Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff der ,,unbilligen Härte" i. S. von § 361 Abs. 2 AO 1977
Leitsatz (NV)
Eine ,,unbillige Härte" i. S. des § 361 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ist im Falle der Zusammenveranlagung von Eheleuten nicht darin zu sehen, daß Einkommensteuerforderungen, die sich aus der Versagung eines beantragten Verlustausgleichs für die im Gewerbebetrieb des Ehemannes erzielten Verluste ergeben, im Verhältnis zwischen den Eheleuten allein die Ehefrau treffen, weil nur sie im maßgeblichen Veranlagungszeitraum positive Einkünfte erzielt hat.
Normenkette
AO 1977 § 361 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
Der Ehemann (Kläger) betrieb von 1952 bis 1981 in X einen Großhandel mit Getränken. Er erzielte aus dem Getränkegroßhandel in allen Jahren Verluste, die sich für den gesamten Zeitraum auf ca. 1 500 000 DM beliefen.
Im Anschluß an eine Außenprüfung bei dem Kläger ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die in den Streitjahren 1971 bis 1973 erzielten Verluste aus dem Getränkehandel nicht mehr zum Ausgleich mit den positiven Einkünften der Kläger zu. Positive Einkünfte ergaben sich insbesondere aus der Beteiligung der Klägerin an verschiedenen gewerblichen Unternehmen. Der Einspruch gegen die gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheide hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen die Einspruchsentscheidung abgewiesen. Die Kläger haben gegen das Urteil des FG Revision eingelegt und beim FA im April 1984 beantragt, die Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1971 bis 1973 auszusetzen. Das FA lehnte den Antrag ab. Die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion (OFD) blieb erfolglos.
Auch die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs. 1 EStG, § 361 AO 1977).
Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sei ernstlich zweifelhaft. Das Finanzgericht (FG) habe die Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des Gewerbebetriebes zu Unrecht als ein erfolgversprechendes Streben nach positiven Einkünften definiert. Damit werde der Anwendungsbereich der Rechtsprechung zur sog. Liebhaberei in unzulässiger Weise ausgeweitet auf erfolglose Gewerbebetriebe.
Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide habe für die Kläger auch eine unbillige Härte zur Folge. Die Zahlung der rückständigen Steuern falle nämlich im Innenverhältnis allein der Klägerin zu, deren positive Einkünfte mit den Verlusten des Klägers aus dem Getränkegroßhandel verrechnet worden seien.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Beschwerdeentscheidung der OFD und die ablehnende Entscheidung des FA vom April 1984 aufzuheben und die Aussetzung der Vollziehung in Höhe folgender Beträge zu verfügen:
Einkommensteuer 1971 bis 1973 ... DM
Ergänzungsabgabe 1971 bis 1973 ... DM
Stabilitätszuschlag 1973 ... DM.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat die Klage zu Recht als zulässig angesehen. Der Senat teilt nicht die Auffassung, im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung verdränge § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als spezialgesetzliche Regelung die allgemeinen Vorschriften über die Klagearten. Der Senat hält vielmehr an der bisherigen Rechtsprechung fest, daß ein Steuerpflichtiger, der die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts des FA anstrebt, wählen kann, ob er gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung der OFD Klage beim FG erheben oder den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unmittelbar beim FG als Gericht der Hauptsache stellen will (vgl. Beschluß vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199). Der Große Senat hat diese Auffassung durch Beschluß vom 24. Juni 1985 GrS 1/84 (BFHE 144, 124, BStBl II 1985, 587) bestätigt.
2. Das FG hat zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide (§ 361 Abs. 2 AO 1977) verneint. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf seine Ausführungen im Urteil VIII R 4/83 vom heutigen Tage.
3. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Vollziehung der angefochtenen Bescheide für die Kläger eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge haben würde.
Eine ,,unbillige Härte" i. S. von § 361 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AO 1977 liegt vor, wenn durch die sofortige Vollziehung dem Steuerpflichtigen wirtschaftliche Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind oder wenn gar die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen gefährdet wäre (BFH-Beschluß vom 31. Januar 1967 VI S 9/66, BFHE 87, 600, BStBl III 1967, 255). Daß diese Voraussetzungen bei ihnen erfüllt sind, haben die Kläger nicht dargelegt.
Eine unbillige Härte ist insbesondere nicht darin zu sehen, daß die Steuerforderungen, die sich aus der Versagung des Verlustausgleichs ergeben, im Verhältnis zwischen den Klägern allein die Klägerin treffen, weil nur sie in den streitigen Veranlagungszeiträumen positive Einkünfte erzielt hat. Der bis zum Erlaß der angefochtenen Bescheide gewährte Ausgleich der Verluste aus dem Getränkegroßhandel mit den positiven Einkünften der Klägerin war eine Folge des von den Klägern gewählten Besteuerungsverfahrens der Zusammenveranlagung (§ 26 b EStG). Hätte die Klägerin statt der Zusammenveranlagung die getrennte Veranlagung gewählt, so hätte sie von vornherein ihre Einkünfte aus den Beteiligungen an verschiedenen Kommanditgesellschaften in voller Höhe versteuern müssen. Zwar mag es richtig sein, daß die Klägerin dem Kläger nur deshalb erhebliche Beträge für den Getränkegroßhandel zur Verfügung stellte, weil sie darauf vertraute, die Verluste aus diesem Unternehmen bei der Einkommensteuerveranlagung geltend machen zu können. Dieses Vertrauen ist schon deshalb nicht schutzwürdig und kann eine Vollziehungsaussetzung nicht rechtfertigen, weil die für die Versagung des Verlustausgleichs maßgeblichen Rechtsgrundsätze in den Streitjahren bereits galten. Davon abgesehen, kann eine Vollziehungsaussetzung aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes auch deshalb nicht gewährt werden, weil eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte nach § 361 Abs. 2 Satz 2, 2. Alternative AO 1977 nicht aus allgemeinen Billigkeitsgründen in Betracht kommt; vielmehr muß die unbillige Härte gerade in der Vollziehung vor Unanfechtbarkeit des Bescheides liegen (BFH-Beschluß vom 11. Dezember 1969 II B 51/69, BFHE 97, 296, BStBl II 1970, 132). Das ist hier nicht ersichtlich.
Eine Vollziehungsaussetzung wegen unbilliger Härte ist auch nicht deshalb geboten, weil die Kläger für die bei Fälligkeit nicht entrichteten Steuern statt der Aussetzungszinsen in Höhe von 0,5 v. H. pro Monat (§ 238 AO 1977) die höheren Säumniszuschläge (§ 240 AO 1977) entrichten müssen. Dieser Zinsnachteil bei Ablehnung eines Aussetzungsantrags ist nicht ungewöhnlich. Er trifft alle Steuerpflichtigen, die eine festgesetzte Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichten.
Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß eine unbillige Härte auch nicht deshalb zu bejahen ist, weil die Kläger im Falle ihres Obsiegens im Verfahren der Hauptsache eine Verzinsung der zu erstattenden Beträge nur nach Maßgabe des § 236 AO 1977 fordern könnten. Daß Erstattungszinsen nur im Rahmen dieser Vorschrift geleistet werden, ist eine vom Gesetzgeber gewollte Folge, die eine Vollziehungsaussetzung wegen unbilliger Härte nicht rechtfertigen kann.
Ob im vorliegenden Fall eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO 1977 in Betracht kommt, hat der Senat in diesem Verfahren nicht zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 414261 |
BFH/NV 1987, 277 |