Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer: Verhinderung etwaiger Steuerumgehungen durch § 6 Abs. 4 GrEStG. Kombination der mittelbaren, nicht steuerbaren Übertragung einer Beteiligung an einer grundbesitzenden Gesamthand zwischen Tochter und Vater mit einer anschließenden mittelbaren steuerbaren, aber steuerbefreiten Übertragung dieser Anteile zwischen Vater und Sohn. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: II R 6/24)
Leitsatz (redaktionell)
1. § 6 GrEStG findet auf alle steuerbaren Erwerbsvorgänge des § 1 GrEStG entsprechende Anwendung, mithin auch auf den fiktiven Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3a GrEStG.
2. Sind an einer Gesamthand 1 der Vater zu 10 % sowie Sohn und Tochter zu je 45 % beteiligt und erwirbt der Vater über eine Gesamthand 2, an der er zu 100 % beteiligt ist, die 45 %-Beteiligung der Tochter an der Gesamthand 1, so ist dieser Anteilserwerb nicht nach § 1 Abs. 3a GrEStG steuerbar. Erwirbt jedoch kurze Zeit danach der Sohn die Anteile des Vaters an der Gesamthand 2 und ist er dadurch insgesamt (mittelbar und unmittelbar) zu 90 % an der Gesamthand 1 beteiligt, so ist dieser Anteilserwerb nach § 1 Abs. 3a GrEStG steuerbar. Da die Gesamthand 2 ihre Beteiligung an der Gesamthand 1 erst innerhalb von zehn Jahren vor der Übertragung ihrer Anteile vom Vater auf den Sohn erworben hat, steht insoweit § 6 Abs. 4 Nr. 1 GrEStG bei der gebotenen teleologischen Reduzierung gegen den Gesetzeswortlaut einer anteiligen Steuerbefreiung in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 2 GrEStG in Verbindung mit § 3 Nr. 6 GrEStG entgegen.
3. § 6 Abs. 4 GrEStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift, mit der Steuerumgehungen durch die Kombination eines außerhalb von § 1 Abs. 2a GrEStG nicht steuerbaren Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand und der nachfolgenden nach § 6 GrEStG begünstigten Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen durch den „neuen” Gesellschafter verhindert werden sollen (vgl. BFH, Beschluss v. 19.3.2003, II B 96/02). Nicht maßgebend ist, ob (subjektiv) im Einzelfall eine Steuerumgehung beabsichtigt war. Die Vorschrift greift ein, um objektiven Steuerumgehungen vorzubeugen, die der – im Grundsatz – steuerfreie Übergang von Anteilen an einer Gesamthand ermöglicht. Dies wird für Änderungen der Beteiligungsverhältnisse an der veräußernden Gesamthand innerhalb der Zehnjahresfrist typisierend unterstellt.
4. Es kommt auf das abstrakte Missbrauchspotential derjenigen Gestaltung an, auf die § 6 Abs. 4 GrEStG zielt. Das ist die Kombination eines nicht steuerbaren Erwerbs einer Beteiligung an einer Gesamthand mit einer steuerbefreiten Grundstücksübernahme aus dem Vermögen der Gesamthand.
5. Es liegt eine missbrauchsgeneigte Gestaltung vor, wenn der nicht steuerbare Erwerb der 45%-Beteiligung der Tochter an der Gesamthand 1 durch die Gesamthand 2, deren Alleingesellschafter der Vater ist, mit der in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 2 GrEStG in Verbindung mit § 3 Nr. 6 GrEStG steuerbefreiten Übernahme dieser Anteile durch den Sohn kombiniert wird und wenn eine unmittelbare Übertragung der 45 %-Beteiligung der Schwester an der Gesamthand 1 auf den Bruder mangels Verwandtschaft in gerader Linie nicht gemäß § 6 Abs. 2 GrEStG in Verbindung mit § 3 Nr. 6 GrEStG entsprechend von der Steuer befreit wäre.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 3a, § 3 Nr. 6 S. 1, § 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Nr. 1; AO § 42
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt (FA) einen Erwerbsvorgang i.S.d. § 1 Abs. 3a des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) zu Recht gem. § 6 Abs. 4 GrEStG i.H.v. 45 % nicht von der Grunderwerbsteuer freigestellt hat.
An der GbR, mit Grundbesitz in X Stadt, waren seit deren Gründung mit notariell beurkundetem Vertrag über die „Errichtung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts” vom 31. März 2006 V i.H.v. 10 %, seine beiden Kinder, der Kläger und T i.H.v. zunächst jeweils 45 % beteiligt. An der H KG waren V i.H.v. 8 %, der Kläger und T i.H.v. zunächst jeweils 46 % beteiligt.
Am 23. März 2021 erwarb die I KG die 45 % Anteile der T an der GbR. An der GbR waren nunmehr die I KG i.H.v. 45 %, der Kläger i.H.v. 45 % sowie V i.H.v. 10 % beteiligt. 100 % der Anteile an der I KG hielt V. Ebenfalls am 23. März 2021 erwarb der Kläger von T die 46 % Anteile an der H KG.
Mit Kauf- und Übertragungsvertrag vom 16. Juli 2021 erwarb der Kläger die Anteile der I KG an der GbR i.H.v. 45 %, so dass er nunmehr i.H.v. 90 % an der GbR beteiligt war. Der Kaufpreis betrug 32.282.500 EUR, daneben hatte der Kläger weitere Verpflichtungen übernommen. Die Grunderwerbsteuer hatte der Kläger zu tragen.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2022 setzte das FA für den Erwerb des Klägers mit Vertrag vom 16. Juli 2021 aus einer Bemessungsgrundlage i.H.v. 97.333.333 EUR Grunderwerbsteuer i.H.v. 1.533.000 EUR fest. In Höhe von 55 % gewährte es die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 2 GrEStG.
Am 22. Juli 2022 legte der Kläger gegen den ...