Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmung des § 626 Abs. 2 BGB findet auf die fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages aus wichtigem Grund nach § 89 a HGB keine Anwendung.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 2; HGB § 89a
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 13.07.1984) |
LG Nürnberg-Fürth |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 13. Juli 1984 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger war seit Dezember 1972 als Versicherungsvertreter für die Beklagte tätig. Im November 1974 schlössen die Parteien unter Wahrung der bisher vom Kläger erworbenen Rechte und Ansprüche einen neuen Vertrag. Dieser bestimmte in § 2 Abs. 1, daß der Kläger als hauptberuflicher Versicherungsvertreter seine ganze Arbeitskraft für die Beklagte einzusetzen habe und keine weitere entgeltliche Tätigkeit ausüben dürfe. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 war er verpflichtet, in allen von der Beklagten jeweils betriebenen Zweigen ausschließlich für diese tätig zu werden. Der Vertrag sollte nach § 8 Abs. 3 aus wichtigem Grund bei einem Verstoß gegen die übernommenen Verpflichtungen fristlos gekündigt werden können; die Fristen für eine ordentliche Kündigung richteten sich nach der Vertragsdauer; wenn der Vertrag länger als 10 Jahre bestanden hatte, sollte er mit einer Frist von sechs Monaten zum Halbjahresschluß kündbar sein.
Der Kläger betrieb seit Beginn seiner Tätigkeit für die Beklagte mit Familienangehörigen ein Schreibwarengeschäft. Das wußte die Beklagte. Im Herbst 1982 gründete der Kläger mit seiner Ehefrau, die Geschäftsführerin wurde, die „M. GmbH”. Die Gesellschaft sollte bundesweit Motorräder während des Winters verwahren und im Frühjahr wieder ausliefern, wobei sie die erforderlichen Wartungsarbeiten auszuführen übernahm. Im Spätherbst 1982 war der Kläger mit einem von der Gesellschaft gekauften Spezialfahrzeug an mehreren Tagen in der Bundesrepublik Deutschland unterwegs, um Motorräder für die Aufbewahrung entgegenzunehmen.
Einen Antrag auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung für die Tätigkeit der neu gegründeten Gesellschaft nahm die Beklagte nicht an. Der Kläger ließ daraufhin den Versicherungsvertrag mit einer anderen Gesellschaft abschließen.
Am 22. Februar 1983 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis fristlos, weil der Kläger einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit für die neu gegründete Gesellschaft aufgewandt und hierfür auch ein Entgelt erhalten habe und weil er Verträge für eine andere Versicherungsgesellschaft vermittelt habe.
Der Kläger hält die außerordentliche Kündigung für nicht gerechtfertigt und hat hierzu vorgetragen, er habe von der alleinigen Geschäftsführerin der Gesellschaft für seine Tätigkeit kein Entgelt erhalten. Nur zum Beginn der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft, die 52 Motorräder in Verwahrung genommen habe, sei er in geringem Umfang bei der technischen Durchführung beschäftigt gewesen. Er habe damit die Gesellschaft finanziell entlasten wollen. Seine Tätigkeit für die Beklagte habe darunter nicht gelitten, da er auch bei örtlicher Abwesenheit ständig für Kunden der Beklagten erreichbar gewesen sei; die von der Beklagten vorgegebenen Umsatzziele habe er trotz seiner Tätigkeit für die neu gegründete Gesellschaft noch überschritten. Die Gesellschaft und seine Tätigkeit für sie habe auch dazu dienen sollen, sich Kontakte mit den Motorradfahrern zu verschaffen, um so einen neuen Kundenkreis für die Beklagte werben zu können; dies sei ihm auch in vielen Fällen gelungen. Er habe nur in wenigen Fällen Versicherungsverträge, deren Abschluß die Beklagte abgelehnt habe, an seine Ehefrau abgegeben, die diese dann an ein anderes Unternehmen vermittelt habe. Das habe die Beklagte gewußt und habe nicht widersprochen.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß der Versicherungsagenturvertrag der Parteien vom 14. November 1974 durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 1983 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt und hierzu behauptet, die Umsätze des Klägers seien nach Aufnahme seiner entgeltlichen Tätigkeit für die neu gegründete Gesellschaft deutlich zurückgegangen. Der Kläger habe mehr als 300 Motorräder unter erheblichem zeitlichen Aufwand eingelagert, worüber im einzelnen in der Fachpresse berichtet worden sei; er habe auch beabsichtigt, diese im Frühjahr nach entsprechenden Wartungsarbeiten wieder auszuliefern. Sie hat weiter vorgetragen, sie sei nicht damit einverstanden gewesen, daß der Kläger Versicherungsverträge über eine Agentur seiner Ehefrau für ein Konkurrenzunternehmen vermittle.
