Entscheidungsstichwort (Thema)
Fiktive Terminsgebühr bei Beendigung eines Klageverfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen
Leitsatz (redaktionell)
Der Anwendungsbereich der fiktiven Terminsgebühr ist mit dem Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 21.12.2020 (BGBl. 2020, 3229 ff.) für den Fall übereinstimmender Erledigungserklärungen erheblich ausgeweitet worden. Hiernach kommt es nur darauf an, dass in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, eine Erledigung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG eingetreten ist.
Normenkette
VV RVG Nr. 3202; RVG § 2 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Erinnerungsgegner anlässlich der Beendigung eines Klageverfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen im Rahmen der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung eine Terminsgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) in Verbindung mit Nr. 3202 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) zukommt.
Der Erinnerungsgegner war Prozessbevollmächtigter des Klägers im abgeschlossenen Klageverfahren 15 K 1921/21 Kg. In diesem gegen die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse Nordrhein-Westfalen (NRW) … – (Beklagte) gerichteten Klageverfahren begehrte der Kläger die Bewilligung von Kindergeld für den Zeitraum September 2020 bis Dezember 2020.
Im Zuge der Klageerwiderung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, bat der Beklagte zur Prüfung der Kindergeldberechtigung um die Vorlage weiterer Nachweise zur behaupteten Arbeitstätigkeit des Klägers. Mit Schriftsatz vom 14.10.2021 übersandte der Erinnerungsgegner für den Kläger einzelne dieser Nachweise. Zugleich wies der Erinnerungsgegner für den Kläger darauf hin, dass es diesem bis zum Zeitpunkt der Schriftsatzerstellung nicht möglich gewesen sei, eine Arbeitstätigkeit für den Monat September 2020 zu belegen. Vor diesem Hintergrund sei es denkbar, das Klageverfahren einvernehmlich dadurch zu erledigen, dass von einer Kindergeldberechtigung ab Oktober 2020 ausgegangen werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 14.10.2021 Bezug genommen.
Der Berichterstatter des Verfahrens 15 K 1921/21 Kg bat anlässlich dessen den Beklagten mit Verfügung vom 15.10.2021 um Stellungnahme zum Erledigungsvorschlag des Klägers. Der Beklagte setzte in der Folge mit Bescheid vom 15.11.2021 Kindergeld für die Monate Oktober 2020 bis Dezember 2020 fest und erklärte den Rechtsstreit unter Bezugnahme auf den klägerischen Schriftsatz vom 14.10.2021 in der Hauptsache für erledigt. Mit Schriftsatz vom 20.12.2021 erklärte auch der Kläger das Klageverfahren für erledigt.
Der nach § 79a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung insoweit zuständige Berichterstatter legte mit Beschluss vom 21.12.2021 die Kosten des Verfahrens dem Beklagten zu 80 % und dem Kläger zu 20 % auf. Mit weiterem Beschluss vom selben Tage bewilligte der Berichterstatter dem Kläger unter Beiordnung des Erinnerungsgegners vollumfänglich Prozesskostenhilfe für die erste Instanz.
Mit Schreiben vom 7.1.2022 beantragte der Erinnerungsgegner die Festsetzung der für das Klageverfahren zu gewährenden Vergütung. Er beanspruchte in diesem Zuge aus einem Gegenstandswert i.H. von 2.232,00 € eine Verfahrensgebühr (Nr. 3200 VV RVG), eine Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) und eine Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG), jeweils zzgl. 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des 15. Senats des Finanzgerichts Münster folgte dem Antrag und setzte die dem Erinnerungsgegner aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 763,50 € fest.
Das Land NRW hat – vertreten durch die Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse des Finanzgerichts Münster – am 14.1.2022 Erinnerung gegen die Festsetzung vom 7.1.2022 eingelegt. Es ist der Ansicht, eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG und die hierauf entfallende Umsatzsteuer seien nicht festzusetzen. Der Hauptsacheerledigungsbeschluss vom 21.12.2021 sei eine Entscheidung, für die eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben sei. Es handele sich bei diesem Erfordernis jedoch um zwingende Voraussetzung für das Entstehen einer Terminsgebühr in dem Verfahren. Dies entspreche der Gesetzesbegründung, die eine fiktive Terminsgebühr für die Fälle habe vorsehen wollen, in denen eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr entstehe und es auf Grund dieser einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits nicht mehr zu einer mündlichen Verhandlung komme. Hiervon gingen auch Stimmen in der Literatur aus. Weitergehend komme eine Terminsgebühr auch deshalb nicht in Betracht, weil eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG nicht entstanden sei. Eine solche Gebühr sei daran geknüpft, dass der Prozessbevollmächtigte eine auf die Erledigung des Rechtsstreits hinzielende Tätigkeit en...