Leitsatz
1. Ein Anspruch auf Prozesszinsen bei Klagerücknahme nach Bescheidänderung kann nicht allein deswegen verneint werden, weil der Steuerpflichtige Tatsachen früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen.
2. Eine "Erledigung des Rechtsstreits" i.S.d. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ist auch dann gegeben, wenn die Klage nach Ergehen von Änderungsbescheiden zurückgenommen wird (Anschluss an das BFH-Urteil vom 13.7.1994, I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37).
Normenkette
§ 236 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Nr. 1, § 236 Abs. 3 AO, § 72, § 137 Satz 1, § 138 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin führte einen Rechtsstreit wegen der Gewährung einer Investitionszulage. Dazu reichte sie erstmals im August 2003 unvollständige Nachweise und sodann im März 2004 weitere Unterlagen ein. Im August 2007 fand im FG ein Erörterungstermin statt, in dessen Folge sie im Dezember 2007 weitere Belege beibrachte. Im zweiten Erörterungstermin im November 2008 erläuterte sie nochmals den Sachverhalt, worauf der Berichterstatter äußerte, dass die Investitionszulage zu gewähren sei; das FA sollte abhelfen. Im Protokoll wurde festgehalten: "Im Falle einer Abhilfe könne der Beklagte wegen verspäteter Vorlage der Unterlagen nicht mit Gerichts- und Steuerberaterkosten belastet werden."
Das FA erließ im Februar 2009 entsprechende Änderungsbescheide für die Kalenderjahre 1993 bis 2001. Für 1993, 1996, 1997, 1999 bis 2001 ergab sich ein Guthaben zugunsten der Klägerin. Das FG bat sie um Stellungnahme und regte die Rücknahme der Klage an. Nachdem sodann die Klage zurückgenommen wurde, stellte das FG das Verfahren ein.
Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin ohne Erfolg die Festsetzung von Prozesszinsen nach § 236 AO. Das Thüringer FG gab der Klage statt (Thüringer FG, Urteil vom 26.1.2012, 2 K 440/11, Haufe-Index 2969488, EFG 2012, 1020) ...
Entscheidung
... und der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Auf die Investitionszulage (InvZul) sind die Vorschriften der AO über Steuervergütungen entsprechend anzuwenden. Da die InvZul nicht der Vollverzinsung unterliegt (§ 233a AO), sondern nur Rückzahlungsansprüche verzinst werden (z.B. § 12 InvZulG 2010), sollten sich Investoren mit der Antragstellung und den erforderlichen Nachweisen beeilen.
2. Kommt es zum Rechtsstreit und geht dieser zugunsten des Investors aus, so kann sich aus § 236 Abs. 1 AO ein Anspruch auf Prozesszinsen ergeben. Denn wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine Steuervergütung gewährt wird, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen.
3. Dies gilt nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO entsprechend, wenn sich durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts der Rechtsstreit erledigt.
4. Unter der in § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO geforderten "Erledigung des Rechtsstreits" ist die Beendigung der Rechtshängigkeit nach § 66 FGO zu verstehen, die mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, der Erledigung der Hauptsache oder der Rücknahme der Klage eintritt. Die Erledigung des Rechtsstreits ist also nicht gleichbedeutend mit der Erledigung der Hauptsache (§ 138 FGO). Denn auf welche Weise die verfahrensrechtliche Beendigung der Rechtshängigkeit eintritt, ist im Hinblick auf den Normzweck des § 236 AO irrelevant.
5.Ein zu erstattender oder zu vergütender Betrag wird gem. § 236 Abs. 3 AO nicht verzinst, soweit dem Beteiligten die Kosten des Rechtsbehelfs nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind, weil er zwar obsiegt hat, aber die dafür maßgeblichen Tatsachen früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen. Der Wortlaut des § 236 Abs. 3 AO setzt voraus, dass dem Beteiligten die Kosten tatsächlich nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind, d.h. eine Kostenentscheidung nach § 137 Satz 1 FGO getroffen wurde. Da der Kläger im Falle der Klagerücknahme ohnehin zwingend die Kosten zu tragen hat (§ 136 Abs. 2 FGO), scheidet dann eine Auferlegung der Kosten nach § 137 Satz 1 FGO aus. Eine Anwendung des § 236 Abs. 3 AO auch auf die Klagerücknahme ginge über den möglichen Wortsinn der Vorschrift hinaus. Wenn also das FA dem Klagebegehren nach schuldhaft verspätetem Vorbringen abhilft, sollte nicht die Hauptsache für erledig erklärt, sondern die Klage zurückgenommen werden. Die Klagerücknahme erhält dann den Anspruch auf Prozesszinsen, der im Falle einer Hauptsacheerledigung entfallen würde.
6. Diese Rechtslage erscheint als unbefriedigend. Der BFH weist aber ausdrücklich darauf hin, dass ein derartiges Verhalten seitens des Klägers nicht ohne Weiteres gegen Treu und Glauben verstößt und eine Änderung dieser Rechtssituation durch den Gesetzgeber erfolgen müsste.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.4.2013 – III R 11/12