rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine rückwirkende Änderung eines Kindergeldbescheides nach § 70 Abs. 2 EStG wegen geänderter rechtlicher Beurteilung. zum Kindergeldanspruch für behinderte Kinder. Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung (Kindergeld)
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Bewilligung von Kindergeld nur dannn darf rückwirkend nach § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben werden darf, wenn sich die persönlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten bzw. seines Kindes geändert haben, nicht aber, wenn die Verwaltung ihre eigene rechtliche Beurteilung geändert oder ihre eigene fehlerhafte Rechtsanwendung korrigiert hat.
2. Es liegt kein rückwirkendes, nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Änderung eines Bescheids berechtigendes Ereignis vor, wenn sich lediglich die rechtliche Beurteilung des gleichen Sachverhalts ändert.
3. Zur Frage, ob ein behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, wenn es von den Trägern der Sozialhilfe Leistungen wie Hilfe zum Selbstunterhalt und Eingliederungshilfe erhält.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; EStG 1997 § 70 Abs. 2; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 155 Abs. 6, § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d; EStG § 63 Abs. 1; BSHG §§ 27, 39-40
Tenor
Die Vollziehung des Bescheides vom 27. November 1997 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung ausgesetzt. Soweit der Bescheid vom 27. November 1997 vollzogen wurde, wird die Aufhebung der Vollziehung angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Beschluß ist unanfechtbar.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller ist der Vater der am 23. Juni 1959 geborenen Tochter G. Die Tochter ist seit Geburt schwerbehindert (100 GdB). Sie lebt seit dem 15. Dezember 1995 in den Wohnstätten der Lebenshilfe für geistig Behinderte in H und wird an den Wochenenden von dem Antragsteller und seiner Ehefrau zu Hause betreut.
Der Landschaftsverband W trägt die Kosten für die Heimunterbringung im Rahmen der Eingliederungsbeihilfe gemäß § 40 Bundessozialhilfegesetz – BSHG –. Die Kosten werden nicht vom Antragsteller zurückgefordert. Angesichts der Betreuung der Tochter an den Wochenden zahlt die Pflegeversicherung der AOK H ein pauschaliertes Pflegegeld in Höhe von monatlich DM 427,–. Außerdem verfügt die Tochter über Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Diese haben sich im August 1997 auf DM 120, brutto belaufen. Dem Antragsteller ist u. a. im Jahr 1995 Kindergeld für seine Tochter gewährt worden.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 1997 setzte der Antragsgegner u. a. das Kindergeld für die Tochter des Antragstellers ab dem 1. November 1997 auf DM 0,– fest. Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 31. Oktober 1997 Einspruch ein.
Mit Bescheid vom 27. November 1997 hob der Antragsgegner die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung ab dem 1. Januar 1997 auf. Als Ermächtigungsgrundlage benannte er § 172 Abs. 1 Nr. 2 d Abgabenordnung –AO– i.V.m. § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz – EStG –. Zur Begründung führte er aus, mit der Umwandlung des Kindergeldes von einer Sozialleistung zu einer Steuervergütung zum 1. Januar 1996 hätten sich auch die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld für volljährige behinderte Kinder in den Fällen geändert, in denen Eingliederungshilfe mit vollstationärer Unterbringung von einem Sozialhilfeträger gewährt werde und gesetzlich Unterhaltsverpflichtete vom Sozialhilfeträger nicht an den Kosten beteiligt würden. Während die Leistungen des Sozialhilfeträgers nach früherem Recht unberücksichtigt geblieben seien, seien sie seit dem 1. Januar 1996 als Bezüge des Kindes anzusetzen. Nachdem für das Kalenderjahr 1996 noch das günstigere Übergangsrecht des § 78 EStG habe Anwendung finden können, sei man nunmehr gehalten, die bestehende Kindergeldfestsetzung rückwirkend zum 1. Januar 1997 zu korrigieren. Kindergeld für volljährige behinderte Kinder stehe nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nur zu, wenn diese Kinder wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande seien, sich selbst zu unterhalten. Ein Sozialhilfeträger gewähre der Tochter des Antragstellers Eingliederungshilfe mit vollstationärer Unterbringung nach § 27 i.V.m. § 40 BSHG. Der notwendige Lebensunterhalt des Kindes werde durch diese Hilfe voll gedeckt. Das Kind sei also mit Mitteln Dritter fähig, sich selbst zu unterhalten. Diese Rechtsauffassung habe der Bundesfinanzhof –BFH– mit Urteil vom 14. Juni 1996 bestätigt. Eine andere Beurteilung käme – auch nach dem BFH-Urteil – nur in Frage, wenn gesetzlich Unterhaltsverpflichtete durch den Sozialhilfeträger an den Kosten beteiligt würden. Ein solcher Fall einer Kostenbeteiligung sei vorliegend nicht anzunehmen.
Aus der rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldfestsetzung entstehe ein Erstattungsanspruch, der zugleich geltend gemacht werde. Der Erstattungsbetrag belaufe sich auf DM 2.200,–. Der zuviel gezahlte Betrag werde beginnend mit der Bezügezahlung für den Monat Januar 1998 in monatli...