Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitrittsgebiet; Umwandlung einer PGH/ELG in e.G. ist übertragende
Leitsatz (NV)
- Hat der BFH entschieden, daß die Umwandlung einer PGH/ELG in eine e.G. eine übertragende ist, so sind nach § 126 Abs. 5 FGO FG und BFH hieran grundsätzlich im 2. Rechtsgang gebunden.
- Diese Bindung kann entfallen, wenn sich der vom BFH zugrunde gelegte Sachverhalt in entscheidungserheblicher Weise ändert oder wenn der BFH aufgrund des im 1. Rechtsgang vorliegenden und bekannten Sachverhalts keine Veranlassung hatte, eine Rechtsfrage zu prüfen.
- Da DDR-Recht, soweit nicht vom Bundesgesetzgeber übernommen, Landesrecht geblieben ist, ist es Sache des FG dessen Inhalt in tatsächlicher Hinsicht festzustellen. Ergeben diese Feststellungen einen neuen Sachverhalt, so entfällt insoweit die Bindung nach § 126 Abs. 5 FGO.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 126 Abs. 5; HwPGV §§ 4, 6, 6a, 9, 9a
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine eingetragene Genossenschaft mit Sitz im Beitrittsgebiet. Sie wurde aufgrund Statuts vom ... Februar 1991 im Genossenschaftsregister mit dem Hinweis eingetragen, daß sie durch Umwandlung einer Einkaufs- und Liefergenossenschaft (ELG) des Handwerks eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht entstanden sei.
Mit ihrer Klage wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermeßbetrag 1991 begehrt sie, den von der ELG des Handwerks im zweiten Halbjahr 1990 erwirtschafteten und festgestellten Verlust abzuziehen. Sie hatte hiermit im ersten Rechtsgang beim Finanzgericht (FG) Erfolg.
Auf die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) hob der erkennende Senat das Urteil des FG auf, wobei er im Grundsatz den Verlustabzug mit der Begründung versagte, daß die Umwandlung einer ELG in eine eingetragene Genossenschaft eine übertragende sei (Urteil vom 27. März 1996 I R 112/95, BFHE 180, 335, BStBl II 1996, 480). Unter Hinweis auf Angaben der Klägerin im Jahresabschluß zum 31. Dezember 1991, der Eintragung im Genossenschaftsregister vom ... Januar 1993 und auf Beuthien (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 1992, 1143, 1145) verwies der erkennende Senat die Sache an das FG zurück, damit dieses Feststellungen dazu treffe, ob die Klägerin vor dem ... Februar 1991 eine eingetragene Genossenschaft im Sinne des Genossenschaftsgesetzes (GenG) war.
Im zweiten Rechtsgang hat das FG hierzu u.a. festgestellt, daß am ... Juni 1946 unter der Fa. "Einkaufsvereinigung X" eine eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht errichtet und als solche im Genossenschaftsregister eingetragen und nicht gelöscht worden war. Ferner war diese Genossenschaft nach den Feststellungen des FG aufgrund Statuts vom ... März 1957 als ELG auch in das beim Rat des Kreises geführte Register eingetragen worden.
Das FG gab der Klage auch im 2. Rechtsgang statt und begründete dies mit der nach wie vor nicht gelöschten Eintragung der "Einkaufsvereinigung ..." im Genossenschaftsregister.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung der § 126 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO), §§ 3, 4 und 5 der Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 8. März 1990 --PGH-VO--(Gesetzblatt der DDR --GBl DDR-- I 1990, 164) und des § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 57 Abs. 4 Satz 2, § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 36 Abs. 5 a i.V.m. § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Auf die Revision des FA ist die Vorentscheidung wegen Verletzung des § 126 Abs. 5 FGO aufzuheben und die Sache erneut an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Gemäß § 126 Abs. 5 FGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs (BFH) zugrunde zu legen. Dieser Bindung unterliegen das FG und der erkennende Senat (z.B. BFH-Urteile vom 29. April 1993 IV R 26/92, BFHE 171, 1, BStBl II 1993, 720, m.w.N.; vom 7. August 1990 VII R 120/89, BFH/NV 1991, 569; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 126 Rdnr. 24, m.w.N.).
