Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Einfuhrabgaben; Unzulässigkeit eines zweiten, dieselben Abgaben betreffenden Erlassverfahrens
Leitsatz (NV)
1. Wird ein Antrag, Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen zu erlassen, wegen Versäumung der Antragsfrist abgelehnt und macht der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren geltend, bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen fristgerechten Erlassantrag gestellt zu haben, der noch nicht beschieden sei, wird dadurch kein zweites Erlassverfahren anhängig gemacht. Die Behörde und später das FG haben im laufenden Rechtsbehelfsverfahren zu prüfen, ob ein Erlassantrag fristgerecht gestellt wurde. Eine weitere zu dem angeblich fristgerecht gestellten, aber noch nicht beschiedenen Antrag erhobene Untätigkeitsklage ist unzulässig.
2. Die sog. Untätigkeitsklage des § 46 FGO ist keine eigenständige Klageart.
Normenkette
AO 1977 § 347 Abs. 1 S. 2; FGO §§ 46, 66, 110 Abs. 1; GVG § 17 Abs. 1; EWGV 1430/79 Art. 13; ZK Art. 239
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) nahm mit Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als Hauptverpflichtete eines im April 1992 für den Transport von … Mio. Zigaretten eröffneten, jedoch nicht ordnungsgemäß erledigten gemeinschaftlichen Versandverfahrens in Anspruch und setzte Eingangsabgaben in Höhe von … DM gegen die Klägerin fest. Strafrechtliche Ermittlungen und spätere Feststellungen des Landgerichts in einem Strafverfahren gegen den Fahrer des LKW ergaben, dass dieser den Auflieger und die Zollpapiere Dritten überlassen und später den entladenen Auflieger sowie die Zollpapiere, auf denen bestochene Zollbeamte der Grenzzollstelle die Ausfuhrbestätigung angebracht hatten, zurückerhalten hatte.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage gegen den Steuerbescheid vom 22. Juni 1994. Während des Klageverfahrens setzte das HZA mit Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 die Eingangsabgaben auf … DM herab. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den geänderten Steuerbescheid mit Urteil vom 28. November 2001 3 K 1781/97 ab; die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wurde mit Beschluss des erkennenden Senats vom 5. Juni 2002 VII B 12/02 (BFH/NV 2002, 1327) zurückgewiesen.
Bereits während jenes Klageverfahrens hatte die Klägerin mit Schreiben an das HZA vom 19. Juli 2001 den Erlass der mit Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 festgesetzten Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen gemäß Art. 239 des Zollkodex (ZK) beantragt. Das HZA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5. Februar 2002 mit der Begründung ab, dass die Klägerin die Antragsfrist versäumt habe. Mit ihrem hiergegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin u.a. geltend, dass bereits ihr früherer Bevollmächtigter einen Erlassantrag fristgerecht gestellt habe, und beantragte, ihren erneuten Erlassantrag als Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu behandeln. Das HZA wies den Einspruch gegen den Bescheid vom 5. Februar 2002 mit Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 zurück. Die hiergegen am 17. Februar 2003 erhobene Klage wies das FG mit Urteil vom 14. Juni 2005 14 K 788/03 als unbegründet ab. Die Klägerin focht dieses Urteil nicht an.
Ebenfalls am 17. Februar 2003 erhob die Klägerin im vorliegenden Verfahren Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und machte geltend, dass das HZA noch nicht über den fristgerecht gestellten Erlassantrag ihres früheren Bevollmächtigten entschieden habe. Dieser habe damals zwar nicht die Worte "Billigkeit" und "Erlass" verwendet, es genüge aber, dass auf Tatsachen hingewiesen worden sei, aus denen auf ein solches Begehren habe geschlossen werden können. Außerdem habe das HZA eine sofortige Konkretisierung und nähere Begründung des Billigkeitsbegehrens verhindert, indem es erst ab 13. August 1997 die Mitwirkung bestochener Zollbeamter eingeräumt und weder im Steuerbescheid noch im Steueränderungsbescheid die Zollbeamten als Gesamtschuldner genannt habe.
