenen Steuererklärung wurden die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wegen der in 1974 bezogenen Einkünfte u.a. aus Gewerbebetrieb sowie Land- und Forstwirtschaft durch einen gemäß § 100 Abs.2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigen Bescheid vom 2.Juli 1976 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Einkommensteuer wurde auf 18 866 DM festgesetzt. Nach einer Betriebsprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) durch einen auf § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid vom 3.November 1977 unter Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb (von 42 683 DM auf 50 423 DM) die Einkommensteuerschuld auf 22 018 DM fest. Zugleich wurden die Kläger aufgefordert, den Einkommensteuermehrbetrag in Höhe von 3 152 DM bis zum 6.Dezember 1977 zu entrichten. Aufgrund des Einspruchs der Kläger vom 23.November 1977, der sich gegen die Höhe der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft richtete, setzte das FA durch einen auf § 172 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 132 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid vom 29.Mai 1979 die Einkommensteuer auf null DM herab. Dabei wurden die bisher angesetzten --unstrittigen-- Einkünfte aus Gewerbebetrieb (in Höhe von 50 423 DM) versehentlich nicht in den Eingabebogen für die maschinelle Erstellung des Steuerbescheides eingetragen. Durch einen gemäß § 129 AO 1977 ergangenen Berichtigungsbescheid vom 16.August 1982 setzte das FA unter Erfassung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb die Einkommensteuer auf insgesamt 8 704 DM fest. Mit Einspruch vom 25.August 1982 machten die Kläger Verjährung geltend. Das FA setzte daraufhin durch Einspruchsentscheidung vom 8.Dezember 1983 die Einkommensteuer auf 3 152 DM herab und wies den Einspruch im übrigen als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) hob den Berichtigungsbescheid vom 16.August 1982 und die Einspruchsentscheidung vom 8.Dezember 1983 auf, weil es die Einkommensteuer 1974 für verjährt hielt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von § 147 AO sowie Art.97 §§ 10, 14 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Der Berichtigungsbescheid vom 16.August 1982 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.Dezember 1983 läßt keine Rechtsverletzung (§ 100 FGO) erkennen. Der Anspruch des FA auf die geltend gemachte Einkommensteuer von 3 152 DM war bei Erlaß dieses Bescheides nicht verjährt.
Nach Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 EGAO 1977 gelten für einen vor dem 1.Januar 1977 entstandenen Steueranspruch die Vorschriften der AO über die Verjährung weiter, soweit sie für die Festsetzung einer Steuer sowie für die Aufhebung oder Änderung einer solchen Festsetzung von Bedeutung sind. Da der Einkommensteueranspruch 1974 mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1974 entstanden war (§ 3 Abs.5 Nr.1 des Steueranpassungsgesetzes --StAnpG--), unterlag er der Verjährung nach §§ 144 ff. AO. Die Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 144 Abs.1 AO) begann gemäß § 145 Abs.2 Nr.1 AO mit Ablauf des Jahres 1976. Vor Ablauf der Verjährungsfrist (31.Dezember 1981) wurde die Verjährung durch das im Änderungsbescheid vom 3.November 1977 enthaltene Leistungsgebot über 3 152 DM unterbrochen (§ 147 AO). Diese Unterbrechung hatte zur Folge, daß mit Ablauf des Jahres 1977 eine neue (fünfjährige) Verjährung begann, vor deren Ablauf (31.Dezember 1982) das FA den Eingabefehler bei Erlaß des Änderungsbescheides vom 29.Mai 1979 durch den Bescheid vom 16.August 1982 berichtigt hat. Die Verjährung wurde nur in Höhe des Betrages unterbrochen, auf den sich das Leistungsgebot als Unterbrechungshandlung bezog, also in Höhe von 3 152 DM (§ 147 Abs.3 AO).
Der Anwendung des § 147 AO steht nicht der in Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 letzter Halbsatz EGAO 1977 ausgesprochene Vorbehalt zugunsten des Art.97 § 14 Abs.2 EGAO 1977 entgegen. Denn Art.97 § 14 EGAO 1977 enthält lediglich Übergangsregelungen im Bereich der Zahlungsverjährung, betrifft also nur die der Steuerfestsetzung nachfolgende Erhebung einer bereits vor 1977 fällig gewordenen Steuer und nicht die Festsetzung eines vor 1977 entstandenen Steueranspruchs (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18.März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416, insoweit nicht veröffentlicht). Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die Zahlungsverjährung (vgl. §§ 228 ff. AO 1977), sondern um die Frage, ob der Neufestsetzung des Steueranspruchs durch den Änderungsbescheid vom 16.August 1982 die Verjährung entgegenstand. Diese Frage beurteilt sich allein nach Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 Halbsatz 1 EGAO 1977 i.V.m. §§ 143 ff. AO (für das Streitjahr in der ab 1.Januar 1966 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze --AOÄG--).
