Rz. 155

Ob nun dem Nießbrauchbesteller oder dem Nießbraucher Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind, hängt davon ab, wer von beiden den Tatbestand der Einkünfteerzielung, der über das bloße Einziehen von Erträgen hinausgeht, erfüllt.[1] Demnach "erzielt Einnahmen aus Kapitalvermögen derjenige, der das Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt".[2] In einem einschlägigen Urteil hat der I. Senat den auf rechtlicher Basis der Bestellung eines unentgeltlichen Zuwendungsnießbrauchs übertragenen Anspruch auf Kapitalertrag aus einer typischen stillen Gesellschaft mit einer Abtretung gleichgesetzt, die Erfüllung des Tatbestands der Einkünfteerzielung für den Nießbraucher folglich verneint.

 

Rz. 156

Anders ist dagegen die Beurteilung eines unentgeltlichen Vorbehalts- bzw. Vermächtnisnießbrauchs an Gesellschaftsanteilen einer Kapitalgesellschaft. Hier billigt die Finanzverwaltung[3] dem Nießbraucher die Einkünfte aus Kapitalvermögen zu, obwohl auch hier der Nießbrauchbesteller das Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt und damit den Tatbestand der Einkünfteerzielung erfüllt.[4] Im Fall des entgeltlichen Zuwendungsnießbrauchs liegt mit dem Entgelt nach derzeitiger Ansicht der Finanzverwaltung[5] auf Seiten des Nießbrauchbestellers eine Einnahme aus Kapitalvermögen vor, während die Kapitalerträge beim Nießbraucher eine einkommensteuerlich irrelevante Begleichung einer Forderung darstellen.[6]

[1] Vgl. Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 20 EStG Rz. 14 ff.
[4] Vgl. Jachmann/Lindeberg, in Lademann/Söffing/Brockhoff, EStG, § 20 EStG Rz. 70 f., Stand: März 2020.
[5] Vgl. BMF, Schreiben v. 23.11.1983, BStBl 1983 I S. 508, s. b. S. 513. Die unterschiedliche Behandlung kritisierend Jochum, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 EStG Rz. B 56, Stand: Juli 2020.

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