a) Im ersten Rechtsgang hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten, daß nach dem Vorverständnis des DDR-Gesetzgebers Produktionsgenossenschaft des Handwerks oder einer ELG des Handwerks (PGH/ELG) einerseits und eingetragene Genossenschaften (e.G.) andererseits unterschiedliche Rechtsgebilde waren (ebenso Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. September 1995 II ZR 236/94, Wertpapiermitteilungen IV 1996, 300), die Umwandlung einer PGH/ELG in eine e.G. eine übertragende ist und folglich nach allgemein geltenden Rechtsgrundsätzen eine e.G. nicht den Verlust einer PGH/ELG steuerlich geltend machen kann.
Da das GenG vom 1. Mai 1889 i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 in der DDR fortgalt, war es jedoch --jedenfalls rechtlich-- nicht ausgeschlossen, daß nach wie vor Genossenschaften im Sinne des GenG gegründet werden konnten. Da das FG weder Feststellungen zur Entwicklungsgeschichte der Klägerin noch zum Inhalt des vom Bundesgesetzgeber nicht übernommenen Recht der einschlägigen DDR-Normen getroffen hatte (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. August 1996 I R 85/95, BFHE 181, 437, BStBl II 1997, 194; vom 26. Juni 1996 II R 1/96, BFHE 180, 490, BStBl II 1996, 535; vom 4. Juli 1996 VII R 32/95, BFH/NV 1997, 317), war die Sache an das FG zurückzuverweisen, um festzustellen, ob die Klägerin bereits vor dem 19. Februar 1991 "e.G. im Sinne des GenG" (BFH in BFHE 180, 335, BStBl II 1996, 480, unter Nr. 2) war. Da PGH/ELG als solche nicht als rechtsidentisch mit einer e.G. angesehen wurden, konnte die Klage der Klägerin folglich nur Erfolg haben, wenn sie vor ihrer "Umwandlung" im Jahr 1991 eine e.G. und keine ELG war.
b) Nach den nunmehr vorliegenden Feststellungen des FG ist die als "Einkaufsvereinigung X" im Jahr 1946 gegründete e.G. im Jahr 1957 als ELG in das beim Rat des Kreises geführte Register eingetragen worden. Damit war Rechtsvorgängerin der Klägerin eine ELG, die nach den Ausführungen des erkennenden Senats im 1. Rechtsgang einer e.G. im Sinne des GenG nicht gleichgestellt war. Die Tatsache, daß Rechtsvorgängerin der ELG die "Einkaufsvereinigung X e.G" war und diese im Genossenschaftsregister eingetragen blieb, ist nicht entscheidungserheblich.
2. An der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist Kritik geübt worden (vgl. Drescher u.a. in Finanz-Rundschau --FR-- 1997, 713; Beuthien, Deutsches Steuerrecht 1997, 2001). Diese zielt im Kern, möglicherweise veranlaßt durch ein Mißverständnis der Zurückverweisung im 1. Rechtsgang, darauf hin, PGH/ELG trotz verbindlicher Musterstatute, Einrichtung gesonderter PGH/ELG-Register, Begründung der Rechtsfähigkeit mit Eintragung im PGH/ELG-Register (trotz ggf. bereits vorher erworbener Rechtsfähigkeit; vgl. Drescher, FR 1997, 713, 716) einer e.G. wegen "Artgleichheit" gleichzustellen. Da der erkennende Senat an seine --gegenteilige-- Auffassung nach § 126 Abs. 5 FGO gebunden ist, kann diese Kritik im streitgegenständlichen Verfahren zu keiner abweichenden Entscheidung führen. Im übrigen verdeutlichen höchstrichterliche Rechtsprechung und literarische Diskussion, wie zweifelhaft eine rechtliche Identität der PGH/ ELG und der e.G. im Sinne des GenG ist. Unter diesem Aspekt erscheinen wegen der nicht zu leugnenden Ähnlichkeit der beiden Rechtsgebilde die klarstellenden Regelungen in § 4 Abs. 5, §§ 6, 6a, 9, 9a PGH-VO (GBl DDR I 1990, 164 in der Fassung des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991, BGBl I 1991, 766, 787) geradezu geboten. Es ist objektiv nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber die Problematik verkannt oder die Fortgeltung des GenG und die Ähnlichkeit von PGH/ELG und e.G. übersehen hat (so z.B. Drescher, FR 1997, 713). Er hat vielmehr (zumindest) eine gesetzliche und damit nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) bindende Klarstellung herbeigeführt.
