Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Verletzung der Ermittlungspflicht
Leitsatz (NV)
1. Zu den Anforderungen an die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht.
2. Der Kläger hat sein Recht, mit der Revision einen Verfahrensmangel zu rügen, zumindest dann nicht verloren, wenn er den Verfahrensmangel in der für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen mündlichen Verhandlung gerügt hat.
3. Kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Bekundungen der vom Kläger benannten Zeugen und das Ergebnis des von ihm angeregten Sachverständigengutachtens für die Entscheidung bedeutsam sein können, so sind die Beweisantritte zu beachten, sofern die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsachen nicht unterstellt wird.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 2 S. 2, § 155; ZPO § 295
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) setzte gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger) durch Steuerbescheid vom 9. Januar 1978 Mineralölsteuer in Höhe von 13 067,20 DM mit der Begründung fest, er - der Kläger - habe insgesamt 17 309 Liter steuerbegünstigtes Gasöl (Heizöl), davon 14 749 Liter gekennzeichnetes Heizöl, bezogen und zweckwidrig als Dieselkraftstoff verwendet. Der Einspruch führte zur Herabsetzung der Mineralölsteuer auf 10 011,20 DM.
Auf die Klage, mit der der Kläger Aufhebung des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung begehrte, änderte das Finanzgericht (FG) den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung dahin ab, daß es die Mineralölsteuer auf 5 707,76 DM festsetzte. Im übrigen wies es die Klage ab.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG u. a. folgendes aus: Für das in der Zeit vom 14. Juni 1976 bis zum 24. Juni 1977 in einer Gesamtmenge von 13 851 Liter bezogene Heizöl sei die zweckgerechte Verwendung nicht feststellbar. Für Bezüge dieser Größenordnung habe der Kläger keine Möglichkeit zu einer zweckgerechten Verwendung gehabt. Das FG sei auch davon überzeugt, daß das Vorbringen des Klägers nicht zutreffe, er habe in dem genannten Zeitraum erhebliche Mengen Heizöl zum Betrieb der Futterküche verwendet.
Seine Revision begründet der Kläger u. a. wie folgt:
In dem Schriftsatz vom 10. Oktober 1980 habe er auf den Seiten 6 bis 8 ausführlich und unter Beweisantritt dargetan, welchen Umfang die von ihm betriebene Schweinemast gehabt habe und wie groß der Bedarf an aufzubereitenden Futtermitteln gewesen sei. Auch für das Vorhandensein des ölbefeuerten Kessels während des für den Streitfall maßgebenden Zeitraums habe er Beweis angeboten. In der mündlichen Verhandlung habe er das Gericht mehrfach darauf hingewiesen, daß die von ihm benannten Beweismittel, insbesondere die Zeugen, herangezogen werden müßten. Allen Hinweisen und Anträgen sei entgegengehalten worden, daß dem Gericht die Aussagen der geladenen Zeugen genügen würden. Das FG habe sich bei seiner Entscheidung betreffend die Verwendungsmöglichkeiten des bezogenen Heizöls auf dem Anwesen des Klägers im wesentlichen nur mit den beanstandeten Ermittlungen des HZA befaßt und sich im wesentlichen den Indizienschlüssen des HZA angeschlossen. Es hätte den Beweisangeboten des Klägers nachgehen müssen. Das Urteil des FG beruhe auf den gerügten Verfahrensfehlern.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es macht geltend: Die Rüge, daß das FG seine Aufklärungspflicht verletzt habe, greife nicht durch. Die Beweisaufnahme habe im Beisein des Prozeßbevollmächtigten des Klägers stattgefunden. Dieser hätte, wenn er der Meinung gewesen wäre, die Ermittlungen des FG reichten nicht aus, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung entsprechende Beweisanträge stellen müssen. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gemachten Hinweise auf vorher benannte Zeugen hätten derartige Beweisanträge nicht ersetzen können. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers habe bereits nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung, in der die Zeugen und das Beweisthema angegeben gewesen seien, auf die Ladung weiterer Zeugen dringen können, wenn er auf deren Aussagen besonderen Wert gelegt hätte. Auch das habe der Prozeßbevollmächtigte nicht getan. Der Kläger könne sich jetzt nicht mehr darauf berufen, daß das FG seine Aufklärungspflicht verletzt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Vorentscheidung ist rechtsfehlerhaft, weil das FG seine Pflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Ermittlung des Sachverhalts verletzt hat.
