Entgeltliche Bestellung eines Nießbrauchs an einem Mietwohngrundstück
Beispiel: Entgeltliche Einräumung eines Nießbrauchs an einem Mietwohngrundstück
A ist Eigentümer eines zum Privatvermögen gehörenden Mietwohngrundstücks, aus dem er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Er räumt dem B (einem fremden Dritten) den lebenslangen Nießbrauch an dem Gebäude gegen eine Einmalzahlung von 120.000 EUR ein. Der Wert des Nießbrauchs und der Wert der Gegenleistung sind nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen.
Entgeltliche Nießbrauchbestellung
Ein Nießbrauch, der vom Eigentümer dem Berechtigten bestellt wird (Zuwendungsnießbrauch), ist als entgeltlich bestellt anzusehen, wenn der Wert des Nießbrauchs und der Wert der Gegenleistung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen sind.
Ist zwischen Personen, die nicht durch verwandtschaftliche oder sonstige enge Beziehungen miteinander verbunden sind, ein Nießbrauch gegen Entgelt vereinbart worden, ist davon auszugehen, dass der Wert des Nießbrauchs und der Wert der Gegenleistung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abgewogen sind (BMF, Schreiben v. 30.9.2013, BStBl 2013 I 1184, Rn. 10, 11).
Ältere BFH-Rechtsprechung
Nutzt ein Nießbraucher ein Grundstück zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, so kann er auf das entgeltlich erworbene Nießbrauchsrecht AfA nach § 7 Abs. 1 EStG vornehmen, die nach der Dauer des Nießbrauchs zu bemessen sind. Ist der Nießbrauch auf die Lebenszeit des Berechtigten eingeräumt, sind die Aufwendungen für den Erwerb des Nießbrauchs durch AfA auf die voraussichtliche Lebenszeit des Berechtigten zu verteilen (BFH, Urteil v. 26.11.1996, IX R 33/94, BFH/NV 1997 S. 643).
Auffassung der Finanzverwaltung im „alten“ Nießbraucherlass
In ihrem „alten“ Nießbraucherlass hat die Finanzverwaltung noch die Auffassung vertreten, dass im Falle der Nutzung durch Vermietung der Nießbraucher auf das entgeltlich erworbene Nießbrauchrecht die nach der Dauer des Nießbrauchs bemessene AfA nach § 7 Abs. 1 EStG vornehmen darf. Die Aufwendungen für den Erwerb des Nießbrauchs sind danach durch AfA auf die mutmaßliche Lebenszeit der betreffenden Person zu verteilen (BMF, Schreiben v. 24.7.1998, BStBl 1998 I S. 914 Rn. 26). Die Finanzverwaltung ist also zunächst der älteren BFH-Rechtsprechung gefolgt.
Geänderte Auffassung der Finanzverwaltung im „neuen“ Nießbraucherlass
Nach Inkrafttreten des § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG hat die Finanzverwaltung ihre Auffassung geändert. Im Falle der Nutzung durch Vermietung sind Einmalzahlungen für die Einräumung eines Nießbrauchs als Werbungskosten im Zeitpunkt der Zahlung abzuziehen, sofern die Vorauszahlung für einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren geleistet wird.
Auf die Vorausleistung des für mehr als 5 Jahre geltenden Nießbrauchrechts ist § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG anzuwenden und mithin auf den Zeitraum gleichmäßig zu verteilen, für den sie geleistet wird. Ist der Nießbrauch für die Lebenszeit des Berechtigten oder einer anderen Person eingeräumt, sind die Aufwendungen für den Erwerb des Nießbrauchs nach § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG auf die mutmaßliche Lebenszeit der betreffenden Person zu verteilen, sofern diese mehr als 5 Jahre beträgt (BMF, Schreiben v. 30.9.2013, BStBl 2013 I S. 1184 Rn. 26). Zur Lebenserwartung ist auf die jeweils aktuelle Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes abzustellen.
Neues BFH-Urteil
In einem neuen Urteil hat der BFH seine ältere Rechtsprechung bestätigt (BFH, Urteil v. 23.1.2024, IX R 14/23, BFH/NV 2024 S. 823 Rn. 41). Soweit die Finanzverwaltung abweichend zur Rechtsprechung inzwischen die Ansicht vertritt, die Zahlungen des Nießbrauchers seien unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG periodisiert zu verteilen, beachtet sie nach Ansicht des BFH nicht, dass der Aufwand keine Ausgabe "für eine Nutzungsüberlassung" ist. Vielmehr erwirbt der Nießbraucher ein immaterielles Wirtschaftsgut "Nießbrauchsrecht", dessen Anschaffungskosten nach den vorrangigen Regelungen in § 7 Abs. 1 EStG zu verteilen sind. § 11 Abs. 2 Satz 3 gilt nur für Nutzungsüberlassungen. Da B im Beispielsfall seine Zahlung nicht für eine Nutzungsüberlassung i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG geleistet, sondern damit ein Wirtschaftsgut erworben hat, ist § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG von vorherein nicht anwendbar.
Steuer-Tipp: Steuerliche Auswirkungen der unterschiedlichen Auffassungen beim Erwerber
Sofern die Laufzeit des entgeltlich erworbenen Nießbrauchs nicht mehr als 5 Jahre beträgt, ergeben sich – je nach Auffassung – unterschiedliche Auswirkungen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann der Erwerber seine Zahlung sofort in voller Höhe abziehen. Nach Auffassung des BFH ist die Zahlung auch in diesem Fall auf die Laufzeit des Nießbrauchs im Wege der AfA zu verteilen.
Beträgt die Laufzeit des Nießbrauchs mehr als 5 Jahre, führen beide Auffassungen (mit unterschiedlicher Begründung) zum selben steuerlichen Ergebnis (Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl. 2024, § 7 Rn. 73, unter c).
Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Finanzverwaltung auf das genannte neue Urteil reagieren wird.
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