Leitsatz (amtlich)
Die Befreiung von der Grunderwerbsteuer erstreckt sich beim Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung von Kleinwohnungen i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG Hessen (= § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG 1940) nicht nur auf die zu überbauende Fläche, sondern auch auf die zu den Kleinwohnungen gehörenden Hofräume und Hausgärten in dem ortsüblichen Verhältnissen entsprechenden Umfang.
Normenkette
GrEStG Hessen § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a; GrEStG Hessen § 4 Abs. 10
Tatbestand
Die Klägerin kaufte am 29. Januar 1970 zwei in Hessen gelegene Grundstücke (1078 qm und 1394 qm groß) und beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Hessen mit der Begründung, sie sei als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen anerkannt und werde auf den "erworbenen Grundstücken zwei Häuser in zweigeschossiger Bauweise mit insgesamt 8 Wohnungen" errichten. Das Finanzamt (FA) hielt (unter Hinweis auf den Erlaß des Hessischen Ministers der Finanzen vom 15. Februar 1962 - S 4506 - 5 - II/42) nur den Erwerb einer Teilfläche von 1600 qm (200 qm je Wohnung) für steuerfrei und setzte durch vorläufigen Bescheid vom 20. Juli 1970 die Grunderwerbsteuer auf 293,15 DM fest.
Mit der nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung. Sie ist der Auffassung, der ortsüblich für Nebenflächen anzuschlagende Umfang ergebe sich aus den Festsetzungen des Bebauungsplanes, an die sie sich gehalten habe. Das Gebäude auf dem Grundstück I habe eine überbaute Fläche von 227,95 qm, auf dem Grundstück II seien 213,33 qm überbaut. Der Erwerb der gesamten Grundfläche sei als zur Schaffung von Kleinwohnungen notwendig steuerfrei.
Das Finanzgericht (FG) hat unter Abänderung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen die Grunderwerbsteuer (vorläufig) auf 109,70 DM herabgesetzt. Es hat bei seiner Entscheidung § 4 Abs. 10 GrEStG Hessen entsprechend angewendet.
Mit der vom FG zugelassenen Revision begehrt das FA sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Es rügt Verletzung materiellen Rechts. Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten und hat unselbständige Anschlußrevision erhoben, mit der sie ihr Klagebegehren weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG Hessen (= § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG 1940) ist beim Kleinwohnungsbau im Sinne der Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen von der Besteuerung ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung von Kleinwohnungen durch ein Unternehmen, das als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen oder als Organ der staatlichen Wohnungspolitik anerkannt ist. Über den Umfang der Befreiung sagt die Vorschrift selbst nichts aus.
Die Vorgängervorschrift zu § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG 1940, nämlich § 8 Nr. 9 GrEStG 1919/1927 (RGBl 1919, 1617; RGBl I 1927, 72), befreite den Erwerb zur Schaffung gesunder Kleinwohnungen. Zu diesen Vorschriften hatte der Reichsfinanzhof (RFH) erkannt, daß sich die Befreiung nicht nur auf den Erwerb der zu überbauenden Fläche, sondern auch auf die zu den Kleinwohnungen gehörenden Hofräume und Hausgärten erstrecke (Urteil vom 5. Januar 1922 II A 543/21, RFHE 8, 13), und zwar in einem den ortsüblichen Verhältnissen entsprechenden Umfang (Urteil vom 19. November 1929 II A 491/29, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Nr. 9 Abt. II, Rechtsspruch 5). Die Erstreckung der Steuerbefreiung auf Zubehörland ergibt sich für § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG 1940 sowie die gleichlautende Vorschrift des Grunderwerbsteuergesetzes Hessen aus dem Kleinwohnungsbegriff des (auch für landesrechtliche Befreiungsvorschriften maßgebenden, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Oktober 1965 II 88/62 U BFHE 83, 538, BStBl III 1965, 694) § 6 Abs. 3 des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen - Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz - (WGG) vom 29. Februar 1940 (RGBl I 1940, 438) in Verbindung mit § 11 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGGDV) i. d. F. vom 24. November 1969 (BGBl I 1969, 2142). Nach § 11 Abs. 6 WGGDV dürfen andere Räume, Anlagen und Einrichtungen, die mit Kleinwohnungen verbunden sind, errichtet, erworben und überlassen werden, wozu z. B. Zubehörund Wirtschaftsräume, Gärten usw. gehören. Allerdings machen auch weder das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz noch die Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen Aussagen über das Ausmaß von Zubehör- und Gartenland. Andererseits enthalten die Ländergesetze zur Befreiung von Erwerbsvorgängen im Bereich des sozialen (steuerbegünstigten) Wohnungsbaues weitgehend eine deutliche umfangmäßige Begrenzung der Befreiung, so z. B. § 4 Abs. 10 GrEStG Hessen: insgesamt das Fünffache der überbauten Fläche, mindestens aber 600 qm; § 7 Abs. 1 Satz 1 GrEStG Baden-Württemberg: das Zwölffache der zu bebauenden Fläche; Art. 2 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG Bayern): das Sechs- bzw. Zwölffache der überbauten Fläche; § 1 a des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWo-BauG Nordrhein-Westfalen): das Zwölffache der überbauten Fläche; § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau Saarland: das Sieben- bzw. Zehnfache der überbauten Fläche, mindestens 800 qm, und § 4 des Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes (GrESBWG Schleswig-Holstein): das Zwölffache der überbauten Fläche. Die Grunderwerbsteuergesetze aller angeführten Länder enthalten eine § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GrEStG (wörtlich) entsprechende Befreiungsvorschrift. Eine nach Maßgabe dieser (einheitlichen) Befreiungsvorschrift zu gewährende Steuerbefreiung kann sich umfangmäßig nicht prinzipiell unterscheiden. Der Senat hält es nicht für zulässig, den Umfang der Befreiung beim Erwerb von Grundstücken zur Schaffung von Kleinwohnungen in Anlehnung an den jeweils unterschiedlichen Umfang der Befreiung bei Erwerben im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues zu bestimmen.
Der Senat ist vielmehr entgegen der Ansicht des FG der Auffassung, daß sich der Umfang der Befreiung nach wie vor nach den ortsüblichen Verhältnissen richtet. Die - die Gerichte ohnehin nicht bindende - Anweisung des Hessischen Ministers der Finanzen in dem o. a. Erlaß hält der Senat nicht für eine zutreffende Auslegung des Begriffes des ortsüblichen Umfanges, weil er gerade diesem durch Schematisierung nicht Rechnung trägt. Bei der Bestimmung des ortsüblichen Umfanges können die Festlegungen eines Bebauungsplanes einen Anhalt geben, weil sich in ihnen das spezifisch ortsübliche Ausmaß von Zubehör- und Gartenland widerspiegeln kann. Dies gilt allerdings nur dann, wenn das vom gemeinnützigen Bauträger erworbene Grundstück entsprechend den Festlegungen des Bebauungsplanes bebaut wird. Zum Inhalt des Bebauungsplanes sowie darüber, ob dieser bei der Errichtung der Gebäude eingehalten wurde, fehlt es an tatsächlichen Feststellungen.
Fundstellen
Haufe-Index 73109 |
BStBl II 1979, 416 |
BFHE 1979, 445 |