Leitsatz
1. Sind Ermessensrichtlinien erlassen, überprüfen die Steuergerichte auch, ob die RL die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält und ob sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch macht.
2. Lehnt das FA, gestützt auf den Erlass über Steuererklärungsfristen vom 2.1.1997 (BStBl I 1997, 125) einen Fristverlängerungsantrag allein mit der Begründung ab, der Steuerpflichtige habe nicht Personen oder Gesellschaften i.S.d. § 3 StBerG oder Buchstellen von Körperschaften und Vereinigungen i.S.d. § 4 Nrn. 3 und 8 StBerG, sondern einen Lohnsteuerhilfeverein mit der Anfertigung seiner ESt-Erklärung beauftragt, ist diese Entscheidung rechtswidrig.
Normenkette
§ 3, § 4 StBerG, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, § 5, § 109 Abs. 1 Satz 1, § 149 Abs. 2 Satz 1 AO
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitglied des Lohnsteuerhilfevereins X (Verein). Am 14.4.1997 beantragte die Beratungsstelle des Vereins für den Kläger, die Frist des § 149 Abs. 2 AO für die Abgabe der ESt-Erklärung für das Kalenderjahr 1996 unter sinngemäßer Anwendung der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder über Steuererklärungsfristen vom 2.1.1997 (BStBl I 1997, 125) bis zum 30.9.1997 zu verlängern und einer weiteren Verlängerung der Abgabefrist, soweit erforderlich, im vereinfachten Verfahren auf den 2.3.1998 zuzustimmen.
Das FA lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass nach dem Erlass die Abgabefristen der Steuererklärung 1996 nur dann allgemein bis zum 30.9.1997 verlängert würden, wenn Personen oder Gesellschaften i.S.d. § 3 StBerG oder Buchstellen von Körperschaften und Vereinigungen i.S.d. § 4 Nrn. 3 und 8 StBerG diese Erklärung anfertigten. Der vom Kläger zur Wahrnehmung seiner steuerlichen Interessen beauftragte Lohnsteuerhilfeverein gehöre nicht zu diesem Personenkreis.
Das FG wies die als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführte Klage ab.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf. Er stellte fest, die ablehnende Entscheidung des FA, die Fristverlängerung nicht zu gewähren, sei rechtswidrig gewesen.
Hinweis
1. Die BFH-Entscheidung enthält umfangreiche Ausführungen u.a. zu folgenden Fragen:
- Erledigt sich ein Verpflichtungsbegehren (bezüglich eines Fristverlängerungsantrags) mit der Einreichung der Steuererklärung?
- Wann sind die Voraussetzungen einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegeben, insbesondere wann ist ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr zu bejahen?
Der BFH hält auch im Streitfall an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass nur eine eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit von Ermessensentscheidungen durch die Steuergerichte besteht.
2. In der Sache äußert sich der BFH ausführlich dazu, dass die Benachteiligung von Lohnsteuerhilfevereinen (etwa gegenüber Steuerberatern) bei Fristverlängerungen (mit kürzeren Fristen) ermessenswidrig ist. Denn die einschlägige Verwaltungsvorschrift differenziert bei Fristverlängerungsanträgen ermessenswidrig allein nach der vom Steuerpflichtigen beauftragten Person. Soweit der Erlass innerhalb der Gruppe der zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen Befugten differenziert, wird der Zweck des eingeräumten Ermessens verfehlt, da der Erlass allein auf berufsrechtliche Regelungen zurückgreift. Die Benachteiligung der Lohnsteuerhilfevereine lässt sich nach dem Verwaltungserlass auch nicht mit dem Umfang und der Schwierigkeit einer Steuererklärung begründen.
3. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die in den gleichlautenden Erlassen vom 23.2.2006 (BStBl I 2006, 234) getroffenen Regelungen zur allgemeinen Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärungen für das Kalenderjahr 2005 auch gelten, soweit die Steuererklärungen von Lohnsteuerhilfevereinen (§ 4 Nr. 11 StBerG) angefertigt werden.
Die in der Besprechungsentscheidung angesprochene Benachteiligung der Lohnsteuerhilfevereine besteht also nicht mehr.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.4.2006, VI R 64/02