Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für Erstattung von Kapitalertragsteuer
Leitsatz (NV)
Die Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer setzt entweder den Erlass eines Freistellungsbescheids oder eine Änderung oder Aufhebung der Steueranmeldungen voraus, auf denen die Abführung der Steuer beruht.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2, § 155 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) einen Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer hat.
Der Kläger wohnte in den Streitjahren (1995 und 1996) in den USA und hatte in Deutschland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Er war Mitglied einer Erbengemeinschaft nach der verstorbenen A. Die Einkünfte der Erbengemeinschaft wurden für die Streitjahre erstmals mit Bescheiden vom 22. Februar 2002 gesondert und einheitlich festgestellt.
In den Feststellungsbescheiden wurden dem Kläger u.a. Einkünfte aus Kapitalvermögen zugerechnet. Diese Einkünfte wurden in den Einkommensteuerbescheiden des Klägers nicht erfasst, da der Kläger nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten mit ihnen nicht beschränkt steuerpflichtig war. Auf die gegenüber dem Kläger festgesetzte Einkommensteuer wurde keine Kapitalertragsteuer angerechnet.
Mit Schreiben vom 19. Februar 2002 hatte der Kläger unter Hinweis auf die abgegebenen Feststellungserklärungen beantragt, ihm die auf seine Kapitaleinkünfte entfallende --zutreffend einbehaltene und abgeführte-- Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag zu erstatten. Diesen Antrag lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit der Begründung ab, dass Zahlungsverjährung eingetreten sei. Der deshalb erhobene Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Auf die daraufhin erhobene Klage erließ das Finanzgericht (FG) München ein Urteil, durch das es das FA zu einer antragsgemäßen Erstattung verpflichtete (Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1325). Dagegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Revision.
Das FA rügt eine Verletzung des § 229 der Abgabenordnung (AO 1977). Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen tatsächliche Feststellungen lassen eine abschließende Beurteilung der Rechtslage nicht zu.
1. Nach § 37 Abs. 2 AO 1977 hat u.a. derjenige, auf dessen Rechnung eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages. Einen solchen Anspruch macht der Kläger im Streitfall geltend: Er begehrt die Erstattung von Kapitalertragsteuer, die für seine Rechnung einbehalten und abgeführt worden ist (§ 44 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes). Davon ist auch das FG ausgegangen.
2. Es hat jedoch verkannt, dass der Kläger die begehrte Steuererstattung schon deshalb nicht erreichen kann, weil es an dem dafür notwendigen Steuerbescheid (§ 218 Abs. 1 AO 1977) fehlt. Einen solchen könnte der Kläger nur dadurch erwirken, dass er entweder den Erlass eines Freistellungsbescheids i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 erreicht oder erfolgreich die Aufhebung oder Änderung der Steueranmeldungen betreibt, die der Abführung der Kapitalertragsteuer zu Grunde liegen (Senatsurteile vom 13. November 1985 I R 275/82, BFHE 145, 202, BStBl II 1986, 193; vom 19. Oktober 2005 I R 121/04, BFH/NV 2006, 926, m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 19. November 2003 I R 22/02, BFHE 205, 37, BStBl II 2004, 560; vom 28. Juni 2005 I R 33/04, BFHE 212, 37, BStBl II 2006, 489). Weder die Feststellungen des FG noch der Vortrag der Beteiligten enthalten einen Anhaltspunkt dafür, dass eines von beiden geschehen ist. Unter diesen Umständen bildet nach der gegenwärtigen Bescheidlage die jeweilige Steueranmeldung einen Rechtsgrund für die Zahlung der Steuer (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1995 I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87), was einer Erstattung nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 AO 1977 entgegensteht.
3. Jedoch ist der Antrag eines Steuerschuldners auf Erstattung einbehaltener und abgeführter Steuerbeträge regelmäßig dahin zu deuten, dass er auf den Erlass eines Freistellungsbescheids gerichtet ist (Senatsurteil vom 23. Januar 1985 I R 64/81, BFHE 143, 252, BStBl II 1985, 330; Senatsbeschluss vom 12. Oktober 1995 I B 65/95, BFH/NV 1996, 377; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 155 Rz. 30, m.w.N.). Das gilt auch für den im Streitfall vom Kläger gestellten Antrag. Deshalb hätte das FG prüfen müssen, ob der so verstandene Antrag Erfolg haben kann; in diesem Zusammenhang hätte es u.a. berücksichtigen müssen, dass ein Freistellungsbescheid als Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) den Regelungen über die Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO 1977) unterliegt. Eine solche Prüfung hat das FG bislang nicht angestellt.
Angesichts dessen ist der Rechtsstreit nicht zur abschließenden Entscheidung reif. Zum einen hat das FG keine Feststellungen getroffen, die sich auf die Problematik des Freistellungsbescheids beziehen. Zum anderen hat es sich mit dieser Problematik auch in rechtlicher Hinsicht nicht befasst. Deshalb könnte, wenn nunmehr eine im Revisionsverfahren getroffene abschließende Entscheidung auf diesen Gesichtspunkt gestützt würde, das Recht des Klägers auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt werden. Daher hält der Senat es für geboten, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1626732 |
BFH/NV 2007, 2 |