Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel stellen verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die grundsätzliche Vereinbarkeit der in § 240 AO angeordneten Höhe der Säumniszuschläge in Frage.
2. Allerdings begegnet § 240 AO dann verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen teilweise zu erlassen sind, da dann die (nicht erlassenen) Säumniszuschläge sowohl ihrem verbleibenden Zweck nach (Abschöpfung des Nutzungsvorteils) als auch der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar sind.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2, §§ 233a, 238, 240 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids, und zwar um die Höhe der in Ansatz gebrachten Säumniszuschläge.
Der Antragsgegner setzte für den Voranmeldungszeitraum 02/2013 Umsatzsteuer i.H.v. X € fest. Die Umsatzsteuer wurde in der Folgezeit durch Umbuchungen vollständig gezahlt.
Mit Antrag vom 28.07.2016 beantragte die Antragstellerin den Erlass der entstandenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 02/2013. Zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 02/2013 auf X €.
Mit Schreiben vom 01.08.2017 erließ der Antragsgegner die Hälfte der Säumniszuschläge i.H.v. X € mit der Begründung, dass unter dem Aspekt persönliche Unbilligkeit mangelnde Liquidität der Steuerpflichtigen angeführt worden sei. Aufgrund der finanzamtsbekannten finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin sei davon auszugehen, dass die beiden geforderten Merkmale Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vorgelegen hätten und insoweit sachliche Unbilligkeit vorgelegen habe. Aus diesem Grunde komme ein hälftiger Erlass in Betracht. Den weitergehenden Antrag lehnte der Antragsgegner mit der Begründung ab, dass verwirkte Säumniszuschläge eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und einen Ausgleich für die Verwaltungskosten darstellen würden. Am 10.07.2019 stellte der Antragsgegner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin. Im Zuge von weiterführenden Verhandlungen zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner wurde eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhindert und es wurde ein Vollstreckungsaufschub zum 31.12.2020 erwirkt. Die ausstehenden Säumniszuschläge i.H.v. X € wurden dann vollständig gezahlt.
Die Antragstellerin beantragte am 22.08.2019 und am 21.02.2020 den Erlass eines Abrechnungsbescheides zu den Säumniszuschlägen. Sie trug vor, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) diese zur Hälfte aus einem Druckanteil und zur Hälfte aus einem Zinsanteil zusammensetzen würden. Deutlich werde dies daran, dass der BFH die gesetzlich entstandenen Säumniszuschläge regelmäßig als zur Hälfte aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen ansehe, wenn Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vorliege. Den weitergehenden Anteil, den Zinsanteil, halte der BFH in seinen Entscheidungen zu sachlichen Billigkeitsgründen regelmäßig nicht für erlasswürdig, da dieser der steuerlichen Verzinsung auch bei späterer Fälligkeit der Steuer entspreche. Eine Unterscheidung danach, dass Säumniszuschläge pro angefangenen Monat anfielen und Zinsen pro vollen Monat zu berechnen seien, habe der BFH in den vorliegenden Entscheidungen nicht getroffen. Gleichzeitig gehe der BFH davon aus, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der steuerlichen Zinsen gebe und gewähre daher bei angefochtenen Zinsfestsetzungen zu Steuern ab 2012 Aussetzung der Vollziehung.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe sei dabei nicht im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen zu erörtern, sondern im Rahmen der Zinsfestsetzung selbst zu klären. Übertragen auf Säumniszuschläge bedeute dies zum einen materiell, dass, wenn die Zinshöhe mit 6 % verfassungswidrig hoch sei, dies auch für den Zinsanteil in den Säumniszuschlägen gelten müsse, der dadurch, dass pro angebrochenen Monat verzinst werde, tendenziell noch höher als 6 % sei. Zum anderen bedeute dies verfahrensrechtlich, dass die Beanstandung der angemessenen Zinshöhe der Säumniszuschläge nicht über ein Verfahren von sachlicher Billigkeit der Säumniszuschläge zu regeln sei, sondern die Festsetzung als solches angegriffen werden müsse. Dies deshalb, weil die Entstehung der Zuschläge von 12 % als verfassungswidrig eingeordnet werden müsse, wenn der Zinsanteil in den Säumniszuschlägen mit 6 % bemessen werde und diese Zinsen wiederum verfassungsrechtlich zu hoch seien. Da Säumniszuschläge grundsätzlich kraft Gesetzes entstünden, sei im Rahmen eines vollziehbaren Abrechnungsbescheid nur dann über die Höhe von Säumniszuschlägen zu entscheiden, wenn die Entstehung von Säumniszuschlägen streitig sei. Es sei daher die Erteilung eines Abrechnungsbescheides erforderlich.
Am 25.05.2020 erließ der An...