Leitsatz (amtlich)
Die Sozialversicherungsträger, die Ansprüche auf Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen gegen eine insolvente GmbH nach dem Zeitpunkt erworben haben, in dem ihr Geschäftsführer hätte Konkursantrag stellen müssen, können von diesem aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG nicht im Wege des Schadensersatzes Erfüllung der Beitragsschuld der GmbH verlangen. Sie sind auch vertraglichen Neugläubigern im Sinne des Senatsurteils vom 6. Juni 1994 (BGHZ 126, 181) nicht gleichzustellen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; GmbHG § 64 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Aktenzeichen 13 U 191/97) |
LG Köln (Aktenzeichen O 113/95) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 8. April 1998 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte war Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Mitte 1991 gegründeten K. GmbH, für die er am 5. August 1993 Konkursantrag stellte. Das Konkursgericht erließ durch Beschluß vom 16. August 1993 ein allgemeines Verfügungsverbot (§ 106 Abs. 1 Satz 3 KO) und bestellte einen Sequester. Durch Beschluß vom 29. Oktober 1993 wies es den Konkursantrag mangels Masse ab.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, eine AOK, von dem Beklagten Schadensersatz wegen nicht abgeführter Gesamtsozialversicherungsbeiträge für Juni bis Oktober 1993. Sie hat den Anspruch hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge für Juni 1993 auf §§ 266 a StGB, 823 Abs. 2 BGB, im übrigen – in Höhe von insgesamt 42.499,81 DM – auf §§ 64 Abs. 1 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB gestützt. Sie hat dazu vorgetragen, daß der Beklagte schon Anfang 1993 hätte Konkursantrag stellen müssen und es bei pflichtgemäßem Handeln nicht zu den Beitragsausfällen im hier maßgebenden Zeitraum gekommen wäre. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten in Höhe der 42.499,81 DM abgewiesen. Dagegen richtet sich die – zugelassene – Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob dem Beklagten ein Verstoß gegen § 64 Abs. 1 GmbHG anzulasten ist. Jedenfalls seien die im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Juni 1994 (BGHZ 126, 181) entwickelten Grundsätze zu der auf Ersatz des negativen Interesses gerichteten Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber vertraglichen Neugläubigern gemäß §§ 64 Abs. 1 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB auf das Verhältnis zur Klägerin als Gläubigerin gesetzlicher Beitragsansprüche nicht übertragbar. Denn für sie gelte nicht, daß sie bei rechtzeitiger Konkursantragstellung nicht mehr mit der GmbH kontrahiert hätte; vielmehr entstehe ihr Beitragsanspruch nach den Vorschriften des SGB IV kraft Gesetzes und sei nur von dem – von ihr nicht zu beeinflussenden – Fortbestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses abhängig, worauf die Konkursantragstellung keinen unmittelbaren Einfluß habe. Es könne deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, daß bei früherer Konkursantragstellung Beitragsansprüche der Klägerin nicht mehr entstanden wären. Einen Quotenschaden mache sie ausdrücklich nicht geltend.
II. Das hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Die Revision meint, die Klägerin sei vertraglichen Neugläubigern gleichzustellen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei davon auszugehen, daß bei rechtzeitiger Konkursantragstellung durch den Beklagten zu Beginn des Jahres 1993 die Arbeitnehmer der GmbH entsprechend früher entlassen worden und dann im hier maßgebenden Zeitraum von Juni bis Oktober 1993 keine sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche der Klägerin gegenüber der GmbH mehr entstanden wären. Insoweit fehlt es jedoch schon an einem gemäß §§ 64 Abs. 1 GmbH, 823 Abs. 2 BGB ersatzfähigen Schaden.
a) Nach den Grundsätzen im Senatsurteil BGHZ 126, 181 ff. hat der seine Konkursantragspflicht versäumende Geschäftsführer einem vertraglichen Neugläubiger den – nicht auf eine Quotendifferenz beschränkten – Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entsteht, daß er mit der konkursreifen GmbH noch in Rechtsbeziehungen getreten ist. Der danach zu ersetzende Schaden besteht nicht in dem wegen der Insolvenz der GmbH „entwerteten” Erfüllungsanspruch des Gläubigers – dies wäre das deliktsrechtlich grundsätzlich nicht geschützte positive Interesse (vgl. z.B. Staudinger/Schiemann, BGB 13. Aufl. vor §§ 249 ff. Rdn. 48; § 249 Rdn. 195) –; zu ersetzen ist vielmehr nur das negative Interesse (Sen. aaO S. 201), z.B. in Form von Vorleistungen oder Aufwendungen, die der (vertragliche) Neugläubiger infolge des Vertragsschlusses mit der konkursreifen GmbH erbracht hat.