3. Die Entscheidung des FG ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, da dieses --aus seiner Sicht zu Recht-- bislang nicht die Verfassungsmäßigkeit des § 6 PGH-VO für den Fall der Umwandlung einer PGH in eine e.G. überprüft hat.
a) Die Bindung nach § 126 Abs. 5 FGO entfällt, wenn sich der bisher zugrunde gelegte Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Weise ändert oder wenn das Revisionsgericht aufgrund des im 1. Rechtsgang vorliegenden und bekannten Sachverhalts keine Veranlassung hatte, eine Rechtsfrage zu prüfen (vgl. z.B. BFH in BFHE 171, 1, BStBl II 1993, 720; BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 VII R 5/87, BFHE 151, 457, BStBl II 1989, 96, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Rdnr. 21, m.w.N.). Dazu gehört im Streitfall die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 6 PGH-VO. Der erkennende Senat hat sie in der Vorentscheidung weder ausdrücklich noch stillschweigend entschieden.
Die Rechtsgrundsätze der Entscheidung des BFH im Urteil vom 19. November 1970 IV 150/65 (BFHE 101, 36, BStBl II 1971, 209), wonach die Bindung auch hinsichtlich verfassungsrechtlicher Vorfragen besteht, selbst dann, wenn der BFH ohne erkennbare Prüfung von der Verfassungsmäßigkeit der Norm ausgegangen ist, gelten im Streitfall nicht. Dies ergibt sich aus der Besonderheit, daß DDR-Recht, soweit es nicht vom Bundesgesetzgeber in Bundesrecht transformiert worden ist, Landesrecht geblieben ist, dessen Inhalt nicht vom BFH, sondern von den Finanzgerichten in tatsächlicher Hinsicht (§ 118 Abs. 2 FGO) festzustellen ist (s. oben Nr. 2) und daher, solange keine Feststellungen dazu getroffen wurden, jedenfalls die Beachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) vom Revisionsgericht nicht --stillschweigend-- geprüft worden sein kann.
b) Die Sache wird daher zur Überprüfung der in der Literatur erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken (Drescher, a.a.O., Beuthien, a.a.O.; Fischer, FR 1996, 643) an das FG zurückverwiesen, damit dieses nunmehr den Inhalt der Normen feststellt, die --möglicherweise willkürlich-- PGH/ELG schlechter stellen als andere "sozialistische" Genossenschaften im Beitrittsgebiet. Der erkennende Senat hat zu dieser Frage --wenn auch noch nicht in abschließender Weise-- Stellung genommen. Auf den Beschluß vom heutigen Tag I B 169/98 wird hingewiesen.
c) Mit der Zurückverweisung der Sache erhält die Klägerin auch Gelegenheit darzulegen, daß sie in tatsächlicher Hinsicht die Voraussetzung für ihr rückwirkendes Entstehen zum 1. Juli 1990 nach § 50 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1 Abs. 5 des Gesetzes über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 28. Juli 1994 (BGBl I 1994, 1842, BStBl I 1994, 550) erfüllt und folglich der Verlustvortrag zu Unrecht zugunsten der ELG festgestellt wurde. Auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 9. Juni 1999 I R 92/98 (zur Veröffentlichung bestimmt) wird hingewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 422498 |
BFH/NV 2000, 63 |