Entscheidungsstichwort (Thema)
Lizenzgebühren an beschränkt Steuerpflichtige. Freistellung vom Steuerabzug. Nettolohnvereinbarung. Ermessensfehler bei der Inhaftungnahme des Vergütungsschuldners. behördliches Aussetzungsverfahren als gegenüber dem gerichtlichen Aussetzungsverfahren eigenständiges Verwaltungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Voraussetzung für die Abstandnahme des inländischen Vergütungsschuldners vom Steuerabzug von Lizenzgebühren an beschränkt Steuerpflichtige ist das Vorliegen einer Freistellungsbescheinigung. Es reicht nicht aus, dass lediglich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung vorliegen.
2. Eine Nettolohnvereinbarung kann nicht bereits dann unterstellt werden, wenn sich später herausstellt, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nicht vorgenommen hat und deshalb als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird. Erforderlich ist vielmehr eine entsprechende Einigung der Vertragsparteien darüber, dass nur der Nettobetrag ausgezahlt werden soll und der Vergütungsschuldner zusätzlich die anfallenden Steuern zu entrichten hat.
3. Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn das FA in der unzutreffenden Annahme, es habe eine Nettolohnvereinbarung vorgelegen, den Vergütungsschuldner in Haftung nimmt, ohne eine – ebenfalls zulässige – Inanspruchnahme des ausländischen Vergütungsgläubigers als Steuerschuldner in Betracht zu ziehen.
4. Das beim FA geführte Aussetzungsverfahren stellt im Verhältnis zu dem beim FG geführten Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO kein Vorverfahren i. S. d. § 139 Abs. 3 S. 3 FGO, sondern ein eigenständiges Verwaltungsverfahren dar.
Normenkette
EStG 2002 § 49 Abs. 1 Nr. 9, § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 Sätze 1, 5, 6 Nr. 1, § 50d Abs. 2 S. 1; AO §§ 5, 361; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 139 Abs. 3 S. 3, § 102
Tenor
Die Vollziehung des Haftungsbescheides gemäß § 50a Abs. 5 EStG vom … Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom …Mai 2011 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung im Verfahren 12 K 12148/11 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Tatbestand
Die Antragstellerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Vermarktung innovativer Techniken und Internetdienste, Entwicklung von Softwareprodukten einschließlich internetfähiger Zahlungssysteme sowie die Erbringung von weiteren Dienstleistungen auf diesem Gebiet ist. Sie zahlte in den Jahren 2004 und 2005 Lizenzgebühren für das Nutzungsrecht an Software an die D-AG und für das Nutzungsrecht an erotischen Filmen an die E-AG, und zwar jeweils ohne Abzug von Steuern gemäß § 50a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Beide Lizenzgeberinnen haben ihren Sitz in der Schweiz. Mit Datum vom … Oktober und … Dezember 2008 erteilte das Bundeszentralamt für Steuern den Lizenzgeberinnen Freistellungsbescheinigungen gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG. Die entsprechenden Anträge hatten die Lizenzgeberinnen am … September bzw. … Dezember 2008 gestellt.
Der Antragsgegner stellte anlässlich einer Außenprüfung bei der Antragstellerin für die Jahre 2003 bis 2005 fest, dass diese Lizenzgebühren ohne Einbehalt von Steuern gezahlt hatte. Er sah die Lizenzvereinbarungen als Nettovereinbarung an und erließ am … Juli 2009 den hier streitigen Haftungsbescheid nach § 50a Abs. 5 EStG. Dabei ging er für 2004 von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von EUR 320 000 und für 2005 von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von EUR 230 000 aus. Als Steuerabzugsbetrag ergaben sich EUR 81 120 für 2004 und EUR 58 305 für 2005; als Solidaritätszuschlag EUR 4 448 für 2004 und EUR 3 197 für 2005.
Gegen den Haftungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein, den der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom … Mai 2011 zurückwies. Dagegen hat die Antragstellerin Klage erhoben, die bei dem Senat unter dem Aktenzeichen 12 K 12148/11 anhängig ist und über die noch nicht entschieden worden ist. Einen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides hat der Antragsgegner mit Bescheid vom … Juli 2011 abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt im Klageverfahren vor, dass sämtliche steuerlichen Pflichten in Bezug auf die Lizenzzahlungen von den jeweiligen Lizenzgeberinnen hätten getragen werden sollen. Sie, die Antragstellerin, habe von der Vornahme eines Steuerabzugs abgesehen, da gemäß Art. 12 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz (DBA Schweiz) das Besteuerungsrecht bei der Schweiz gelegen habe und die Voraussetzungen für die Erteilung von Freistellungsbescheinigungen vorgelegen hätten. Dieses Verhalten sei nicht zu beanstanden. Daran ändere auch § 50d Abs. 2 Sätze 4 und 5 EStG nichts, der nicht die Vorlage einer Freistellungsbescheinigung zum Zeitpunkt der Zahlung voraussetze, sondern nur verlange, dass eine solche vorliege. Es sei auch nicht hinderlich, dass die Geltungsdauer einer Freistellungsbescheinigung frühestens an dem Tag beginne, an dem der Antrag beim Bun...