Entscheidungsstichwort (Thema)
Untersuchungshaft als berufliche Nichtrückkehrtage i.S. des DBA-Schweiz
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Arbeitslohn, der aufgrund eines Arbeitsvertrages während der Untersuchungshaft eines Arbeitnehmers fortbezahlt wird, handelt es sich um Einkünfte aus „unselbständiger Arbeit” i.S.d. Art. 15 oder Art. 15a DBA-Schweiz.
2. Die Tage, in denen sich der Arbeitnehmer aufgrund von Untersuchungshaft unbeabsichtigt und zwangsweise im Ausland befindet, sind als Nichtrückkehrtage i.S.d. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz zu berücksichtigen, wenn die Inhaftierung beruflich veranlasst ist.
3. Art. 15 Abs. 2 DBA-Schweiz, nach dem das Besteuerungsrecht in einen Drittstaat wechselt, wenn sich der Steuerpflichtige mehr als 183 Tage außerhalb des regelmäßigen Ansässigkeitsstaates und des Staates des Arbeitsorts in ein und demselben Drittstaat aufhält, geht der Regelung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz vor, da nach Ablauf dieser Zeit nicht mehr von einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnort gesprochen werden kann.
4. Bleibt der Steuerpflichtige weniger als 183 Tage in ein und demselbsen Drittstaat, wird der Übergang des Besteuerungsrechts auf die Schweiz bei Grenzgängern durch die Regelung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz mittels einer auf das gesamte Kalenderjahr bezogenen Betrachtung abschließend geregelt.
5. Die Tätigkeit eines in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten für eine schweizerische Kapitalgesellschaft wird auch dann in der Schweiz ausgeübt, wenn sie tatsächlich überwiegend außerhalb der Schweiz verrichtet wird.
6. Die Rückfallklausel nach Art. 15 Abs. 4 Satz 2 DBA-Schweiz findet keine Anwendung, wenn die Besteuerung in Form einer Quellensteuer mit proportionalem Steuersatz erfolgt.
Normenkette
DBA CHE Art. 4 Abs. 4, Art. 15 Abs. 2, 4; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 2 S. 2; DBA CHE Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d; EStG §§ 34c, 12 Abs. 1 Nr. 4, § 4 Abs. 4, § 1 Abs. 1 S. 1; AO § 8; StGB § 14
Nachgehend
Tenor
1. Der geänderte Einkommensteuerbescheid 2001 vom 21. März 2003 und der geänderte Einkommensteuerbescheid 2002 vom 30. April 2004 in der Form der Einspruchsentscheidungen vom 17. März 2006 werden dahingehend abgeändert, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 247.011 DM für 2001 und von 42.476 EUR für 2002 nach Art 24 DBA-Schweiz unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gestellt werden und die Einkommensteuer dementsprechend herabgesetzt wird. Die Berechnung wird dem beklagten Finanzamt übertragen.
2. Das beklagte Finanzamt trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Das Urteil wird im Kostenausspruch für vorläufig vollstreckbar erklärt. Ermöglicht die Entscheidung über die Kosten eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1500 EUR, hat der Kläger Sicherheit in Höhe der für ihn festgesetzten Kostenerstattung zu leisten. Im Übrigen kann der Beklagte die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der für ihn festgesetzten Kostenerstattung leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob Einkünfte des Klägers in den Streitjahren 2001 und 2002 aus einer Tätigkeit in Drittländern für eine schweizerische Kapitalgesellschaft in der Schweiz oder in der Bundesrepublik steuerpflichtig sind.
Der Kläger war einzelzeichnungsberechtigter Direktor der im Handelsregister des Kantons X eingetragenen Co AG, die am 10. Oktober 1983 ins Handelsregister des Kantons X eingetragen wurde. Am 9. Juni 1989 und 1. November 1991 wurden die Statuten geändert. Der Sitz der Gesellschaft befand sich in O / Schweiz,. Das voll liberierte Aktienkapital betrug 50.000 Schweizer Franken (Sfrs). D U war Mitglied des Verwaltungsrates. Wegen der Einzelheiten wird auf den Handelsregisterauszug (FG-Akte 11 K 91/06, Bl. 173) Bezug genommen.
Die Gesellschaft befasste sich mit dem Handel von Flugzeugen und Flugzeugteilen auf zivilem und militärischem Gebiet. Der Kläger war weltweit tätig und führte sowohl die Verhandlungen bezüglich des Ankaufs bei Lieferanten, als auch mit Kunden bezüglich des Verkaufes von Flugzeugteilen und Flugzeugen. Sowohl die Einkäufe als auch die Verkäufe fanden international statt. Die Kunden waren schwerpunktmäßig im nahen und fernen Osten angesiedelt, wobei es sich teilweise um staatliche, halbstaatliche und zivile Luftfahrtorganisationen handelte. Die Co AG AG hatte eine Militärlizenz, die sie nach Schweizer Recht berechtigte, auch militärisch brauchbare Güter zu exportieren. Hierfür musste sie bei einer Genehmigungsbehörde in der Schweiz entsprechende Listen mit den zu exportierenden Gütern vorlegen, wobei die Schweizer Behörde dann die Ausfuhr genehmigte oder ablehnte. Diese Genehmigungen wurden eingereicht, bevor überhaupt Gespräche mit potentiellen Kunden oder Lieferanten stattfanden. Während der Kläger im Wesentlichen reiste und...