Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG kommt auch dann in Betracht, wenn Kapitalabfindungen nach den Vorschriften des Bundesversorgungsrechts gewährt werden.
Die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG kann nicht gewährt werden, wenn eine Kapitalabfindung vom Berechtigten aus in seiner Person liegenden Gründen nicht beansprucht worden ist.
Normenkette
GrEStG § 8
Tatbestand
Es ist streitig, ob die Grunderwerbsteuervergünstigung nach § 8 GrEStG gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung einer Kapitalabfindung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vermutlich gegeben waren, die Kapitalabfindung aber nicht beansprucht worden ist.
I. - Der Bf. ist Schwerkriegsbeschädigter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H. Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 18. Juni 1955 erwarb er ein bebautes Grundstück. Gegen die Grunderwerbsteuerfestsetzung vom 15. Juli 1955 wandte der Bf. ein, auf den Erwerbsvorgang sei die Vergünstigungsvorschrift des § 8 GrEStG anwendbar. Sein Antrag vom 27. Juni 1955 auf Gewährung einer Kapitalabfindung zum Erwerb des Grundstücks war zunächst vom Landesversorgungsamt durch Bescheid vom 2. Februar 1956 abgelehnt worden, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Bf. durch Bescheid vom 6. Januar 1956 mit Wirkung vom 1. März 1956 auf 30 v. H. herabgesetzt worden war und somit die Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 BVG nicht erfüllt waren. Nachdem durch Sozialgerichtsurteil vom 27. Februar 1958 festgestellt worden war, daß der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit ununterbrochen 50 v. H. betrage, beantragte der Bf. am 16. Juni 1958 beim Landesversorgungsamt, den Antrag vom 27. Juni 1955 auf Bewilligung einer Kapitalabfindung wieder aufleben zu lassen, erklärte aber auf Rückfrage des Landesversorgungsamts am 18. Juli 1958, daß sich inzwischen die Voraussetzungen hinsichtlich des Kapitalbedarfs geändert hätten und daß es deshalb überflüssig sei, einen neuen Antrag zu stellen. Es gehe ihm zur Zeit nicht mehr um die Zahlung einer Kapitalabfindung, sondern um die Feststellung, daß im Zeitpunkt seines früheren Antrages die Voraussetzungen für die Gewährung einer Kapitalabfindung und damit der Grunderwerbsteuervergünstigung vorgelegen hätten. Nach einer Bescheinigung des Landesversorgungsamts vom 1. September 1958 war die Frage, ob eine nützliche Verwendung der Kapitalabfindung gewährleistet sei (ß 73 Abs. 1 Ziff. 4 BVG), wegen der auf 30 v. H. herabgesetzten Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht geprüft worden; es lasse sich heute nicht mehr feststellen, ob dem Antrag im Hinblick auf die damals verfügbaren Mittel entsprochen worden wäre. In einer Bescheinigung vom 31. Oktober 1958 äußerte das Landesversorgungsamt, dem Bf. wäre, wenn der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zur Zeit der Entscheidung 50 v. H. betragen habe, die Kapitalabfindung aller Wahrscheinlichkeit nach bewilligt worden. Mit Sicherheit könne dies nur in einem neuen Verfahren entschieden werden.
Der Bf. vertrat die Auffassung, § 8 GrEStG müsse schon dann anwendbar sein, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Kapitalabfindung vorlägen; nicht entscheidend könne sein, ob das Grundstück tatsächlich mit Hilfe einer Kapitalabfindung erworben worden sei. Dies ergebe sich auch aus § 8 Abs. 3 GrEStG der zumindest nach seinem Grundgedanken entsprechend anwendbar sein müsse.
Einspruch und Berufung waren erfolglos. Das Finanzgericht kam wie das Finanzamt zu dem Ergebnis, daß nach dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 1 GrEStG das Grundstück mit Hilfe der Kapitalabfindung erworben worden sein müsse. Dies setzte, wie die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil II 30/53 S vom 3. Juni 1953, BStBl 1953 III S. 211, Slg. Bd. 57 S. 550) zur Zwischenfinanzierung zeige, voraus, daß stets wenigstens ein mittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Kapitalabfindung und Grundstückserwerb bestehe. Aus § 8 Abs. 3 GrEStG ergebe sich nichts Gegenteiliges, da diese Vorschrift nur die Fälle betreffe, in denen eine Kapitalabfindung mangels Mittel nicht gewährt werden könne.
Mit der Rb. macht der Bf. unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen geltend, es handele sich um einen Sonderfall, der so entschieden werden müsse, wie wenn seine Sache geordnet verlaufen wäre.
Entscheidungsgründe
II. -
Der Rb. muß ebenfalls der Erfolg versagt bleiben.
