rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Kindergeld. Festsetzungsfrist. Darlegungs- und Feststellungslast der Familienkasse für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung. Wegfall der Bereicherung lässt Rückforderungsanspruch nicht entfallen
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit § 70 Abs. 2 EStG verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, die Festsetzung des zutreffenden Kindergeldes sicherzustellen, und räumt der materiellen Richtigkeit Vorrang vor der Bestandskraft des Dauerverwaltungsakts der Kindergeldfestsetzung ein.
2. Durch die monatliche Auszahlung des Kindergeldes wird die ursprüngliche Festsetzung nur jeweils konkludent bestätigt; es wird nicht monatlich eine neue Festsetzung vorgenommen.
3. Die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist.
4. Die Behörde (hier: Familienkasse) trägt die Darlegungs- und Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung.
5. Ein Wegfall der Bereicherung führt nicht zum Wegfall des abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruchs.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c, § 70 Abs. 2, § 66 Abs. 1; AO § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 1, § 37 Abs. 2, § 370 Abs. 1, § 378 Abs. 1; BGB § 818 Abs. 3
Tenor
Der Bescheid vom 11. September 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2016 wird aufgehoben, soweit darin für die Monate Oktober 2010 bis Dezember 2010 die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld für das Kind J. und die Erstattung überzahlten Kindergeldes i.H.v. von 552,– EUR angeordnet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 91,67 % und die Beklagte zu 8,33 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. September 2015, mit dem diese die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind J., geboren am … 1989, für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2013 aufhob und gezahltes Kindergeld i.H.v. 6.624,– EUR zurückforderte.
Der Kläger ist Vater des Kindes J. und einer weiteren Tochter (S.). Die Kindesmutter verstarb im November 2001. Bis dahin wurde das Kindergeld für die beiden Kinder der Kindesmutter ausgezahlt, und zwar von der … (Familienkasse des öffentlichen Dienstes in …).
Unter dem 20. Dezember 2001 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt … auf dem amtlichen Antragsvordruck Kindergeld u.a. für das Kind J. Oberhalb seiner Unterschrift auf dem ausgefüllten Antragsvordruck findet sich folgender Hinweis: „Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich dem Arbeitsamt …- mitzuteilen habe. Das Merkblatt über Kindergeld habe ich bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen. Ihm wurde daraufhin Kindergeld für das Kind J. gewährt.
Nachdem die Zahlung von Kindergeld nach Beendigung der Schulausbildung des Kindes J. eingestellt worden war, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 20. Januar 2009, auf das wegen des genauen Wortlauts verwiesen wird, bei der zwischenzeitlich zuständig gewordenen Familienkasse … die weitere Zahlung von Kindergeld für das Kind J. Er reichte zur Begründung eine für den Zeitraum 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 gültige Immatrikulationsbescheinigung für das Kind J. ein, nach der das Kind J. im Wintersemester 2008/09 als ordentliche Studentin im Bachelor-Studiengang Englisch (1. Fachsemester) und Mathematik (1. Fachsemester) an der Universität … eingeschrieben war.
Anfang Februar 2009 erließ die Familienkasse … einen Bescheid, mit dem sie Kindergeld für das Kind J. festsetzte und weiter monatlich fortlaufend an den Kläger auszahlte.
Mit Schreiben vom 12. August 2009 forderte die Familienkasse … den Kläger auf, einen Nachweis über die Fortdauer der Hochschulausbildung des Kindes J. einzureichen, und kündigte an, die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind J. mit Ablauf des Monats März 2009 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufzuheben, wenn der Kläger nicht antwortet.
Anfang Oktober 2009 stellte die Familienkasse … die Zahlung von Kindergeld für das Kind J. ein, weil der Nachweis über die Fortdauer der Hochschulausbildung des Kindes J. nicht eingereicht worden war.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 teilte die Familienkasse … dem Kläger mit, dass für den Zeitraum April 2009 bis Oktober 2009 nicht mehr nachgewiesen sei, dass er einen Anspruch auf Kindergeld für das Kind J. habe. Denn er habe trotz Aufforderung mit Schreiben vom 12. August 2009 den erforderlichen Nachweis über die Fortdauer der Hochschulausbildung (Studienbescheinigung für das Sommersemester 2009) nicht vorgelegt. Deshalb müsse nunmehr geprüft werden, ob für den genannten Zeitraum die Kindergeldfestsetzung aufzuheben und das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld i.H.v. 1.148,– EUR nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu erstatten sei. Bevor sie, die Beklagte, darüber entscheide, erhalte er, der Kläger, Gelegenheit zur St...