Soweit das FG die Klage abgewiesen und den Steuerbescheid als rechtmäßig angesehen hat, hat es seine Entscheidung darauf gestützt, der Kläger habe die gesamte - vom FG bezeichnete - Heizölmenge als Dieselkraftstoff bereitgehalten und diese Menge deshalb nach dem regelmäßigen Steuersatz zu versteuern (§ 12 Abs. 9 Satz 1 des Mineralölsteuergesetzes - MinöStG -). Diese Schlußfolgerung des FG beruht auf dessen Überzeugung, der Kläger habe für die genannte Menge Heizöl keine zweckgerechte Verwendungsmöglichkeit gehabt. Zu dieser Überzeugung ist das FG u. a. aufgrund seiner Feststellung gelangt, der Kläger habe in dem für den Streitfall maßgebenden Zeitraum nicht erhebliche Mengen Heizöl zum Betrieb der Futterküche verwendet.
Gegen diese Feststellung hat der Kläger zulässige und begründete Revisionsgründe geltend gemacht. Den Ausführungen des Klägers in der Revisionsbegründungsschrift ist die Rüge zu entnehmen, das FG habe bei der vorgenannten Feststellung seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es von ihm - dem Kläger - gestellte Beweisanträge übergangen habe.
a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Zur Begründung seiner Rüge hat der Kläger in der Revisionsschrift auf seine Ausführungen in dem Schriftsatz an das FG vom 10. Oktober 1980 (S. 6 bis 8) verwiesen, in dem er u. a. folgendes ausgeführt hat:
Ein wesentlicher Heizölverbraucher auf seinem Anwesen sei der zur Futterbereitung für die Schweinemast betriebene Kessel gewesen. Täglich habe ein Bedarf an Viehfutter für . . . Schweine in Mast bestanden. Diese hätten täglich etwa . . . Zentner Futter erhalten. Den Hauptanteil hätten Kartoffeln gebildet. In dem Kessel seien täglich zwischen . . . und . . . Zentner Kartoffeln gedämpft worden. Der Restanteil der benötigten Futtermenge sei mit Trockenfutter aufgefüllt worden. Der Kessel habe ein Fassungsvermögen von . . . Liter gehabt. Um die benötigte Kartoffelmenge zu dämpfen, habe der Kessel täglich zweimal beheizt werden müssen. Bei einem Heizvorgang habe er durchschnittlich 2 1/2 bis 3 Stunden gelaufen. Im Winter habe täglich 1 Kessel extra laufen müssen, um Wasser für die Tiere zu kochen. Berücksichtige man, daß der Kessel fast täglich benutzt worden sei, und lege man einen Heizölbedarf von 15 bis 20 Liter je Tag zugrunde, ergebe sich allein für den Kessel ein Heizölbedarf in der Größenordnung von 6 500 bis 7 000 Liter jährlich. Der tatsächliche Verbrauch dürfte noch höher anzusetzen sein.
Zum Beweis hat der Kläger sich auf die in der Klageschrift benannten Beweismittel bezogen, in der er als Beweis für den jahrelangen Betrieb des Heizkessels mit Heizöl ,,bis in jüngster Zeit", für die zweimalige Befüllung des Kessels mit Kartoffeln und sonstigem Material je Tag zur Futterbereitung, für das Kochen des Futters, für die Verwendung von etwa 15 bis 20 Liter Heizöl je Tag zu diesem Zweck und für den Viehbestand das Zeugnis zweier mit Namen und Anschrift bezeichneter Personen angeboten und für den Futterbedarf die Einholung eines Gutachtens eines landwirtschaftlichen Sachverständigen angeregt hat.
Die vorgenannten Ausführungen des Klägers erfüllen die Voraussetzungen einer zulässigen Verfahrensrüge. Der Kläger hat die Tatsachen bezeichnet, die die Verletzung der Aufklärungspflicht durch das FG ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 120 Anm. 20), und die übergangenen Beweisantritte unter Bezeichnung der Beweisthemen und der Stellen angegeben, an denen die Beweisantritte erfolgt sind. Den Ausführungen des Klägers ist darüber hinaus auch zu entnehmen, weshalb das Urteil des FG auf der gerügten Verletzung der Aufklärungspflicht beruhen kann.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge ergeben sich nicht aus dem Einwand des HZA, der Kläger habe - vor allem - in der mündlichen Verhandlung nicht auf die Verwirklichung seiner Beweisantritte gedrängt. Der Kläger hat dargelegt, daß er in der mündlichen Verhandlung auf die Notwendigkeit hingewiesen habe, seinen Beweisanträgen zu folgen.