Die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG ist - abgesehen von den sonstigen Voraussetzungen - zu gewähren, wenn ein Kriegsbeschädigter ein Grundstück mit Hilfe einer ihm nach den Vorschriften des Reichsversorgungsrechts gewährten Kapitalabfindung erwirbt. Der erkennende Senat konnte es in dem eine Kapitalabfindung nach dem Häftlingsgesetz betreffenden Urteil II 167/60 U vom 13. Dezember 1961 (BStBl 1962 III S. 67 - 68 erste Spalte Abs. 1 am Ende -, Slg. Bd. 74 S. 175 - 178 Abs. 1 am Ende -) dahingestellt sein lassen, ob § 8 GrEStG sinngemäß anwendbar ist, wenn die Kapitalabfindung nach dem Bundesversorgungsgesetz gewährt wird. Der Senat tritt nunmehr der Auffassung von Boruttau-Klein (Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 7. Auflage 1963, Textziffer 12 am Ende zu § 8, S. 307) bei, daß es auf Grund der nach § 1 Abs. 2 StAnpG bei der Auslegung der Steuergesetze zu berücksichtigenden Entwicklung der Verhältnisse im Sinne der Vergünstigung des § 8 Abs. 1 GrEStG liegt, sie auf das jetzt geltende (Bundes-) Versorgungsrecht anzuwenden. Das gilt um so mehr, als das Bundesversorgungsgesetz an die Stelle des Reichsversorgungsrechts getreten ist (vgl. § 84 Abs. 2 BVG in der Fassung vom 20. Dezember 1950, BGBl I S. 791 - 804 -, insbesondere auch § 85 a. a. O.). Das BVG hat die durch das Kriegsende im Jahre 1945 unterbrochene territorialeinheitliche Versorgung der Kriegsopfer für die Folgen von Schäden an Leib und Leben wiederhergestellt und lediglich die bis 1945 nach dem Reichsversorgungsrecht unterschiedliche Versorgung bestimmter Personengruppen vereinheitlicht (Wilke, Handkommentar zum Bundesversorgungsgesetz, Vorbemerkung Abs. 1 auf S. 11). Demnach fallen auch die nach den Vorschriften des BVG gewährten Kapitalabfindungen in den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 GrEStG. Dem stehen die Ausführungen des Urteils II 167/60 U, a. a. O., nicht entgegen, daß nur der Landesgesetzgeber Steuerbefreiung über den Wortlaut des § 8 Abs. 1 GrEStG hinaus gewähren könne, weil die Grunderwerbsteuer nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 des Grundgesetzes (GG) als Steuer mit örtlich bedingtem Wirkungskreis der Landesgesetzgebung unterliege. Diese Darlegung kann sich nur auf die gesetzliche Einführung einer sachlich neuen Steuerbefreiung beziehen. Bei Begünstigung eines Grundstückserwerbs mit Hilfe einer Kapitalabfindung eines Grundstücks handelt es sich aber nicht um eine sachlich neue Begünstigung, sondern um Fortführung der alten Begünstigung in Fällen einer Kapitalabfindung nach dem Reichsversorgungsrecht, die auf einer der Rechtsprechung zustehenden Gesetzesauslegung beruht.
Die Steuervergünstigung des § 8 GrEStG setzt außerdem voraus, daß das Grundstück mit Hilfe einer Kapitalabfindung erworben wird. Auch bei der gerade hinsichtlich des § 8 GrEStG gebotenen und vom Senat geübten nicht engen Auslegung dieser Befreiungsvorschrift (vgl. z. B. Urteile II 30/53 S, a. a. O.; II 12/54 U vom 20. Oktober 1954, BStBl 1954 III S. 384, Slg. Bd. 59 S. 455; II 240/57 U vom 16. April 1958, BStBl 1958 III S. 240, Slg. Bd. 66 S. 625) kann sich der Senat die Meinung des Bf. nicht zu eigen machen, zur Anwendung des § 8 GrEStG müsse es bereits genügen, daß objektiv die Voraussetzungen der Kapitalabfindung gegeben seien, auch wenn der Anspruchsberechtigte die Kapitalabfindung nicht (mehr) beanspruche.
Bei der Anwendung eines Gesetzes ist grundsätzlich von dessen Wortlaut auszugehen (vgl. insoweit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11 S. 126, 130). Eine vom Wortlaut abweichende Gesetzesauslegung wäre nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nur ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die wörtliche Auslegung dem Willen des Gesetzes offensichtlich widersprechen und zu einem mit der wirtschaftlichen Vernunft nicht in Einklang stehenden sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. insoweit zuletzt das Urteil des Senats II 154/61 U vom 16. Dezember 1964 - BStBl 1965 III S. 134 -). Dies trifft aber im Streitfall nicht zu. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut erfordert die Anwendbarkeit der Steuervergünstigung den Erwerb des Grundstücks mit Hilfe der gewährten, also tatsächlich empfangenen und in zulässiger Weise für den Grundstückserwerb verwendeten Kapitalabfindung. Es muß, wie der Senat mehrfach ausgesprochen hat (vgl. Urteile II 30/53 S und II 12/54 U, a. a. O.) wenigstens ein mittelbarer wirtschaftlicher und auch ein gewisser zeitlicher Zusammenhang zwischen Grundstückserwerb und Kapitalabfindung bestehen. Wird eine Kapitalabfindung vom Anspruchsberechtigten aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht in Anspruch genommen, so liegt ein solcher Zusammenhang überhaupt nicht vor. Nicht zu Unrecht weist das Finanzamt darauf hin, daß dem durch § 8 GrEStG begünstigten Personenkreis aus sozialen Gründen auch steuerlich der Erwerb eines Grundstücks erleichtert werden soll, wenn er von der Kapitalabfindungsmöglichkeit Gebrauch macht. Dieses für den Regelfall vom Gesetz gewollte Ergebnis - mag es im Einzelfall als unbefriedigend angesehen werden - kann auch nicht allgemein als sinnwidrig in einem Maße bezeichnet werden, daß die Vergünstigung entgegen dem Wortlaut des § 8 GrEStG in Fällen der vorliegenden Art von Rechts wegen gewährt werden müsse. Denn die grundsätzliche Koppelung der Steuervergünstigung mit der tatsächlich beantragten und gewährten Kapitalabfindung kann wegen der durch die letztere erreichten Verstärkung der wirtschaftlichen Kraft zum Erwerb eines Grundstücks nicht als unzulässig gelten.
