OFD Nordrhein-Westfalen, Verfügung v. 29.3.2018, Kurzinfo Internationales Steuerrecht
Mit BFH-Urteil vom 10.6.2015, I R 79/13 (BStBl 2016 II S. 326) wurde entschieden, dass die Besteuerung einer Abfindungszahlung aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Bundesrepublik Deutschland als ehemaligem Tätigkeitsstaat nach Wegzug des Steuerpflichtigen in die Schweiz nicht auf Art. 24 Abs. 1 Satz 2 KonsVerCHEV gestützt werden könne.
Nach Auffassung des BFH verstoße diese Regelung gegen Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz. Weiterhin genüge § 2 Abs. 2 AO nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 GG. Schließlich könne eine Konsultationsvereinbarung nicht auf bereits vor dem Zeitpunkt ihres tatsächlichen Inkrafttretens verwirklichte Sachverhalte angewendet werden.
Das BFH-Urteil ist analog auch auf die Regelungen zu Abfindungszahlungen aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses in anderen, vergleichbaren Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen anzuwenden, wenn das dort fixierte Abkommensverständnis durch den Wortlaut des Doppelbesteuerungsabkommens selbst nicht gedeckt ist. Im Übrigen sind die Rechtsverordnungen weiter anzuwenden. Wegen weiterer Einzelheiten zur Umsetzung des BFH-Urteils vom 10.6.2015 (BStBl 2016 II S. 326) wird auf die Regelungen im BMF-Schreiben vom 31.3.2016 (BStBl 2016 I S. 474) verwiesen.
Zu vergleichbar gelagerten Fällen anhängige Rechtsbehelfs- und Klageverfahren können nunmehr dementsprechend entschieden werden.
Seitens des BMF ist angedacht, den betroffenen ausländischen Staaten mitzuteilen, dass Deutschland einschlägige Konsultationsvereinbarungen hinsichtlich der Besteuerung von Abfindungszahlungen aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund dieser BFH-Rechtsprechung nicht mehr anzuwenden vermag. Gleichwohl besteht die Gefahr einer Nichtbesteuerung in beiden Staaten. Auf die Möglichkeit, in entsprechenden Einzelfällen die erforderlichen Informationen im Wege des Informationsaustauschs an die Finanzverwaltung des ausländischen Staates zu übermitteln, wird hingewiesen.
Neuerung ab dem VZ 2017:
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen (BStBl 2016 I S. 3000) vom 20.12.2016 (sog. „Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz I”) und der damit verbundenen Einführung des § 50d Abs. 12 EStG wurde eine nationale Regelung geschaffen, um für Deutschland als ehemaligen Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für grenzüberschreitend gezahlte Abfindungen ab dem VZ 2017 sicherzustellen und somit das Entstehen weißer Einkünfte zu vermeiden. Entgegen der BFH-Rechtsprechung gelten gem. § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG nunmehr Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als für eine frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Damit steht grds. gem. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 und Satz 2 OECD-MA dem ehemaligen Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu. Die Regelung des § 50d Abs. 12 EStG gilt sowohl bei unbeschränkter als auch bei beschränkter Steuerpflicht.
Enthält das einschlägige DBA für Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, ausdrücklich eine von § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG abweichende gesonderte Regelung, wird durch Satz 2 sichergestellt, dass die entsprechende DBA-Regelung anzuwenden bleibt. Durch den Verweis auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG im § 50d Abs. 12 Satz 3 EStG wird der Rückfall des Besteuerungsrechts insb. im Falle eines negativen Qualifikationskonflikts geregelt. Der Anwendungsbereich der Rückfallklausel des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG ist allerdings nach wie vor auf unbeschränkt Steuerpflichtige begrenzt.
Die Neuregelung gilt für sämtliche nach dem 31.12.2016 zufließende Zahlungen. Der Auffassung, dass § 50d Abs. 12 EStG auf Abfindungen, die auf vor dem 1.1.2017 abgeschlossenen Verträgen beruhten, nicht anwendbar sei, ist nicht zu folgen.
Normenkette
AO 1977 § 2 Abs. 2;
DBA-Schweiz/KonsVerV § 24 Abs. 1 Satz 2;
EStG § 50d Abs. 12