Das Landgericht hat nach einer Beweisaufnahme über den Umfang der Tätigkeit des Klägers für die Gesellschaft und darüber, ob er ein Entgelt hierfür erhalten habe, der Klage stattgegeben.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat die Beklagte für berechtigt gehalten, den mit dem Kläger abgeschlossenen Versicherungsvertretervertrag aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung zu beenden, weil durch das Verhalten des Klägers das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien endgültig zerstört worden sei. Die Weitergabe von Versicherungsverträgen an seine Ehefrau, damit diese sie über die von ihr betriebene Agentur an ein Konkurrenzunternehmen vermitteln solle, sei, so hat das Berufungsgericht ausgeführt, ein schwerwiegender Verstoß des Klägers gegen das mit der Beklagten vereinbarte Konkurrenzverbot. Der Kläger habe auch in den Fällen, in denen die Beklagte die betreffenden Risiken nicht habe versichern wollen, nicht von sich aus heimlich Konkurrenzunternehmen einschalten dürfen, weil die Beklagte darüber habe entscheiden müssen, ob durch solche Nebengeschäfte ihres Vertreters ihre Interessen verletzt würden. Dem Kläger sei bewußt gewesen, daß die Beklagte grundsätzlich mit einer solchen Weitergabe nicht einverstanden gewesen sei; deshalb habe er auch ihre Zustimmung nicht eingeholt. Der Kläger habe ferner gegen das Verbot, entgeltlich ausschließlich für die Beklagte tätig zu sein, verstoßen, indem er zusammen mit seiner Ehefrau die „Mo. GmbH” gegründet habe und die zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit dieser Gesellschaft erforderlichen Reisen im Spätherbst und Winter 1982 im Bundesgebiet durchgeführt habe. Zwar habe die Gesellschaft wegen der hohen Investitionskosten zunächst keinen Gewinn erzielt, und der Kläger habe deshalb kein Entgelt erhalten. Langfristig aber habe der Kläger durch seine Tätigkeit in der Gesellschaft für sich eine eigene Einnahmequelle erschließen wollen, zumal er auch erhebliche finanzielle Mittel in das neu gegründete Unternehmen investiert habe.
Die Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten scheitere auch nicht daran, daß sie diese nicht innerhalb von zwei Wochen nach erlangter Kenntnis von den Kündigungsgründen ausgesprochen habe; § 626 Abs. 2 BGB sei nicht anzuwenden.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die mit Schreiben vom 22. Februar 1983 ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei wirksam gewesen, weil das Verhalten des Klägers der Beklagten hierzu einen wichtigen Grund gegeben habe. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann das Revisionsgericht eine Entscheidung des Tatrichters über das Bestehen eines zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grundes nur in beschränktem Umfang nachprüfen. Die Wertung durch den Tatrichter bindet das Revisionsgericht grundsätzlich. Es kann den festgestellten Umständen kein größeres oder geringeres Gewicht beimessen, als es der Tatrichter für richtig gehalten hat. Die Prüfung muß sich darauf beschränken, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt hat, ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, ob es etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat (st. Rspr.; Urt. v. 26.1.1984 – I ZR 188/81, WM 1984, 556, 558 = VersR 1984, 534).
Nach den ohne Rechtsverstoß getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger das Vertrauensverhältnis zur Beklagten durch die heimliche Weitergabe von Versicherungsverträgen an ein Konkurrenzunternehmen der Beklagten unter Einschaltung einer von seiner Ehefrau betriebenen Agentur in so schwerwiegendem Maße gestört, daß dieser eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar war. Eine solche ungenehmigte Vertretung eines Konkurrenzunternehmens ist, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß annehmen konnte, in aller Regel ein schwerer, die fristlose Kündigung des Vertrages rechtfertigender Verstoß gegen die vertraglichen Treuepflichten des Vertreters (vgl. BGHZ 42, 59, 61; Urt. v. 6.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 235 ff. jeweils m.w.N.). Auch wenn das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien im Zeitpunkt der Kündigung schon 10 Jahre bestand, läßt die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die ihr verheimlichten Vermittlungen für ein konkurrierendes Unternehmen nicht mit der Folge hinnehmen müssen, das Vertragsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, einen Rechtsfehler nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat hierzu auf die erheblichen Interessen der Beklagten verwiesen, selbst darüber entscheiden zu können, ob durch ein derartiges Verhalten ihrer Vertreter ihre Interessen verletzt würden, und diese Entscheidung nicht dem einzelnen für sie tätigen Versicherungsvertreter zu überlassen. Auch dann, wenn die Beklagte die Risiken der ihr zunächst vom Kläger angebotenen Versicherungsverträge nicht übernehmen wollte, mußte es ihr vorbehalten bleiben, darüber zu befinden, ob ein Versicherungsvertreter, der zur ausschließlichen Tätigkeit für sie verpflichtet war und das auch gegenüber den Kunden zum Ausdruck bringen mußte, ein Konkurrenzunternehmen einschalten dürfe. Insbesondere mußte sie auch darüber entscheiden können, welches Unternehmen von ihrem Versicherungsvertreter gegebenenfalls angesprochen werden solle.