b) Einen derartigen Anspruch auf Ausgleich eines negativen Interesses macht die Klägerin nicht geltend. Sie verlangt vielmehr von dem Beklagten die ersatzweise Erfüllung ihrer Beitragsforderung gegenüber der GmbH. Da aber diese Beitragsforderung nach ihrem Vortrag bei rechtzeitiger Konkursanmeldung nicht mehr entstanden wäre und ein Quotenschaden (BGHZ 29, 100) nicht geltend gemacht ist, kann auch in den Beitragsausfällen seitens der GmbH für Juni bis Oktober 1993 keine durch die Konkursverschleppung bedingte Vermögenseinbuße der Klägerin gesehen werden; in der bloßen Entstehung eines – auch wertlosen – Anspruchs liegt kein Schaden des Gläubigers. Die Klägerin behauptet nicht, daß ihr infolge der Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer bei der konkursreifen GmbH anderweitige Beitragseinnahmen entgangen seien (§ 252 BGB) oder ihr bei früherer Konkursanmeldung aus der Konkursmasse weitere als die von der GmbH bis Mai 1993 erbrachten Beitragsleistungen zugeflossen wären. Ihr Schadensersatzbegehren wegen Nichterfüllung der von der insolventen K. GmbH nicht beglichenen Beitragsforderungen läuft im Ergebnis darauf hinaus, so gestellt zu werden, als wäre die GmbH im Zeitraum Juni bis Oktober 1993 noch solvent gewesen. Ein solches (positives) Interesse der Sozialversicherungsträger wird im Rahmen der §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG ebensowenig geschützt wie bei vertraglichen Neugläubigern.
2. Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich eine Haftung des Beklagten aus §§ 64 Abs. 1 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB auch nicht darauf gründen, daß die Klägerin bei rechtzeitiger Konkursantragstellung durch den Beklagten und entsprechend früherer Entlassung der Arbeitnehmer der GmbH für diese ab Juni 1993 keinen Sozialversicherungsschutz auf der Basis der Arbeitsverhältnisse mit der GmbH mehr hätte bereitstellen müssen.
a) Die „Bereitstellung von Versicherungsschutz” ist jedenfalls im Bereich der gesetzlichen, nicht an Äquivalenzgesichtspunkten orientierten Sozialversicherung (vgl. dazu BGHZ 87, 181, 183 f.) eine abstrakte Größe, die nicht mit dem Wert der Beiträge für den entsprechenden Zeitraum gleichgesetzt werden kann. Allenfalls kämen konkrete Leistungen in Erfüllung des Versicherungsschutzes, den die Klägerin im übrigen gemäß § 155 AFG bei früherer Entlassung und Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmer ebenso ohne Beitragsleistungen der K. GmbH hätte gewähren müssen, als Schaden in Betracht. Aber auch dieser wäre nicht vom Schutzbereich der §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG erfaßt.
b) Soweit sozialversicherungsrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen der Leistungsträger in der Zeit nach der tatsächlichen Konkursantragstellung (5. August 1993) entstanden sind, fallen diese schon deshalb nicht in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG, weil dessen Tatbestandsverwirklichung (Dauerdelikt) mit Stellung des Konkursantrages endet (vgl. auch Sen., BGHZ 108, 134, 136 f.). Unabhängig davon sind die Sozialversicherungsträger, die Beitragsansprüche gegen eine GmbH nach Entstehung der Konkursantragspflicht erworben haben, deshalb nicht wie vertragliche Neugläubiger (im Sinne von BGHZ 126, 181 ff.) in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbH einbezogen, weil ihre Gläubigerstellung im Rechtssinne nicht auf der Versäumung der Konkursantragspflicht, sondern auf dem Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beruht (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV; Schulin, Sozialrecht 4. Aufl. § 7; Gitter, Sozialrecht 4. Aufl. § 7 I 1), dessen Bestand selbst durch die Konkurseröffnung über das Vermögen des Arbeitgebers nicht unmittelbar berührt wird (vgl. § 22 KO; OLG München, VersR 1977, 1001 f.). Die Insolvenz oder auch ein Konkursantrag der Arbeitgeberin (GmbH) lösen nicht einmal ein Sonderkündigungsrecht entsprechend § 22 KO aus, geschweige denn eine Verpflichtung des Geschäftsführers gegenüber den Sozialversicherungsträgern zur sofortigen Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Die Sozialversicherungsträger können ihrerseits auf einen (rechtzeitig) gestellten Konkursantrag nicht mit einer Kündigung des Sozialversicherungsverhältnisses reagieren.
3. Soweit die Revision schließlich darauf verweist, daß die vom Arbeitgeber abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge bei wirtschaftlicher Betrachtung Bestandteil des vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsentgelts seien (vgl. dazu BGHZ 87, 181 f.; Schulin aaO, § 11 Rdn. 198), kommt es darauf hier nicht an, weil die Klägerin einen angeblich ihr entstandenen Schaden und nicht einen Schaden der Arbeitnehmer aus übergegangenem Recht (§§ 115 ff., 119 SGB X) geltend gemacht hat.
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Henze, Kurzwelly, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.03.1999 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538643 |
BB 1999, 1290 |
DB 1999, 1209 |
DStR 1999, 988 |
NJW 1999, 2182 |
NWB 1999, 2350 |
BGHR |
EBE/BGH 1999, 180 |
GmbH-StB 1999, 189 |
EWiR 1999, 651 |
KTS 1999, 366 |
NZG 1999, 718 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1117 |
WuB 1999, 979 |
ZAP 1999, 666 |
ZIP 1999, 967 |
DZWir 1999, 387 |
InVo 1999, 272 |
MDR 1999, 1011 |
NZI 1999, 269 |
NZS 1999, 392 |
SGb 1999, 561 |
VersR 1999, 867 |
ZInsO 1999, 349 |
GmbHR 1999, 715 |
www.judicialis.de 1999 |