Der Senat teilt auch nicht die Ansicht des FG und der Kläger, daß § 147 AO nach dem 31.Dezember 1976 nicht mehr anwendbar sei, weil es sich dabei nicht um eine Vorschrift handele, die ausschließlich für die Steuerfestsetzung sowie für die Aufhebung oder Änderung einer solchen Steuerfestsetzung von Bedeutung sei (vgl. aber Koch, Die Neuregelung der Verjährung im Steuerrecht, Deutsche Steuerzeitung/Ausgabe A --DStZ/A-- 1965, 353, 357; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3.Aufl., § 169 Anm.1; Kühn/Kutter, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 147 AO Anm.2 ff.). Zwar setzen die schriftliche Zahlungsaufforderung und die weiteren in § 147 Abs.1 AO genannten Unterbrechungshandlungen eine gewisse Konkretisierung des Steueranspruchs, in der Regel in Form eines Steuerzahlungsanspruchs auf Grund einer Steuerfestsetzung oder -anmeldung voraus. In der Regierungsbegründung zu § 147 AO heißt es deshalb, daß sich die Unterbrechungstatbestände ihrem Wesen und Inhalt nach ausschließlich auf solche Abgabenansprüche bezögen, für die --soweit sie nicht schon kraft Gesetzes zu erfüllen seien-- bereits ein behördliches Leistungsgebot ergangen sei oder spätestens mit der Unterbrechungshandlung ergehe (BTDrucks, IV/2442, S.13 zu § 147 AO). Dieser Gedanke hat jedoch im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden. Die Vorschriften der AO zur Unterbrechung der Verjährung unterscheiden nicht zwischen dem Steueranspruch und dem Steuerzahlungsanspruch (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 31.August 1979 III 135/77 rkr, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1980, 109).
Die --insbesondere im Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Person-- für die Verjährungsunterbrechung nach § 147 AO geforderte vorherige Konkretisierung oder Bestimmbarkeit des Steueranspruchs (vgl. BFH-Urteile vom 22.Mai 1974 I R 259/72, BFHE 113, 145, BStBl II 1974, 722; vom 8.März 1979 IV R 75/76, BFHE 127, 497, BStBl II 1979, 501; vom 8.Januar 1980 VII R 81/77, BFHE 129, 534, BStBl II 1980, 306) setzt nicht einen durch vorherige Steuerfestsetzung abschließend geregelten Steuerzahlungsanspruch voraus. Erforderlich ist nur, daß sich die tatsächliche Unterbrechungshandlung auf einen nach Art, Zeitraum und Höhe (§ 147 Abs.3 AO; vgl. auch § 231 Abs.4 AO 1977) bestimmten Steueranspruch bezog und bei der Finanzbehörde ein konkreter Wille zur Unterbrechungshandlung vorlag (FG Hamburg, EFG 1980, 109). Für die Unterbrechungswirkung einer schriftlichen Zahlungsaufforderung folgt dieses Ergebnis insbesondere aus der --zu § 147 AO in der ab 1966 geltenden Fassung aufrecht erhaltenen-- ständigen Rechtsprechung des BFH über den Fortbestand der Unterbrechungswirkung bei späterer Aufhebung oder Änderung des der Zahlungsaufforderung zugrunde gelegten Steuerbescheids (BFH-Urteile vom 26.November 1974 VII R 45/72, BFHE 114, 522, BStBl II 1975, 460, und vom 31.Juli 1979 VII R 86/75, nicht veröffentlicht). Die Unterbrechungswirkung tritt nur dann nicht ein, wenn die Zahlungsaufforderung einem unwirksamen Steuerbescheid beigefügt ist (BFH-Urteil vom 27.November 1981 II R 18/80, BFHE 134, 519, BStBl II 1982, 276). Die zitierte Rechtsprechung betraf gerade Fälle, in denen --wie im Streitfall-- die Steuer erneut festgesetzt worden war, nachdem die Verjährung durch die schriftliche Zahlungsaufforderung in einem später aufgehobenen (oder geänderten) Bescheid unterbrochen worden war.
Gegen die Ansicht des FG spricht schließlich, worauf das FA zu Recht hingewiesen hat, daß sich in zahlreichen Verfahren, die am 1.Januar 1977 anhängig waren, Regelungslücken ergeben würden, wenn es nach Art.97 § 10 EGAO 1977 weder zur Anwendung der neuen Verjährungsvorschriften (hier z.B. des § 171 Abs.2 AO 1977), noch zu der in § 147 AO vorgesehenen Unterbrechung der Verjährung kommen könnte.
Fundstellen
Haufe-Index 62036 |
BStBl II 1988, 723 |
BFHE 153, 203 |
BFHE 1989, 203 |
BB 1988, 1595-1595 (L1) |
DB 1988, 1684-1684 (ST) |
HFR 1988, 494 (LT1) |