Leitsatz (amtlich)

1. An die Qualifikation der Unterrichtstätigkeit als tarifbegünstigte wissenschaftliche Nebentätigkeit sind strenge Anforderungen zu stellen.

2. Die Tätigkeit eines hauptamtlich an einem neusprachlichen Gymnasium tätigen Studienrats als Dozent an einem Abendgymnasium kann wissenschaftlicher Art sein.

 

Normenkette

EStG 1964 § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1964, ob dem Revisionsbeklagten (Stpfl.) für Einkünfte als Dozent an einem Abendgymnasium die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG zusteht. Der Stpfl. - Studienrat an einem neusprachlichen Gymnasium - besitzt die Lehrbefähigung für den Unterricht an höheren Schulen in den Sprachen Englisch und Französisch. Daneben erteilte er als Dozent an einem Abendgymnasium Englisch-Unterricht. Im Jahre 1964 unterrichtete er mit durchschnittlich vier Wochenstunden eine Gruppe, deren Aufnahmevoraussetzung die mittlere Reife war. Für diese Tätigkeit bezog er 1964 Einkünfte von 2 560 DM. Das FA faßte auch in der Einspruchsentscheidung für die Einkommensteuer 1964 diese Bezüge mit den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zusammen und versagte die vom Stpfl. beantragte Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG.

Die Klage des Stpfl. hatte Erfolg. Das FG begründete seine Entscheidung wie folgt. Die Tätigkeit des Stpfl. als Dozent am Abendgymnasium sei entgegen der Ansicht des FA eine selbständige "wissenschaftliche" Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 1 EStG. Eine Lehrtätigkeit sei bereits dann als "wissenschaftlich" einzustufen, wenn sie über eine bloße Weitergabe von Wissensstoff hinausgehe, d. h. wenn sie hinsichtlich des Ausbildungsganges, der Erarbeitung der Lernmethode und der Auswahl des Lehrstoffs besondere Anforderungen an den Dozenten stelle. Diese Voraussetzung sei für die Dozententätigkeit an einem Abendgymnasium gegeben. für den Unterricht an einer Abendschule gebe es nämlich keine verbindlichen Lehrpläne und Unterrichtsmittel. Infolge der Besonderheiten, die eine Abendschule gegenüber einer allgemeinen höheren Schule aufweise (Altersund Vorbildungsunterschiede, Verbindung von Berufstätigkeit und Schulausbildung) sei der Dozent in besonderem Maße genötigt, nach der Gegebenheit der jeweiligen Gruppe den Lehrstoff auszuwählen, den Unterrichtsplan festzulegen und die geeignete Methode zu erarbeiten. Diese Anforderungen gingen erheblich über eine schematische Weitergabe von Wissensstoff hinaus, so daß diese Tätigkeit als wissenschaftlich im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG anzusehen sei. Auch die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes seien gegeben, insbesondere sei die Lehrtätigkeit des Stpfl. am Abendgymnasium von seiner hauptberuflichen Tätigkeit abgrenzbar und nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu rechnen. Letzteres ergebe sich allein schon daraus, daß der Kläger nur vier Wochenstunden am Abendgymnasium unterrichte und es somit an einer festen Eingliederung in den Schulbetrieb fehle.

Hiergegen wendet sich der Revisionskläger (FA) mit der Revision, mit der Verletzung geltenden Rechts gerügt wird. Das FA macht geltend, daß sich der Unterricht an einem Abendgymnasium nur unwesentlich von dem Unterricht an einem Tagesgymnasium unterscheide, daß nicht die Unterrichtsmethode, sondern nur der dargebotene Lehrstoff selbst die Tätigkeit zu einer wissenschaftlichen mache.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Die Vorentscheidung läßt eine Verletzung geltenden Rechts nicht erkennen. Sie befindet sich im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die im allgemeinen an den Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit keine strengen Anforderungen stellt (Urteile des BFH IV 73/52 U vom 30. April 1952, BFH 56, 425, BStBl III 1952, 165; VI 36/55 U vom 14. März 1958, BFH 66, 662, BStBl III 1958, 255, und VI 29/59 S vom 24. April 1959, BFH 68, 504, BStBl III 1959, 193). Wohl ist danach der Begriff wissenschaftliche Tätigkeit in § 34 EStG nicht eng auszulegen. Daraus, daß die unterrichtende Tätigkeit in § 34 Abs. 4 EStG nicht aufgeführt ist, muß allerdings der Schluß gezogen werden, daß an die Qualifikation der unterrichtenden Tätigkeit, wenn sie wissenschaftlicher Natur sein soll, erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Nicht jede unterrichtende Tätigkeit ist ohne weiteres wissenschaftlicher Natur, und zwar selbst dann nicht, wenn sie von einem akademisch Vorgebildeten ausgeübt wird. Es kommt auf die Umstände des einzelnen Falles an, vor allem auf den Stoff und die Form der Darbietung. Der Unterrichtende muß in der Lage sein, seinen Unterricht in der für wissenschaftliche Vorträge angemessenen qualifizierten Form zu halten. Der Vorbildung der Hörer und der Frage, ob die Hörer durch den Unterricht die Fähigkeit zu eigener wissenschaftlicher Tätigkeit erhalten sollen, kann im Rahmen der Gesamtwürdigung von Bedeutung sein.

Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten konnte das FG die Tätigkeit des Stpfl. entgegen der Auffassung des FA hinsichtlich ihrer Wissenschaftlichkeit ebenso behandeln wie die eines Dozenten an einer technischen Abendschule für Facharbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung (vgl. VI 29/59 S, a. a. O.), dem für die Einkünfte aus dieser Tätigkeit die Vergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG zuerkannt wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425910

BStBl II 1968, 273

BFHE 1968, 51

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