Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzungswertbesteuerung nach § 52 Abs. 21 Satz 2 i.V. mit § 21 Abs. 2 EStG für Anbauten an eine eigengenutzte Wohnung
Leitsatz (NV)
Anbauten an eine eigengenutzte Wohnung, die in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit der ursprünglichen Wohnung stehen, schließen die Anwendung der sog. große Übergangsregelung nicht aus, wenn durch den Anbau die bauliche Struktur der ursprünglichen Wohnung nicht verändert wird.
Normenkette
EStG § 21 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 21 Sätze 1-3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Sie sind seit 1980 Eigentümer eines Bungalows, der zwei Wohnungen enthält; eine Wohnung (88 qm) ist vermietet, während die andere Wohnung (147 qm) von den Klägern und ihren Kindern selbst genutzt wird. Zwischen Mai 1995 und Juni 1996 erweiterten die Kläger die selbst genutzte Wohnung um einen Anbau mit einer Grundfläche von 76 qm. Der Anbau umfasst zwei Kinderzimmer, ein Bad sowie ein Arbeitszimmer; Alt- und Neubau sind durch einen Lichtschacht verbunden.
Im Streitjahr 1997 ermittelten die Kläger unter Inanspruchnahme der sog. großen Übergangsregelung des § 52 Abs. 21 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (EStG) die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch Einnahme-Überschuss-Rechnung unter Berücksichtigung eines Nutzungswertes für die erweiterte eigene Wohnung.
Nach einer Außenprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Fortführung der Nutzungswertbesteuerung. Im geänderten Einkommensteuerbescheid berücksichtigte das FA nur noch einen Werbungskostenüberschuss aus der Vermietung der Wohnung; für den Anbau gewährte das FA eine Steuerbegünstigung nach § 10e EStG sowie eine kindbedingte Entlastung gemäß § 34f EStG.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1165 veröffentlichten Urteil die Auffassung, dass die Fortführung der Nutzungswertbesteuerung nach der sog. großen Übergangsregelung für die gesamte Wohnung ausgeschlossen sei. Denn durch den Umbau sei die Wohnfläche wesentlich vergrößert worden; die neu geschaffene Fläche habe den Charakter der Wohnung und ihre Nutzbarkeit derart verändert, dass die Wohnung mit jener vor dem Umbau nicht mehr identisch sei.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1997, in Gestalt der Einspruchsentscheidung, dahin gehend zu ändern, dass bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Nutzungswert der eigenen Wohnung sowohl für den Alt- als auch für den Anbau berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht allein auf Grund einer Vergrößerung der Wohnfläche eine nach der Baumaßnahme fortbestehende Identität der Wohnung verneint.
1. a) Nach § 52 Abs. 21 Satz 1 EStG sind § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG und § 21a EStG letztmals für den Veranlagungszeitraum 1986 anzuwenden. Allerdings kann nach der sog. großen Übergangsregelung in § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG bei einer Wohnung im eigenen Haus der Nutzungswert für die selbst genutzte Wohnung weiter im Wege der Einnahme-Überschuss-Rechnung ermittelt werden, wenn bei dem Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum 1986 die Voraussetzungen für die Ermittlung des Nutzungswertes als Überschuss des Mietwertes über die Werbungskosten vorgelegen haben (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Februar 1995 IX R 66/94, BFHE 177, 99, BStBl II 1995, 412; vom 13. August 1996 IX R 9/95, BFHE 181, 173, BStBl II 1997, 43, jeweils m.w.N.).
b) Jedoch begünstigt die sog. große Übergangsregelung nicht das Haus als solches, sondern nur die bereits im Veranlagungszeitraum 1986 vorhandene "Wohnung" im eigenen Haus (BFH-Urteile vom 14. Februar 1995 IX R 65/93, BFHE 177, 373, BStBl II 1995, 535; in BFHE 181, 173, BStBl II 1997, 43). Folglich kommt eine Fortführung der Nutzungswertbesteuerung nach § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG dann nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige seine selbst genutzte Wohnung in einem Veranlagungszeitraum nach 1986 so verändert, dass sie nicht mehr als die durch die Übergangsregelung im Veranlagungszeitraum 1986 begünstigte Wohnung ("nämliche" Wohnung) anzusehen ist (BFH-Urteil vom 30. September 1997 IX R 58/96, BFH/NV 1998, 313). An der "Nämlichkeit" der begünstigten Wohnung fehlt es, wenn sich durch den Umbau ihre bauliche Struktur --z.B. wegen einer abweichenden Geschossaufteilung oder wegen des Einbeziehens einer anderen Wohnung (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 IX R 80/00, BFH/NV 2002, 1427, m.w.N.)-- ändert.