Das FG wies die Klage aus den in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2006, 98 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin weiterhin geltend, dass bereits mit ihrem Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) gegen den Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 sowie dem später an das FG gerichteten AdV-Antrag zugleich ein Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen konkludent gestellt worden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das HZA zu verpflichten, ihren Antrag auf Erlass der festgesetzten Eingangsabgaben der Kommission zur Entscheidung zu übermitteln.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zwar wäre die Klage richtigerweise als unzulässig abzuweisen gewesen. Gleichwohl ist das angefochtene Urteil nicht aufzuheben, weil sein Tenor richtig ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. April 1988 I R 67/84, BFHE 154, 5, BStBl II 1988, 927, m.w.N.; Senatsurteil vom 31. Mai 2005 VII R 49/04, BFH/NV 2005, 2067).
1. Der Streitgegenstand des vorliegenden Klageverfahrens ist der geltend gemachte auf Billigkeitsgründe gestützte Anspruch der Klägerin auf Erlass der mit Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 in der Fassung des Steueränderungsbescheids vom 27. Juni 2001 festgesetzten Eingangsabgaben in Höhe von … DM. Diesen Streitgegenstand hatte die Klägerin bereits mit ihrer ebenfalls am 17. Februar 2003 erhobenen Klage, die das Aktenzeichen 14 K 788/03 erhalten hatte, beim FG rechtshängig gemacht (§ 66 FGO). Die Erhebung einer weiteren denselben Streitgegenstand betreffenden Klage war daher nach § 155 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes unzulässig. Die anderweitige Rechtshängigkeit stellt im Finanzprozess eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung dar, die zwingend zur Abweisung der Klage als unzulässig führen muss. (vgl. Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 33 Rz 5, § 66 Rz 6; Senatsbeschluss vom 23. November 1999 VII B 186/99, BFH/NV 2000, 476; vgl. auch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 16. Juli 1996 3 ABR 13/95, BAGE 83, 288).
a) Da nach dem rechtskräftigen Urteil des FG vom 28. November 2001 3 K 1781/97 die Festsetzung der streitigen Eingangsabgaben gegen die Klägerin rechtmäßig ist, kommt für die Klägerin allein ein auf Billigkeitsgründe gestützter Abgabenerlass in Betracht, der sich nach dem im Streitfall noch anzuwendenden Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 175/1) in der Fassung der (Änderungs-)Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 (ABlEG Nr. L 286/1) richtet (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1327). Ein solcher Erlass aus Billigkeitsgründen setzt nach Art. 13 Abs. 2 VO Nr. 1430/79 einen fristgebundenen, nämlich binnen zwölf Monaten nach der buchmäßigen Erfassung der Abgaben zu stellenden, Antrag des Abgabenschuldners voraus (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1327). Ist beim HZA ein Erlassverfahren durch Stellung eines entsprechenden Antrags anhängig gemacht worden, hat das HZA somit zu prüfen, ob ein Erlassantrag des Abgabenschuldners --soweit er auf Billigkeitsgründe gestützt wird-- zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der genannten Zwölf-Monats-Frist gestellt wurde. Der Umstand, dass der Abgabenschuldner --wie im Streitfall-- einen (ausdrücklichen) Erlassantrag nach Ablauf der Zwölf-Monats-Frist gestellt hat, zugleich aber geltend macht, einen weiteren Erlassantrag --wenn auch konkludent-- bereits vor Fristablauf gestellt zu haben, führt nicht zu zwei getrennten Verwaltungsverfahren und im weiteren Verlauf auch nicht zu zwei getrennten Gerichtsverfahren. Vielmehr bleibt es bei einemVerwaltungsverfahren mit nur einem Verfahrensgegenstand --nämlich dem begehrten Erlass eines bestimmten Abgabenbetrags--, in dem das HZA sämtliche Erlassvoraussetzungen, somit auch die behauptete fristgerechte Antragstellung zu prüfen hat. Ebenso wie ein Erlass-/Erstattungsantrag im Hinblick auf die in Betracht kommenden Erlass-/Erstattungsvorschriften des Art. 236 ZK einerseits und des Art. 239 ZK andererseits nicht in unterschiedlichen Verfahren zu behandeln ist, sondern vielmehr die Behörde den Antrag umfassend auf alle Erlass-/Erstattungsgründe hin, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein können, zu prüfen hat (Senatsurteil vom 20. Juli 2004 VII R 99/00, BFHE 206, 495), sind mehrere gestellte, auf denselben Abgabenerlass gerichtete und noch nicht beschiedene Erlassanträge nicht in unterschiedlichen Verfahren zu prüfen und zu bescheiden.
