Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundstückserwerb in der Absicht, Gebäudeteile abzureißen (GrEStEigWoG)
Leitsatz (NV)
1. Ein unzulässiger nachträglicher Sachvortrag i. S. des § 118 Abs. 2 FGO liegt nicht vor, wenn Unklarheit des Tatbestandes der Vorentscheidung im Hinblick auf Angaben in der Einspruchsentscheidung gerügt wird, die in der Vorentscheidung in Bezug genommen ist.
2. Der Senat hält an seiner ständigen Rspr. fest, daß die Entscheidung, ob ein Ein- oder Zweifamilienhaus i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 GrEStEigWoG erworben worden ist, auf die beabsichtigte Nutzung abzustellen ist, und daß bestimmte Umbauarbeiten die Gewährung der Steuervergünstigung nicht hindern (BFH-Urteile vom 15. Februar 1984 II R 34/82, BFHE 140, 477, BStBl II 1984, 452 m. w. N.; vom 10. Oktober 1984 II R 28/84, BFHE 142, 173, BStBl II 1985, 101).
3. Die Unschädlichkeit eines Umbaus (siehe LS 2) setzt Identität zwischen erworbenem und später genutzten Gebäude voraus. Eine solche Identität dürfte dann jedenfalls nicht mehr gegeben sein, wenn ein Teil des erworbenen Gebäudes abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. Anders könnten die Fälle eines ersatzlosen Abrisses von Gebäudeteilen zu beurteilen sein sowie diejenigen, in denen durch Abriß und Neubau eine Grundstücksteilung eintritt.
Normenkette
FGO §§ 107, 118 Abs. 2; GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Nach den Feststellungen des FG kaufte der Kl. 1980 ein Grundstück in der Größe von . . . qm gegen einen Kaufpreis von . . . DM. Auf dem erworbenen Grundstück befand sich nach diesen Feststellungen ein dreiteiliger Gebäudekomplex, bestehend aus einem älteren zweigeschossigen Wohnhaus (Hauptgebäude) mit ausgebautem Dachgeschoß, einem ebenfalls zweigeschossigen Anbau und einem sich daran anschließenden eingeschossigen Anbau. Die Anbauten waren mit dem Hauptgebäude im Erdgeschoß durch einen gemeinsamen Flur verbunden. Ebenso waren die oberen Räume des zweigeschossigen Anbaus mit den Obergeschoßräumen des Hauptgebäudes verbunden. Im Zeitpunkt des Erwerbes wohnten im Hauptgebäude die Veräußerer, während die Räume des Anbaues von zwei Familien bewohnt waren. Bewertet war das Grundstück zuletzt als Mietwohngrundstück.
Der Kl. beantragte die Befreiung des Grundstückserwerbes von der GrESt nach dem Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 (GrEStEigWoG). Das beklagte FA lehnte diesen Antrag ab und setzte die GrESt auf . . . DM fest. Es begründete seine Entscheidung damit, daß nur der Erwerb von Ein- und Zweifamilienhäusern begünstigt sei. Die erworbenen Gebäude seien aber nicht als Ein- oder Zweifamilienhaus zu beurteilen.Der Kl. legte Einspruch mit der Begründung ein, daß es sich bei dem erworbenen Grundstück um ein Grundstück mit einem Hauptgebäude (Einfamilienhaus) und mit abbruchreifen Nebengebäuden handle. Bei dieser Sachlage sei es nicht gerechtfertigt, die Steuerbefreiung zu versagen.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. In dieser Entscheidung ging das FA davon aus, daß der Kl. durch notariell beurkundete Verträge vom . . . und vom . . . ein Grundstück in der Größe von . . . qm erworben habe.
Aus den in Bezug genommenen Vertragsurkunden ergibt sich demgegenüber, daß zwei auf verschiedenen Grundbuchblättern eingetragene Parzellen erworben sein müssen. Der erste Vertrag hatte den Erwerb der Parzelle . . . zum Inhalt, während durch den späteren Vertrag klargestellt wurde, daß auch die Parzelle . . . in der Größe von . . . qm verkauft sein sollte, ohne daß sich der bereits im ersten Vertrag vereinbarte Kaufpreis von . . . DM änderte.
Der Kl. hat Klage erhoben und beantragt, den Grunderwerbsteuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Er hat im einzelnen vorgetragen: Er habe ein Einfamilienhaus erworben. Maßgebend sei die beabsichtigte Nutzung. Die Baulichkeiten sollten nach entsprechendem Umbau als Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung und Praxis benutzt werden. Die freiberufliche Nutzung eines Teiles des Gebäudes stehe der Gewährung der Steuervergünstigung nicht entgegen.