c) Die "Nämlichkeit" der im Jahr 1986 selbst genutzten Wohnung wird indes nicht aufgehoben, wenn der Steuerpflichtige diese Wohnung später durch einen Anbau erweitert, ohne die bauliche Struktur des ursprünglichen Wohnungsteils umzugestalten. In die Ermittlung des Nutzungswerts nach § 21 Abs. 2 EStG sind alle Räume einzubeziehen, die in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit der vom Eigentümer genutzten Wohnung stehen. Auch Räume, die erst nach dem 31. Dezember 1986 fertig gestellt werden, werden von der Übergangsregelung des § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG erfasst, weil sie mit der ursprünglich vorhandenen Wohnung eine wirtschaftliche Einheit bilden, die steuerrechtlich nur einheitlich beurteilt werden kann (BFH-Urteile vom 5. August 1992 X R 8/91, BFHE 169, 82, BStBl II 1993, 30; vom 5. August 1992 X R 23/92, BFH/NV 1993, 22). Ein solcher Nutzungs- und Funktionszusammenhang ist allerdings dann nicht mehr gegeben, wenn die Erweiterung für sich genommen größer ist als die im Jahr 1986 vorhandene ursprüngliche Wohnung; denn dann tritt die ursprüngliche Wohnung nur noch in dienender Funktion als Bauteil zu dem neuen größeren Erweiterungsbau hinzu.
Bisher hat der Senat bei der Anwendung der großen Übergangsregelung des § 52 Abs. 21 EStG darauf abgestellt, ob die zusätzlich geschaffene Wohnfläche von untergeordneter Bedeutung ist oder die Wohnfläche wesentlich vergrößert (BFH-Urteile in BFHE 177, 99, BStBl II 1995, 412; in BFH/NV 2002, 1427). An diesem Abgrenzungsmerkmal, das sich als unpraktikabel erwiesen hat, hält er nicht länger fest. Auch die Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Erweiterungen kann als Abgrenzungskriterium nicht herangezogen werden (a.A. Stephan, Die Wohneigentumsförderung, 6. Aufl., S. 472; FG Münster, Urteil vom 17. September 1996 6 K 4518/94 E, EFG 1996, 1221).
2. Gemessen an diesen Voraussetzungen besteht im Streitfall die "Nämlichkeit" der ursprünglichen Wohnung fort.
a) Aufgrund der mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG ist davon auszugehen, dass der Anbau in einem einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit der ursprünglichen Wohnung der Kläger steht. Denn durch den Anbau wurden zwei Kinderzimmer, ein Bad sowie ein Arbeitszimmer geschaffen. Damit aber diente die Wohnung im Jahre 1986 wie auch im Streitjahr 1997 den Klägern als Familienwohnung.
b) Aus den Feststellungen des FG ergibt sich ferner, dass die Kläger mit dem Anbau die bauliche Struktur der ursprünglichen Wohnung nicht geändert haben. Das Haus der Kläger ist auch nach dem Anbau ein eingeschossiger Baukörper im Bungalowstil; die Wohnung erstreckt sich nur über eine Geschossebene. Bautechnisch haben daher die Kläger --von der Erweiterung der Wohnfläche abgesehen-- die bisherige Wohnung nicht grundlegend umgestaltet (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1427).
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Vorentscheidung aufzuheben und die nicht spruchreife Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Senat kann wegen fehlender Feststellungen des FG zur Höhe des Mietwertes der erweiterten Wohnung und der hierauf entfallenden Werbungskosten nicht selbst entscheiden. In einer neuen Verhandlung und Entscheidung wird das FG die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.
4. Da die FG-Entscheidung schon aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben ist, kann offen bleiben, ob der von den Klägern geltend gemachte Verfahrensmangel vorliegt.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil ein solcher Antrag im Revisionsverfahren unzulässig ist. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren; dafür ist das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig (z.B. BFH-Urteil vom 2. Mai 2000 IX R 99/97, BFH/NV 2001, 14, unter II. 4.).
Fundstellen
Haufe-Index 1461778 |
BFH/NV 2006, 278 |
HFR 2006, 371 |