Das Berufungsgericht hat in die gebotene Gesamtwürdigung auch, ohne daß dies aus Rechtsgründen zu beanstanden wäre, einbezogen, daß der Kläger durch seine Tätigkeit für die „Mot. GmbH” gegen seine vertragliche Verpflichtung verstoßen hat, nur für die Beklagte entgeltlich tätig zu sein. Nach den beanstandungsfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau die Idee entwickelt, eine Gesellschaft zu gründen, die die Einlagerung von Motorrädern während des Winters übernehmen soll; er sei für die Gesellschaft tätig geworden und habe an insgesamt neun Werktagen zeitaufwendige Fahrten außerhalb seines Geschäftssitzes im Bereich der gesamten Bundesrepublik und Berlin ausgeführt. Daß das Berufungsgericht diese neu aufgenommene Tätigkeit des Klägers als Verletzung seines Handelsvertretervertrages mit der Beklagten gewertet hat, läßt sich aus Rechtsgründen nicht beanstanden. Der Umstand, daß der Kläger sich dadurch auch neue Kontakte für den Abschluß von Versicherungsverträgen mit der Beklagten schaffte, ändert daran nichts. Der Kläger hätte mit der Beklagten diesbezüglich neue Vereinbarungen treffen müssen, bevor er eine neue Tätigkeit aufnahm, die ihn zeitlich beanspruchte und ihm nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls langfristig eine – verbotene – eigene weitere Einnahmequelle verschaffen sollte. Bei dieser Sachlage konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß in dem Verhalten des Klägers eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien sehen, die eine sofortige Lösung der Vertragsbeziehung rechtfertigte, zumal die Beklagte nach dem festgestellten Verhalten des Klägers damit rechnen mußte, er werde während einer Restlaufzeit des Vertrages bis zu einer ordentlichen Kündigung nicht mehr in dem gebotenen Maße die Interessen der Beklagten wahrnehmen.
Den Feststellungen des Berufungsgerichts läßt sich schließlich auch nicht entnehmen, die Beklagte habe, nachdem sie von den Vertragsverletzungen des Klägers im einzelnen und in ihrem gesamten Umfang Kenntnis erhalten hatte, ein Verhalten gezeigt, das ein Anhaltspunkt dafür sein könnte, sie habe den Verstoß als nicht so schwerwiegend empfunden, daß ihr ein Abwarten bis zur ordentlichen Vertragsbeendigung noch zumutbar gewesen wäre (BGH, Urt. v. 14.4.1983 – I ZR 37/81, BB 1983, 1629 = MDR 1983, 995).
2. Das Berufungsgericht hat mit Recht eine Anwendung der Bestimmung des § 626 Abs. 2 BGB auf die fristlose Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses nach § 89 a HGB abgelehnt.
Diese Vorschrift, nach der die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen kann und nach der die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, zu laufen beginnt, ist durch das Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.8.1969 (BGBl. I, 1106) in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. Sie geht auf ältere Gesetzesbestimmungen zurück, insbesondere §§ 123 Abs. 2, 124 Abs. 2 GewerbeO und entsprechende Vorschriften in den Berggesetzen mit einer teilweise nur einwöchigen Ausschlußfrist, die auch in verschiedene Tarifverträge übernommen worden ist. Der Gesetzgeber wollte insoweit das Recht der außerordentlichen Kündigung vereinheitlichen und die für Arbeitsverhältnisse geltende Frist auf die Dauer von zwei Wochen verlängern (BAGE 23, 475 = NJW 1972, 463). Diese zeitliche Begrenzung beruht, wie das Bundesarbeitsgericht ausgeführt hat, auf dem besonderen Regelungsbedürfnis für das durch persönliche Bindungen bestimmte abhängige Arbeitsverhältnis. Auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Handelsvertreter, der als solcher selbständiger Kaufmann ist, und dem Unternehmer lassen sich die für das abhängige Arbeitsverhältnis getroffenen Erwägungen nicht übertragen. Auch bei der Einführung des neuen Handelsvertreterrechts im Jahre 1953 ist eine ergänzende Heranziehung der §§ 620 ff BGB nur insoweit als möglich erachtet worden, als diese Bestimmungen keine persönliche Abhängigkeit zum Arbeitgeber voraussetzen (Anl. 1 zu BT-Drucks. 1, 3856 S. 31).
III. Danach war die Revision mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
v. Gamm, Piper, Teplitzky, Scholz-Hoppe, Mees
Fundstellen
NJW 1987, 57 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1986, 1121 |