Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung fiktiver Übergangsgewinne nach dem InvStG 2018. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 15/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Besteuerung fiktiver Übergangsgewinne gemäß § 56 InvStG 2018 ist auch dann rechtmäßig, wenn ein Veräußerungsgewinn bei wirtschaftlicher Betrachtung überproportional mit Einkommensteuer belastet oder ein entstandener Veräußerungsverlust wie ein Gewinn besteuert wird.
2. Die mit dem durch das Investmentsteuerreformgesetz ab dem Jahr 2018 vollzogenen Systemwechsel in der Fondsbesteuerung verbundenen Übergangsregelungen (nach alter Rechtslage angeschaffte Fondsanteile gelten mit Ablauf des 31.12.2017 als veräußert und zum 1.1.2018 als angeschafft) sind zwangsläufige Folge der gesetzgeberischen Konzeption eines möglichst klaren Übergangs zum neuen Besteuerungsregime.
3. Aufgrund der gesetzgeberisch verfolgten Besteuerungs- und Vereinfachungszwecke und des dem Gesetzgeber bei einer Umgestaltung komplexer Regelungssysteme zustehenden weiten Gestaltungsspielraums waren die Veräußerungsfiktion zum 31.12.2017 und die Anschaffungsfiktion zum 1.1.2018 hierzu ein praktikables Mittel, insbesondere weil der dabei erzielte Veräußerungsgewinn (erst) erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung der Anteile zu versteuern ist. Hierbei ist es auch gerechtfertigt, dass die Übergangsregelung bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Kursverlauf (hoher Kurswert am 31.12.2017, später niedrigerer Kurswert im Zeitpunkt der Veräußerung) zu einer von der wirtschaftlichen Betrachtung abweichenden Besteuerung führen kann und umgekehrt auch zu einer Nichtversteuerung tatsächlich erzielter Gewinne kommen kann.
Normenkette
InvStG 2018 § 56 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Nr. 3; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 3; InvStG 2018 § 56 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer 2018 über die verfassungskonforme Auslegung und/oder die Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift in § 56 Investmentsteuergesetz (InvStG).
Der einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Kläger erzielte neben anderen Kapitaleinkünften im Streitjahr u.a. Einkünfte aus Investmenterträgen, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben (einzutragen in „Anlage KAP-INV” der Einkommensteuererklärung).
Hierbei investierte der Kläger u.a. in einen ausländischen Fonds. Bei dem Fonds handelt es sich unstreitig (wegen eines angestrebten Aktienanteils von 70 %) um einen Aktienfonds mit einer Teilfreistellung nach § 20 InvStG n.F. (Rechtslage ab 2018) i.H.v. 30 %. Ausweislich im Klageverfahren vorgelegter Unterlagen wurden per 3. Juli 2015 517,046 Anteile des Fonds zu einem Kaufpreis von 70.000 € erworben. Die Anschaffungskosten pro Anteil betrugen damit 135,3844 €.
Im Dezember 2018 veräußerte der Kläger insgesamt 399,081 Anteile an dem Fonds und erzielte unstreitig – ausweislich einer Erträgnisaufstellung und weiteren Unterlagen der Depotbank – einen (tatsächlichen) Veräußerungspreis von abgerundet 52.824 € (Wert einzutragen in Zeile 35 Anlage KAP-INV). Die tatsächlichen rechnerischen Anschaffungskosten für die 399,081 Anteile betrugen 54.029 € (399,081 Anteile × 135,3844 €/Anteil).
Ausweislich der Bankunterlagen betrugen die steuerlich anzusetzenden Anschaffungskosten, die bei einer Anschaffung vor dem 1. Januar 2018 auch „fiktive Anschaffungskosten” gem. der Übergangsregelung in § 56 InvStG enthalten, abgerundet 58.317 € (Wert einzutragen in Zeile 36 Anlage KAP-INV zur Einkommensteuererklärung). Veräußerungskosten bestanden keine (Wert einzutragen in Zeile 37 Anlage KAP-INV). Der steuerlich anzusetzende Gewinn/Verlust (Wert einzutragen in Zeile 38 Anlage KAP-INV) betrug demnach -5.493 € (d.h. Verlust; bei Aktienfonds Wert nach Zeile 9 Anlage KAP-INV zu übertragen; Gewinn/Verlust eines Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG vor Teilfreistellung/Teilabzugsverbot). Nach einer Teilfreistellung (bzw. hier einem Teilabzugsverbot) von 30 % verblieb ein zu berücksichtigter Verlust von 3.845 €.
Zugleich wies die Erträgnisaufstellung einen (bei Anschaffung nach dem 31.12.2008 und vor dem 01.01.2018 in Zeile 40 der Anlage KAP-INV einzutragenden) sog. „fiktiven Veräußerungsgewinn zum 31.12.2017” i.H.v. 6.090 € aus. Jener Wert beruht auf der Übergangsregelung in § 56 Abs. 2 InvStG. Sogenannte „bestandsgeschützte Alt-Anteile” (mit Anschaffung vor dem 1. Januar 2009) bestanden im Streitfall nicht.
Nach einem Erstbescheid zur Einkommensteuer vom 8. November 2019, sowie einem Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2019, legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und begehrte – seinerzeit bei teilweise noch unklarer Sachlage bzgl. des streitigen Fonds – eine Überprüfung der steuerlichen Erfassung. Im Einspruchsverfahren legte er Bankunterlagen vor.
Unter dem 15. Juni 2020 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid, der gem. § 365 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Dabei setzte er u.a. bei der Berechnung der der Abgeltung...