Unstreitig hat der Bf. eine Kapitalabfindung nicht erhalten; er beansprucht sie auch nicht mehr. Die Steuervergünstigung des § 8 Abs. 1 GrEStG muß deshalb versagt werden, ohne daß es zur Beantwortung der streitigen Rechtsfrage noch darauf ankäme, ob dem Bf. die Kapitalabfindung auf Grund seines - nicht weiterverfolgten - Begehrens, seinen Kapitalabfindungsantrag wieder aufleben zu lassen, mit Sicherheit gewährt worden wäre und warum später - wie der Bf. selbst bemerkt - die Voraussetzungen für die Kapitalabfindung entfallen sind.
Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 GrEStG spricht nicht gegen, sondern für das vorstehende Ergebnis.
Diese Vorschrift kennzeichnet sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut als eine nur unter bestimmten Voraussetzungen getroffene Ausnahmeregelung von dem zu 2. dargestellten Grundsatz der Koppelung zwischen Steuervergünstigung und tatsächlich gewährter Kapitalabfindung. Zwar bestimmte § 21 der Durchführungsbestimmungen zum Grunderwerbsteuergesetz vom 22. Januar 1935 (Reichsministerialblatt S. 38, RStBl S. 97), der Vorläufer des § 8 Abs. 3 GrEStG, ausdrücklich, daß die Steuervergünstigung auch dann eintrete, "wenn dem Kriegsbeschädigten ... eine Kapitalabfindung lediglich mangels Mittel nicht gewährt werden" konnte. Demgegenüber enthält § 8 Abs. 3 GrEStG nunmehr den Zusatz, daß "dem Kriegsbeschädigten oder ... die von ihnen beantragte Kapitalabfindung nicht zur Verfügung gestellt werden kann, obwohl die Voraussetzungen für die Kapitalabfindung vorliegen". Aus diesen unterschiedlichen Formulierungen kann jedoch die vom Bf. vermutete änderung der Rechtslage (wonach es auf den Grund der Nichtgewährung der Kapitalabfindung nicht mehr ankomme) nicht gefolgert werden. Vielmehr zeigt schon der Wortlaut des § 8 Abs. 3 GrEStG, daß die beiden Vorschriften in ihrem sachlichen Gehalt übereinstimmen. Denn der Anspruchsberechtigte muß die Kapitalabfindung ausdrücklich beantragt haben und sie muß ihm, obwohl die Voraussetzungen für ihre Gewährung vorlagen, trotz seines Antrages aus anderen, also im Bereich der Bewilligungsbehörde liegenden Gründen nicht gewährt werden können. Nur diese Möglichkeit rechtfertigt auch im Interesse der gleichmäßigen steuerrechtlichen Behandlung die Steuervergünstigung, nicht aber auch der Fall, in dem der Anspruchsberechtigte von sich aus - aus welchen in seiner Person liegenden Gründen auch immer - eine Kapitalabfindung nicht beantragt oder auf die Auszahlung der beantragten Kapitalabfindung verzichtet. Da dem Bf. die Kapitalabfindung mangels eines (neuen) Antrages und wegen eigenen Verzichts nicht gewährt worden ist, scheidet auch § 8 Abs. 3 GrEStG als Vergünstigungsgrundlage aus.
Der Senat verkennt nicht die besonderen Umstände dieses Einzelfalles, auf die der Bf. verweist, kann jedoch - nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden - aus Rechtsgründen zu einer anderen Entscheidung nicht kommen. Ein im Einzelfall unbefriedigendes Ergebnis kann nicht in dem die Steuerfestsetzung betreffenden Verfahren, sondern nur durch eine Billigkeitsmaßnahme, gegebenenfalls wegen Härte in der Sache, nach § 131 AO durch die Finanzverwaltungsbehörden ausgeräumt werden.
Der Senat hält es in diesem Sonderfall für angebracht, dem Bf. die Rechtsmittelgebühr für die Rb. und die dem Bundesfinanzhof erwachsenen Auslagen zu erlassen (ß 319 AO).
Fundstellen
Haufe-Index 411506 |
BStBl III 1965, 174 |
BFHE 1965, 482 |
BFHE 81, 482 |