vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. l UStG bei Vergütung von Pflege- und Betreuungsleistungen ausschließlich aus dem persönlichen Budget i.S.d. § 29 SGB IX. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: V R 1/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Abhängigmachung der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. l UStG davon, ob bei der betreffenden Einrichtung die Betreuungskosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind, ist dem Grunde nach verfassungs- und unionsrechtskonform. Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht besteht insoweit lediglich, wie die gesetzliche Regelung auf das vorangegangene Kalenderjahr abstellt.
2. Leistungen aus dem Persönlichen Budget nach § 29 SGB IX sind nicht in die Ermittlung der Sozialgrenze (25%) für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. l UStG einzubeziehen.
3. Eine für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. l UStG gemäß dem BFH-Urteil vom 13.6.2018 - XI R 20/16 (BFHE 262, 220) ausreichende mittelbare Kostentragung (durch gesetzliche Träger der Sozialhilfe) ist bei Vergütung der Betreuungs- und Pflegeleistungen ausschließlich aus dem persönlichen Budget der Kunden nicht gegeben.
Normenkette
UStG 2013 § 4 Nr. 16 Buchst. 1
Streitjahr(e)
2013, 2014, 2015, 2016
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob von der Klägerin erzielte Umsätze einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterliegen.
Das Unternehmen der Klägerin wurde am 28.03.2012 im Handelsregister des Amtsgerichts unter der HRA…eingetragen. Gesellschaftszweck ist ausweislich des Gesellschaftsvertrags das Case-Management im Gesundheitswesen, Durchführung und Organisation von Weiterbildungen im sozialen Bereich, Dienstleistungen und Beratungen, die mit diesem Tätigkeitsfeld im Zusammenhang stehen sowie das Betreiben und die Beratung von privaten Pflegediensten.
Die Klägerin wurde zunächst in der Absicht gegründet, eine Sozialstation (Case-Management) für die Klinik in A aufzubauen. Ab 2013 wurde das Case-Management der Klinik von einer anderen Firma übernommen, die für mehrere Kliniken dieses Trägers eingesetzt wurde, so dass die Tätigkeit der Klägerin nicht mehr benötigt wurde.
Ab Mai 2013 übernahm die Klägerin die Firma Sozialbüro. Das Unternehmen hatte die Aufgabe, suchtkranken Menschen (größtenteils Drogenabhängigen) mit schlechter Perspektive ein einigermaßen normales Leben zu ermöglichen. Seit 2014 befand sich das Sozialbüro der Klägerin im B in A. Im gleichen Haus befanden sich 28 Wohneinheiten, welche von deren Vermieter als 1-2 Zimmer-Appartements vermietet wurden. Seit 01.06.2018 vermietete der Vermieter 36 weitere Wohneinheiten in der C in A. In beiden Wohneinheiten fand eine Komplettbetreuung (komplette Tagesbeschäftigung und -struktur) statt, welche von der Klägerin angeboten und organisiert wurde.
Die Bewohner der Wohneinheiten zählten zu einem überwiegenden Teil zu den Klienten der Klägerin. Bei diesen Klienten handelte es sich - nach dem unwidersprochenen Vortrag der Geschäftsführerin der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - um Personen mit erheblichen Einschränkungen ihrer Fähigkeit, den Alltag zu bestreiten.
Die Klägerin erbrachte Leistungen in Form von ambulanten Hilfen als pädagogische Fachleistungen bzw. Assistenzleistungen für diese Menschen mit psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen oder geistiger Behinderung. Sie beschäftigte dafür Sozialpädagogen, aber auch Alltagsbegleiter.
In den Streitjahren schloss die Klägerin Verträge mit ihren Klienten bzw. deren amtlich bestellten Betreuern über ambulante Dienstleistungen im Rahmen des Persönlichen Budgets gemäß § 29 des Sozialgesetzbuchs Neunter Teil (SGB IX) der Klienten. In diesen Verträgen, welche beispielhaft vorliegen, wurde allgemein ausgeführt, dass die Klägerin Leistungen für den jeweiligen Klienten im Rahmen des Persönlichen Budgets erbrachte. Umfang, Art und Inhalt der Leistung wurden aufgrund der Zielvereinbarung mit dem Budgetgeber erbracht. Die Entgelte richteten sich nach den bewilligten Leistungen und Preisen des Budgetgebers. Budgetgeber war der Landeswohlfahrtsverband Hessen, der Kommunalverband der hessischen Kreise und kreisfreien Städte (nachfolgend LWV). Grundlage der Abrechnung der erbrachten Leistungen war der Leistungsnachweis, den der Klient jeweils zum Monatsende gegenzeichnete. Die Klienten ihrerseits hatten größtenteils amtlich bestellte Betreuer, welche das Persönliche Budget gemäß § 29 SGB IX für ihre Klienten beim LWV beantragten und verwalteten. Daraufhin wurden zwischen dem LWV und den Klienten Zielvereinbarungen geschlossen und entsprechend das Budget für in Anspruch zu nehmende Stunden festgelegt. Es wurden jeweils individuelle Ziele vereinbart (z.B. Herr X trinkt keinen Alkohol; er meldet sich sofort, wenn es ihm schlecht geht; er nimmt einmal wöchentlich am „Kaffeetr...