rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung eines fast volljährigen Kindes bei Pflegeeltern oder bei der Kindesmutter
Leitsatz (redaktionell)
1) Ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfordert, dass der Steuerpflichtige (und Kindergeldberechtigte) mit dem Kind durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, es in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern des Kindes nicht mehr besteht.
2) Bei fast volljährigen Kindern ist die persönliche Anwesenheit der leiblichen Eltern nicht von ausschlaggebender Bedeutung für den Forbestand des Obhuts- und Pflegeverhältnisses. Vielmehr genügt es, wenn das Kind noch in Verbindung mit den leiblichen Eltern steht. Das ist auch anzunehmen, wenn die leiblichen Eltern noch erhebliche Geldzahlungen an das Kind erbringen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 63 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Kind als Pflegekind beim Beigeladenen, der es in seinen Haushalt aufgenommen hatte, oder als leibliches Kind bei der Klägerin zu berücksichtigen ist.
S. (S), das am 11. Dezember 1986 geborene leibliche Kind der Klägerin, lebte jedenfalls seit dem 13. August 2001 im Haushalt des Beigeladenen, der der Bruder der Klägerin und der Onkel der S ist. Seit dem 31. Dezember 2004 lebt S wieder bei der Klägerin. Die Aufnahme in den Haushalt des Beigeladenen stand in zeitlichem Zusammenhang mit der Trennung der leiblichen Eltern der S. Die Haushalte der Klägerin und des Beigeladenen liegen in derselben Gemeinde.
In den Akten befindet sich die Kopie einer unter dem 16. August 2001 mit dem Namen der Klägerin unterzeichneten Vollmachtsurkunde, in der es heißt: „Hiermit bevollmächtige ich, (die Klägerin), bis auf Widerruf (den Beigeladenen), alle erforderlichen schulischen Erfordernisse und sonstigen, notwendig anfallenden, erzieherischen Tätigkeiten für meine Tochter (S) zu regeln.” Die Klägerin hat bestritten, diese Urkunde unterzeichnet zu haben; der Beigeladene hat das Original der Urkunde im Klageverfahren trotz Aufforderung nicht vorgelegt.
Die Klägerin erhielt bis Oktober 2003 Kindergeld für S. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Oktober 2004 hob der Beklagte die Festsetzung mit Wirkung ab September 2001 auf und forderte das für September 2001 bis Oktober 2003 ausgezahlte Kindergeld zurück. Er war der Auffassung, S sei kindergeldrechtlich nicht bei der Klägerin, sondern als Pflegekind des Beigeladenen zu berücksichtigen. Ihren Einspruch begründete die Klägerin ausschließlich damit, das erhaltene Kindergeld im Wege der Verrechnung mit gegenläufigen Ansprüchen an den Beigeladenen weitergeleitet zu haben.
Zugunsten des Beigeladenen ist Kindergeld für die Zeit von November 2003 bis Dezember 2004 festgesetzt worden. Die für den Beigeladenen zuständige Familienkasse (das Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen – LBV –) ist der Auffassung, der Beigeladene habe auch für die Zeit von September 2001 bis Oktober 2003 Anspruch auf Kindergeld, will vor einer Festsetzung aber den Abschluss des vorliegenden Verfahrens abwarten.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren behauptet die Klägerin erstmals im Klageverfahren, zwischen S und dem Beigeladenen habe kein Pflegekindschaftsverhältnis bestanden. Vielmehr hätten die Klägerin und deren geschiedener Ehemann sämtliche Entscheidungen über Schulbesuche, Kleidung, Taschengeld und Urlaube getroffen. S sei gemeinsam mit ihrem Bruder B. im Januar 2001 beim Beigeladenen untergebracht worden, um einen Schulwechsel angesichts eines anstehenden Umzugs der Klägerin zu vermeiden. Dies sei als vorübergehende Lösung bis zum Bezug einer geeigneten Wohnung gedacht gewesen. Erst als die Klägerin im August 2003 gemeinsam mit ihrem neuen Ehemann den Umzug in ihre jetzige Wohnung geplant habe, habe S sich entschieden, nicht mehr zur Klägerin zurückzukehren. In der früheren Wohnung habe sich ein vollständig eingerichtetes Zimmer für S befunden; S habe sich in unregelmäßigen Abständen dort aufgehalten. Die Klägerin habe an den Klassenpflegschaftssitzungen und Elternsprechtagen teilgenommen und in den Schuljahren 2001/2002 und 2002/2003 den gesamten Zahlungsverkehr für eine Klassenfahrt der Schulklasse der S organisisert. Sie habe neben dem Unterhalt auch Schulmaterial, Taschengeld, Kleidung und einen Zweiradführerschein für S bezahlt. Familiengeburtstage sowie Weihnachten und Silvester seien gemeinsam gefeiert worden.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 6. Oktober 2004 sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. November 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene hat schriftsätzlich zwar einen Antrag angekündigt, in der mündlichen Verhandlung aber erklärt, dass er keinen Antrag stellen wolle.
Er behauptet, sämtliche Entscheidungen für S getroffen, insbesondere die Anmeldungen an den von ihr besuchten Schulen vorgenommen zu haben. Er habe an den Elternpflegschaftssitzungen teilg...