Der Antrag der Klägerin, über den angeblich bereits früher und fristgerecht gestellten Erlassantrag ihres damaligen Bevollmächtigten gesondert zu entscheiden und insoweit ihren erneuten Erlassantrag als Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zu behandeln, war daher verfahrensrechtlich nicht zulässig und das FG ist dieser Verfahrensaufspaltung zu Unrecht gefolgt. Eine solche Aufteilung der den Streitgegenstand betreffenden Rechtsfragen ist nicht statthaft und bindet das später angerufene Gericht nicht (BAG-Beschluss in BAGE 83, 288). Da jedenfalls ein mit dem Antragsschreiben der Klägerin vom 19. Juli 2001 eingeleitetes Erlassverfahren beim HZA anhängig war, war in diesem Antragsverfahren zu prüfen, ob das Vorbringen der Klägerin bezüglich eines früheren fristgerechten Erlassantrags zutraf --was das HZA in der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 auch getan hat-- und wäre dies in gleicher Weise auch vom FG in dem Klageverfahren 14 K 788/03 zu prüfen gewesen.
Der mit Schreiben der Klägerin vom 19. Juli 2001 gestellte Erlassantrag und der angeblich schon früher gestellte Erlassantrag ihres damaligen Bevollmächtigten betrafen somit denselben Streitgegenstand.
b) Die Klägerin und auch das FG sind im Streitfall offenbar davon ausgegangen, dass es sich bei der Untätigkeitsklage gemäß § 46 FGO um eine eigenständige Klageart der FGO handelt. Dies trifft jedoch nicht zu, und auch aus dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1327 ergibt sich nichts anderes. Die sog. Untätigkeitsklage gemäß § 46 FGO bildet lediglich eine Ausnahme zu der Vorschrift des § 44 Abs. 1 FGO, wonach in Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Anrufung des Gerichts nur nach Abschluss dieses außergerichtlichen Vorverfahrens zulässig ist. Die Untätigkeit der Behörde ist nach § 46 FGO nur die Zulässigkeitsvoraussetzung, nicht aber der Gegenstand der Klage. Das Rechtsschutzbegehren des Klägers ist daher auch in den Fällen des § 46 FGO auf Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts oder auf Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (§ 40 Abs. 1 FGO) gerichtet und nicht auf ein Tätigwerden der Behörde überhaupt (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 46 Rz 1, 2, m.w.N.). Hätte dementsprechend das FG den Antrag der Klägerin nach dem erkennbaren Klagebegehren dahin ausgelegt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), das HZA zu verpflichten, die festgesetzten Eingangsabgaben in Höhe von … DM zu erlassen bzw. --richtigerweise-- eine Entscheidung der Kommission über den Erlassantrag einzuholen (Art. 905 Abs. 1 Anstrich 3 der Zollkodex-Durchführungsverordnung), wäre deutlich geworden, dass der Streitfall und das Klageverfahren 14 K 788/03 denselben Streitgegenstand betrafen.
Daraus ergibt sich zugleich, dass die vom FG im Streitfall angenommenen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Untätigkeitsklage in Wahrheit nicht vorlagen, denn das HZA war auf den Erlassantrag der Klägerin nicht untätig geblieben, sondern hatte den Antrag mit Bescheid vom 5. Februar 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 abgelehnt.
2. Jedenfalls steht mit dem Eintritt der Rechtskraft des in dem Klageverfahren 14 K 788/03 ergangenen FG-Urteils in einer die Beteiligten bindenden Weise (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO) fest, dass der Klägerin ein Anspruch auf Erlass der streitigen Eingangsabgaben nicht zusteht. Damit verbietet sich jede neue gerichtliche Entscheidung bezüglich desselben Streitgegenstandes (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 110 Rz 5, 20, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1684037 |
BFH/NV 2007, 396 |