Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage gegen Einfuhrabgabenbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer: Abgrenzung von Aktiv- und Passivprozess im Insolvenzrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Ein finanzgerichtliches Verfahren, in dem die später insolvente Klägerin die Aufhebung eines Einfuhrabgabenbescheids, auf den noch keine Zahlungen erfolgt sind, begehrt, stellt einen insolvenzrechtlichen Passivprozess dar, da der Gläubiger ein Recht zu Lasten der Insolvenzmasse beansprucht.
2. Ein solcher Passivprozess wandelt sich nicht dadurch in einen insolvenzrechtlichen Aktivprozess, dass die Klägerin vor ihrer Insolvenz aufgrund eines gerichtlichen AdV-Verfahrens Sicherheiten an den Beklagten geleistet hat.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 1; UStG § 21 Abs. 2; InsO §§ 87, 174; ZK Art. 203-204; ZKDV Art. 529 Abs. 1, Art. 530 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der früheren Klägerin und jetzigen Insolvenzschuldnerin, wendet sich gegen einen Einfuhrabgabenbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer.
Gegenstand des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin war... Seit dem 1. Juli 2006 betrieb sie u.a. ein vom früheren HZA Hamburg-1 am 27. Juni 2006 bewilligtes privates Zolllager des Typs C am A in Hamburg. Lagerkunde war im Wesentlichen ein Logistik- und Transportunternehmen, das im Auftrag überwiegend ... Unternehmen in Fernost gekaufte Nichtgemeinschaftswaren für den Weiterverkauf nach Osteuropa auf dem Seeweg in die Freizone Hamburg brachte. Dieses hatte die Insolvenzschuldnerin beauftragt, die in Hamburg eintreffenden und für die Wiederausfuhr bestimmten Waren in ihr (Transit-)Zolllager einzulagern. Zu diesem Zweck gab die Insolvenzschuldnerin bei den zuständigen Zollstellen vereinfachte Zollanmeldungen zur Überführung der Waren in das Zollverfahren "Zolllager Typ C" ab. Aufgrund der Teilnahme am ATLAS-Verfahren erfolgten Überführungen von Waren in das Zolllagerverfahren automatisch und unmittelbar. Gleiches galt wegen einer Schnittstelle zwischen dem ATLAS-Verfahren und dem von der Insolvenzschuldnerin verwendeten Programm für die Anschreibungen in den Bestandsaufzeichnungen.
Nach einer durchschnittlichen Lagerdauer von mehr als 6 Wochen unterrichtete das Logistik- und Transportunternehmen die Insolvenzschuldnerin über den Weiterverkauf von Waren, woraufhin die Insolvenzschuldnerin aus dem vorhandenen Warenbestand die jeweiligen Sendungen kommissionierte. Diese wurden von in den Bestimmungsländern ansässigen Spediteuren mit eigenen Fahrzeugen am Lager übernommen und anschließend - dies ist unstreitig - aus dem Zollgebiet der Union ausgeführt. Die Insolvenzschuldnerin erstellte bei der Entnahme der Waren Zollanmeldungen für ihre Wiederausfuhr (i.d.R. Verfahren Carnet TIR oder gemeinschaftliches Versandverfahren T1).
Im Rahmen einer Zollprüfung des Zolllagers für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 stellte der Beklagte fest, dass die Entfernung solcher Waren aus dem Zolllager am A wegen einer manuellen Datenübermittlung erst mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen in den EDV-geführten Bestandsaufzeichnungen angeschrieben worden war.
Aus diesem Grunde setzte er mit Einfuhrabgabenbescheid vom 1. Juli 2008 (XXX-1) Zoll i.H.v. ... € und Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. ... € fest. Im Rahmen der Zollprüfung sei festgestellt worden, dass die in der Anlage 5 des Bescheids genannten Waren ohne sofortige Buchung in den Bestandsaufzeichnungen aus dem Zolllager entnommen worden seien. Nach der Entnahme seien die Waren einer zulässigen neuen zollrechtlichen Bestimmung zugeführt worden. Die Buchungen in den Bestandsaufzeichnungen seien jedoch erst 11 bis 126 Tage nach der Entnahme erfolgt. Die gemäß Art. 105 Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, 1; Zollkodex - ZK) i.V.m. Art. 529 und 530 Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung desZollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, 1; Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) verspäteten Buchungen hätten sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zolllagerverfahrens ausgewirkt (Art. 859 ZK-DVO) und führten als Pflichtverletzung im Rahmen eines Zolllagerverfahrens zu einer Zollschuldentstehung nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK. Die Vorschriften für Zölle würden gemäß § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß für die Einfuhrumsatzsteuer gelten.
Gegen den Bescheid legte die Insolvenzschuldnerin am 2. Juli 2008 Einspruch ein. Eine Zollschuld sei bereits deshalb nicht entstanden, weil sich der Verstoß gegen die Pflicht zur rechtzeitigen und nachvollziehbaren Buchung von Entnahmen aus dem Zolllager nicht gemäß Art. 204 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK i.V.m. Art. 859 Nr. 6 ZK-DVO auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zolllagerverfahrens ausgewirkt habe. Die Einfuhrumsatzsteuer habe der Beklagte ebenfalls nicht festsetzen dürfen. Die streitgegenständlichen Waren seien wiederausgeführt worden und damit nicht in den inl...