Das FA hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, das erworbene Objekt diente nach dem beabsichtigten Umbau nicht zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kl. eine Berechnung seines Architekten vorgelegt, aus der sich eine Gesamtnutzfläche von . . . qm ergibt, von denen 66,427 v. H. zur Wohnung gehören sollen.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat es wie folgt begründet: Die äußere Erscheinung des ursprünglich aus drei aneinandergebauten Häusern bestehenden Gebäudekomplexes lasse die Annahme eines Ein- oder Zweifamilienhauses nicht zu. Das Ergebnis sei kein anderes, wenn man der Auffassung des BFH folge, daß es auf die vom Erwerber innerhalb des maßgebenden Fünfjahreszeitraums beabsichtigte Nutzung ankomme. Das Gebäude sei zwar nach dem Umbau ein Einfamilienhaus. Es fehle aber an der Voraussetzung, daß das Gebäude zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken diene. Diese Voraussetzung sei auch nach der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Wohnflächenberechnung nicht erfüllt.
Der Kl. hat Revision eingelegt und seinen Klagantrag aufrechterhalten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Kl. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Feststellungen des FG lassen eine abschließende Prüfung des angefochtenen Urteils nicht zu.
1. Der Kl. weist darauf hin, daß er nicht nur eine . . . qm große Parzelle mit aufstehenden Gebäuden erworben habe, wie dies im Tatbestand des angefochtenen Urteils mitgeteilt wird, sondern noch eine weitere Parzelle von . . . qm. Das ergebe sich aus der Einspruchsentscheidung des FA und aus den dort in Bezug genommenen Verträgen. Soweit der erkennende Senat dies zu beurteilen vermag, ist dieser Vortrag richtig. Es handelt sich auch nicht um einen unzulässigen nachträglichen Sachvortrag im Sinne des § 118 Abs. 2 der FGO. Denn die Unklarheit des Tatbestandes des angefochtenen Urteils ergibt sich bereits aus einem Vergleich mit der vom FG in Bezug genommenen Einspruchsentscheidung des FA. Auch wenn der Senat davon ausgehen wollte, daß die Unrichtigkeit des Tatbestandes eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 107 FGO sei, die er unter Umständen selbst berichtigen dürfte (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 43. Aufl., § 319 Anm. 3A) könnte er gleichwohl die Zurückverweisung der Sache an das FG nicht vermeiden, weil ohne entsprechende Feststellungen nicht entschieden werden kann, ob für die Anwendung des GrEStEigWoG der Erwerbsvorgang (die Erwerbsvorgänge) einheitlich zu beurteilen ist (sind) oder nicht. Deshalb muß die Sache an das FG zurückverwiesen werden.
2. Das FG wird zunächst zu klären haben, ob der Kl. eine wirtschaftliche Einheit erworben hat (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 2 Tz. 85c, bejahendenfalls, ob für Zwecke der Anwendung des GrEStEigWoG eine Aufteilung erforderlich ist, ggf., wie diese Aufteilung zu erfolgen hat (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., Anhang Tz. 1687 ff., 1856 ff.). Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG die ständige Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen haben, daß bei der Entscheidung, ob ein Einfamilienhaus oder ein Zweifamilienhaus erworben worden ist, auf die beabsichtigte Nutzung des erworbenen Gebäudes abzustellen ist, und daß bestimmte Umbauarbeiten die Gewährung der Steuervergünstigung nicht hindern (vgl. das Urteil vom 15. Februar 1984 II R 34/82, BFHE 140, 477, BStBl II 1984, 452, mit weiteren Nachweisen, vgl. auch das Urteil vom 10. Oktober 1984 II R 28/84, BFHE 142, 173, BStBl II 1985, 101).
In diesem Zusammenhang wird ggf. zu entscheiden sein, wo die Grenzen eines für die Gewährung der Steuervergünstigung noch unschädlichen Umbaus liegen. Nach Auffassung des erkennenden Senats muß jedenfalls die Identität zwischen dem erworbenen Gebäude und dem später genutzten Gebäude bestehenbleiben. Eine solche Identität dürfte jedenfalls dann nicht mehr gegeben sein, wenn ein Teil des erworbenen Gebäudes abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. Auch bei der zukunftsorientierten Betrachtungsweise des erkennenden Senats kann in diesem Falle nicht mehr davon gesprochen werden, daß der Erwerber das Grundstück mit dem später neu errichteten Gebäude erworben habe. Anders könnten die Fälle eines ersatzlosen Abrisses eines Teiles der vorhandenen Gebäude zu beurteilen sein. Wird ein vorhandenes Gebäude durch einen Neubau ersetzt, so scheitert hieran bereits die Gewährung der Steuervergünstigung des GrEStEigWoG, ohne daß es noch darauf ankäme, wie der Neubau genutzt werden soll.
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn durch den Abriß und den Neubau eine Teilung des Grundstückes derart einträte, daß der Neubau kein Teil des umgebauten Wohnhauses mehr wäre, sondern selbständige Bedeutung hätte (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., Anhang Tz. 1624). Hierauf will der Kl. offensichtlich hinaus. Indessen ist ein bloßer Praxisanbau an ein vorhandenes Wohngebäude im allgemeinen nicht als selbständiges Gebäude anzusehen (vgl. das Urteil vom 23. September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188). Das gilt vor allem dann, wenn die Praxisräume sich nicht nur in dem Anbau, sondern zum Teil auch in dem Altgebäude befinden.
Fundstellen
Haufe-Index 414084 |
BFH/NV 1986, 699 |