b) Dem vorstehenden Einwand des HZA kann auch unter dem Gesichtspunkt des Verlustes des Rügerechts nicht gefolgt werden. Der Kläger hat sein Recht, mit der Revision einen Verfahrensmangel zu rügen, zumindest dann nicht verloren, wenn er den Verfahrensmangel in der für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen mündlichen Verhandlung gerügt hat (§ 155 FGO, § 295 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Bei Beachtung dieses Grundsatzes ist die Rüge des Verfahrensmangels in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung der Vorinstanz als Tatsache i. S. des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO anzusehen. Das Revisionsgericht hat demnach ihr Vorliegen zu prüfen und notfalls die dazu erforderlichen Feststellungen zu treffen (vgl. Gräber, a.a.O., § 118 Anm. 9 C a).
Aufgrund des Vorbringens beider Beteiligten kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Beachtung seiner Beweisanträge gefordert hat. Auch das HZA räumt ein, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG auf seine früher gestellten Beweisanträge hingewiesen hat. Darin ist eine - bereits in der Vorinstanz erhobene - Rüge der Nichtbeachtung seiner Beweisanträge durch das FG i. S. des § 295 ZPO zu erblicken. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob eine derartige Rüge - schon - aus einem schlüssigen Verhalten des Klägers hätte entnommen werden können, und ob der Kläger - etwa durch den in der Vorentscheidung wiedergegebenen Vortrag - die Nichtbeachtung seiner Beweisantritte durch das FG stillschweigend beanstandet hat (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 14. Aufl., § 295 Anm. 2 b, cc; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 295 Anm. 2 C b, aa, dd).
c) Das FG hat dadurch gegen seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, daß es die Beweisantritte des Klägers zu den von diesem angegebenen Beweisthemen nicht beachtet hat. Dazu wäre es u. a. zwar dann befugt gewesen, wenn es die Richtigkeit der Tatsachen, die durch die Aussagen der vom Kläger benannten Zeugen und durch das von ihm angeregte Sachverständigengutachten hätten bewiesen werden sollen, unterstellt hätte (vgl. auch Urteil des Senats vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, 307, BStBl II 1978, 311). Das ist aber nicht geschehen.
Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Bekundungen der vom Kläger benannten Zeugen und das Ergebnis des von ihm angeregten Sachverständigengutachtens für die Entscheidung des FG hätten bedeutsam sein können. Das FG ist zwar aufgrund der Berücksichtigung anderer Beweismittel zu einem von den Darlegungen des Klägers über die Bekundungen der Zeugen abweichenden Ergebnis gelangt. Diese Art der Tatsachenfeststellung war aber mit der Aufklärungspflicht des FG nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO deshalb nicht vereinbar, weil sie nicht unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel erfolgt ist (vgl. BFHE 124, 305, 307, BStBl II 1978, 311; Gräber, a.a.O., § 76 Anm. 2).
2. Da schon die Aufklärungsrüge hinsichtlich der Verwendung von Heizöl für die vorgenannte Futterbereitung zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, braucht der Senat über die weiteren, vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen nicht zu entscheiden.
Anlaß dazu besteht auch nicht deshalb, weil die Aufklärungsrüge nur die Entscheidung des FG hinsichtlich eines Teils der Mineralölmenge betrifft, die der Entscheidung des FG zugrunde liegt. Dieser Umstand würde nur dann zu einer Entscheidung auch über die weiteren Verfahrensrügen des Klägers zwingen, wenn die Aufklärungsrüge wegen der Verwendung von Mineralöl zur Futterbereitung es nicht rechtfertigen würde, die Vorentscheidung insgesamt aufzuheben. Die Aufklärungsrüge zwingt aber schon deshalb zu einer Aufhebung der Vorentscheidung in vollem Umfang, weil nicht erkennbar ist, in welcher - genauen - Menge Heizöl von der Verletzung der Aufklärungspflicht betroffen ist. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, daß das FG aufgrund der Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen zur Verwendung des Mineralöls für die Futterbereitung nicht wieder zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe das streitbefangene Heizöl als Dieselkraftstoff bereitgehalten und sei deshalb nach § 12 Abs. 9 Satz 1 MinöStG zu Recht in Anspruch genommen worden.
Fundstellen
Haufe-Index 415225 |
BFH/NV 1988, 308 |