rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsverjährung bei zu Unrecht (Steuerstraftat) ausgezahltem Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufgrund der Ablaufhemmung endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.
2. Die Verjährung beginnt mit der Beendigung des Delikts.
3. Beim Kindergeld als Steuervergütung tritt die Beendigung erst mit der letzten unrechtmäßigen Gewährung ein. Da das Kindergeld monatlich gewährt wird, erfolgt jeden neuen Monat eine weitere unrechtmäßige Gewährung.
Normenkette
AO § 155 Abs. 4, § 169 Abs. 2 S. 2 Alt. 2, § 170 Abs. 1, § 378; EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 1; OWiG § 31 Abs. 3
Tenor
1. Der Bescheid vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … wird insoweit aufgehoben, als er die Kindergeldfestsetzung für die Monate Juni 1998 – Juni 2000 aufhebt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 42% und die Beklagte 58%.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Strittig ist die Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung von Kindergeld für das Pflegekind V. von Juni 1998 bis Dezember 2001.
I.
Die Klägerin (Kl.) ist die Schwester der mittlerweile verstorbenen V.. V. hatte im Klagezeitraum einen Grad der Behinderung von 100 % und in ihrem Schwerbehindertenausweis sind zusätzlich die Merkzeichen „G” und „H” (neben weiteren) eingetragen. V. lebte seit dem Tod ihrer Mutter (der Kl. und von V.) im Frühjahr 1998 bis 18.06.2000 in einem Haus in…. Die Kl. wohnte in einem sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Haus in … Ab 19.06.2000 war V. vollstationär im … untergebracht.
Mit von ihr unterzeichnetem Antrag vom 10.06./15.06.1998 beantragte die Kl. Kindergeld für V.. Die Beklagte (Familienkasse –FK–) zahlte in der Folge das Kindergeld an die Kl. aus; ein Festsetzungsbescheid erging nicht. Mit Bescheid vom …2007 hob die FK die Festsetzung von Kindergeld für V. u.a. für den Zeitraum Juni 1998 bis August 2003 auf und forderte das für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld i.H.v. 8.714,44 EUR zurück (hiervon entfallen auf den Klagezeitraum Juni 1998 – Dezember 2001 5.634,44 EUR). Den Einspruch der Kl. wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom …2010 als unbegründet zurück. Es handle sich bei V. nicht um ein Pflegekind; eine Haushaltsaufnahme liege nicht vor, da V. in einer eigenen Wohnung lebte.
Mit ihrer Klage macht die Kl. im Wesentlichen geltend, sie habe mit V. örtlich gebunden zusammen gelebt und die Kl. habe V. im Klagezeitraum durchgängig persönlich betreut und versorgt. Die Häuser in … und … befänden sich in unmittelbarer Nachbarschaft und gehörten zu demselben landwirtschaftlichen Hof. Das Haus der Kl. sei das Austragshaus und V. habe lediglich nicht dort übernachten können, weil das Haus für zwei Personen zu klein sei. Sie –die Kl.– habe sich aber täglich um V. gekümmert, Mahlzeiten für sie gekocht, sie gewaschen und ihr beim Ankleiden geholfen. Die Rückforderung von Kindergeld sei darüber hinaus bis Dezember 2001 nicht mehr möglich, da der Rückforderungsanspruch, selbst wenn eine leichtfertige Steuerverkürzung bejaht werde, innerhalb von fünf Jahren verjährt sei. Eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist wegen der Begehung einer Steuerordnungswidrigkeit sei nicht eingetreten, denn die Kl. habe keine Steuerordnungswidrigkeit begangen. Sie habe keine Kenntnis über die Voraussetzungen des Kindergeldbezugs gehabt. Sie habe zwar den Kindergeldantrag unterzeichnet, die Antragstellung sei allerdings von ihrem Bruder ausgegangen.
Die Kl. beantragt,
den Bescheid vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … aufzuheben, soweit darin die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Juni 1998 bis Dezember 2001 aufgehoben wurde.
Die FK beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kl. habe ihre Schwester nicht in ihren Haushalt aufgenommen, da es an einem räumlich gebundenen Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung fehlte. Außerdem sei zum Zeitpunkt der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung am …2007 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen. Die Kl. habe eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) begangen. Die Verjährungsfrist der Verfolgungsverjährung betrage in diesen Fällen nach § 384 AO fünf Jahre und die Festsetzungsverjährung laufe nach § 171 Abs. 7 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht ab, bevor die Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit verjährt sei. Die Verfolgungsverjährung beginne, sobald die Tat beendet sei. Die Beendigung liege bei – wie im Streitfallkonkludenter Bekanntgabe der Festsetzung mit der letzten Auszahlung des Kindergeldes vor. Da die letzte Auszahlung des Kindergeldes am … 2006 erfolgt sei, sei bei Aufhebung der Kinde...