Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslagenerstattung nach Erledigungserklärung einer Verfassungsbeschwerde
Leitsatz (redaktionell)
Gab die Verfassungsbeschwerde den Anstoß dafür, daß das Finanzgericht nach 5 Jahren über die Klage der Beschwerdeführerin entschieden hat, die Gesamtdauer des Verfahrens einschließlich Verwaltungsverfahren 15 Jahre betrug und die Verfassungsbeschwerde nach Ergehen der FG-Entscheidung für erledigt erklärt wurde, ist die Erstattung der Auslagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens anzuordnen.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; BVerfGG § 34a Abs. 3
Tatbestand
I. 1. Im Jahre 1965 erzielte die bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde 65 Jahre alte Beschwerdeführerin einen Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kommanditgesellschaft, den sie in Übereinstimmung mit dem Finanzamt als Mitunternehmeranteil i. S. des § 15 EStG ansah. Nach einer Außenprüfung bei der Kommanditgesellschaft im Jahre 1968 änderte das Finanzamt seine bisherige Beurteilung und qualifizierte die veräußerten Rechte als stille Beteiligung mit der Folge der Versagung eines ermäßigten Steuersatzes (§§ 16, 34 EStG). Im Februar 1969 erließ das Finanzamt einen entsprechend geänderten Gewinnfeststellungsbescheid, gegen den die Beschwerdeführerin Einspruch einlegte. Im Verlaufe des weiteren Verfahrens erging im Jahre 1976 ein neuerlicher Änderungsbescheid, gegen den sich die Beschwerdeführerin ebenfalls mit dem vorgesehenen Rechtsbehelf wandte. Nach der Zurückweisung ihres Einspruchs durch die Finanzbehörde erhob die Beschwerdeführerin am 4. 7. 1980 Klage beim Finanzgericht. Dort blieb der Rechtsstreit ohne jede Förderung in der Sache.
Nachdem die Beschwerdeführerin im Januar 1985 Verfassungsbeschwerde erhoben hatte. mit der sie die Verfahrensdauer beanstandete, führte das Finanzgericht am 12. 3. 1985 eine mündliche Verhandlung durch, die jedoch nicht zu einer Sachentscheidung führte; das Gericht beschloß, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Aufgrund einer weiteren mündlichen Verhandlung vom 18. 12. 1985 gelangte das Finanzgericht schließlich zu einem Urteil, das der Beschwerdeführerin am 4. 3. 1986 zugestellt wurde.
2. Nach Zugang des finanzgerichtlichen Urteils hat die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt und beantragt, ihr die im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen Auslagen zu erstatten. Unter Einschluß des Verwaltungsvorverfahrens habe sich der Steuerrechtsstreit über 15 Jahre hingezogen. Damit sei ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt gewesen. Ohne Erhebung der Verfassungsbeschwerde wäre der Rechtsstreit entsprechend der Geschäftslage des zuständigen Senats des Finanzgerichts voraussichtlich erst in drei Jahren entschieden worden. Allein aufgrund der Einreichung der Verfassungsbeschwerde sei das Finanzgericht ihrer Bitte um Verfahrensförderung nachgekommen; das werde auch darin deutlich, daß nach Bekanntwerden der Verfassungsbeschwerde ohne ausreichende Vorbereitung kurzfristig der Verhandlungstermin vom 12. 3. 1985 anberaumt worden sei, offenbar mit dem Ziel, der Verfassungsbeschwerde das Rechtsschutzinteresse zu nehmen.
3. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hält den Antrag auf Erstattung der Auslagen für unbegründet. Eine entsprechende Anordnung müßte sich daran orientieren, ob die Verfassungsbeschwerde Erfolg gehabt haben würde; eine derartige Prüfung sei nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Davon abgesehen sei aber auch zweifelhaft, ob die Verfassungsbeschwerde begründet gewesen sei. Es sei nicht zu erkennen, daß die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung aus sachwidrigen Erwägungen zunächst unterblieben wäre.
Entscheidungsgründe
II. Die Zuständigkeit der Kammer für die Entscheidung über den Antrag auf Auslagenerstattung ist gegeben (BVerfGE 72, 34).
Es erscheint unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles billig, die Erstattung der notwendigen Auslagen anzuordnen, die der Beschwerdeführerin durch die Erhebung der Verfassungsbeschwerde entstanden sind (§ 34a Abs. 3 BVerfGG i. d. F. der Bekanntmachung vom 12. 12. 1985. BGBl I S. 2229). Die Verfassungsbeschwerde hat den Anstoß dafür gegeben, daß das Finanzgericht über die Klage der Beschwerdeführerin entschieden hat. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Sachverhalt, der steuerrechtlich zu beurteilen war, aus dem Geschäftsjahr 1964/65 stammte und es der Beschwerdeführerin schon aus Altersgründen nicht mehr zugemutet werden konnte, noch weiter auf die abschließende Klärung ihrer steuerlichen Verpflichtungen zu warten.
Eine anwaltliche Vertretung der Beschwerdeführerin war angebracht, weil sie – wie ihre Bevollmächtigten ausführen – als Hausfrau in rechtlichen Fragen unerfahren ist.
Fundstellen