Entscheidungsstichwort (Thema)
Stellen einer bereits Teilen der Prüflinge bekannten Prüfungsaufgabe
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine den Grundsatz der Chancengleichheit verletzende Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Prüfungskandidaten ist nicht gegeben, wenn die Prüfungsbehörde in Kenntnis der Tatsache, dass die Lösung einer Arbeit einem Teil der Prüfungskandidaten bekannt ist, die Prüfungsaufgabe trotzdem stellt und damit diese Prüflinge bewusst gegenüber den übrigen Prüfungsteilnehmern, die die Arbeit nicht kennen, bevorzugt.
2) Eine Benachteiligung liegt nicht vor, wenn die Prüfungsbehörde in Kenntnis der Tatsache, dass die Lösung einer Arbeit einem Teil der Prüfungskandidaten bekannt ist, keinen Vergleich zwischen den einzelnen Prüfungsleistungen vornimmt, sondern eine jede Prüfungsleistung anhand des im Lösungsvorschlag enthaltenen Optimums misst und anhand der dort für die einzelnen Prüfungsteile vorgesehenen Punkte bewertet.
3) War dem Aufgabensteller bekannt, dass die Prüfungsaufgabe vier Jahre zuvor in einem Repetitorium behandelt worden war, ist dieser nicht verpflichtet, sich zu erkundigen, ob diese Aufgabe in der Zwischenzeit nochmals behandelt wurde (a.A.: Hessisches FG v. 08.10.1998 13 K 795/98, EFG 1999, 251).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; DVStB §§ 15, 25 Abs. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte den Kläger zu Recht von der mündlichen Steuerberaterprüfung ausgeschlossen hat.
Die Ertragsteuerklausur in der Steuerberaterprüfung 1997 war einigen Bewerbern bekannt. Der mit der Aufgabenstellung für die Ertragsteuerklausur beauftragte Beamte … hatte als Vorlage eine von ihm überarbeitete Übungsklausur des S aus dem Jahre 1993 verwendet und als eigenen Aufgabenentwurf ausgegeben. Die Übungsklausur wurde, was der fragliche Beamte nicht wußte, im Jahre 1997 von dem S auch selbst überarbeitet und erneut als Übungsklausur in einem Vorbereitungskurs geschrieben. Diese Umstände waren den für die Druchführung der Steuerberaterprüfung verantwortlichen obersten Finanzbehörden der Länder nicht bekannt. Hiervon haben sie vielmehr erst nach der schriftlichen Steuerberaterprüfung, aber vor der Bewertung der Klausuren erfahren.
Der Beklagte teilte dem Kläger durch Bescheid vom 30.01.1998 mit, daß der Prüfungsausschuß … für Steuerberater für die von ihm in der Steuerberaterprüfung 1997 geschriebenen Aufsichtsarbeiten folgende Noten festgesetzt habe:
Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete |
5,0 |
Ertragsteuerrecht |
5,0 |
Buchführung und Bilanzwesen |
5,5. |
Da die Gesamtnote für die schriftliche Prüfung somit 5,16 betrage, sei der Kläger nach § 25 Abs. 2 DVStB von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen und habe mithin die Steuerberaterprüfung 1997 nicht bestanden.
Mit der dagegen am 05.02.1998 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, bei der Steuerberaterprüfung 1997 sei der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3, Art 12 GG verletzt worden, weil die Ertragsteuerklausur vorab einem Teil der Prüfungsteilnehmer bekannt gewesen sei. Sie sei erst im Sommer 1997 im Rahmen des Klausurenfernkurses S geschrieben worden. Diese Verfahrensweise verstoße gegen das Gebot, für alle gleiche Berufszugangsvorausetzungen zu gewährleisten. Eine Rechtsverletzung könne auch nicht mit dem Hinweis in Abrede gestellt werden, daß die Bewertungskriterien für die Begutachtung der Prüfungsaufgaben von vornherein feststünden und eine Bevorzugung einzelner Prüfungsteilnehmer keine Benachteiligungen von Prüfungsteilnehmern zur Folge hätten, denen die Klausur nicht bekannt war. Der Kläger stellt in Abrede, daß das Prüfungsverfahren unbeeinflußt vom Abschneiden der übrigen Prüfungsteilnehmer nur nach Maßgabe der in den Lösungshinweisen festgehaltenen Bewertungskriterien durchgeführt worden sei. Der Beklagte wäre im übrigen für diese Behauptung beweispflichtig. Tatsächlich spiele das durchschnittliche Abschneiden der Prüfungsteilnehmer eine wesentliche Rolle. Die Chancenverbesserung einer Gruppe von Teilnehmern habe automatisch die Chancenverschlechterung der übrigen Teilnehmer zur Folge. Eine Durchsicht der vergangenen Prüfungsergebnisse zeige, daß über Jahre hinweg unahbhängig vom Schwierigkeitsgrad der geschriebenen Klausuren jeweils eine konstant hohe Durchfallquote von ca. 50% erreicht worden sei. Dies belege, daß bei einfacheren Klausuren zur Erreichung der Durchfallquote tendenziell ein strengerer Bewertungsmaßstab angelegt werde. Entsprechend dürfte verfahren werden, wenn einer Gruppe von Prüfungsteilnehmern eine Klausur bekannt sei. Eine Kompensation der dadurch erzielbaren guten Ergebnisse erfolge auch hier durch Anwendung eines strengeren Korrekturmaßstabes mit der Folge der Benachteiligung der Prüfungsteilnehmer, die die Klausur nicht kannten.
Zum anderen bedeutet nach Meinung des Klägers das Akzeptieren der bei der Prüfung aufgetretenen Unregelmäßigkeiten, daß der Beklagte davon absehe, daß ein nicht unerheblicher Teil der Prüfungsteilnehmer einen Leistungsnachweis im Bereich des Einkommensteuerrechts erbringe. Die Wiedergab...