Nach der in Abbildung 5 empfohlenen kurzfristigen Stabilisierung gilt es die langfristige Belieferung abzusichern. Basierend auf den Krisenursachen (siehe Abbildung 2) sowie den erwähnten Wechselbarrieren muss das einkaufende Unternehmen entscheiden, wie es weiter verfahren möchte. Hierbei kann das folgende Reaktionsmodell hilfreich sein:

  • Exit (Beendigung): Beenden der Beziehung
  • Voice (Stimme): Aktiv versuchen, die Bedingungen zu verbessern
  • Loyalty (Loyalität): Warten auf bessere Bedingungen
  • Neglect (Vernachlässigung): Passives Zulassen, dass sich die Beziehung verschlechtert

Das Erkennen der EVLN-Reaktionsoptionen (Exit, Voice, Loyalty, Neglect) auf unbefriedigende Beziehungen kann auf Hirschmans[1] und Rusbult et al.[2] zurückgeführt werden. Die EVLN-Antworten wurden verwendet, um die sinkende Arbeitszufriedenheit und die Unzufriedenheit in Liebesbeziehungen zu analysieren. Diverse Studien zeigen, dass die EVLN-Antworten nützliche Kategorien sind, um zu analysieren, wie Menschen auf Unzufriedenheit reagieren. Im hier vorgestellten Ansatz wird die Typologie von Reaktionsoptionen verwendet, um die Reaktion eines einkaufenden Unternehmens auf die sich verschlechternde Lieferantenbeziehung zu kategorisieren und zu verstehen.

Grundsätzlich können dabei die EVLN-Reaktionen in Konstruktivität/Destruktivität und Aktivität/Passivität unterschieden werden. Da Stimme und Loyalität eine Beziehung aufrechterhalten oder sogar wiederbeleben sollen, gelten sie als konstruktiv. Ausstieg und Vernachlässigung sind offensichtlich destruktiv. Ist ein einkaufendes Unternehmen abhängig von einem kritischen Lieferanten, wird es diesem gegenüber wahrscheinlich eine konstruktive Reaktion zeigen.

Beendigung (Exit)

Die Beendigung einer Lieferantenbeziehung ist am wahrscheinlichsten und sinnvollsten, wenn die Ausstiegskosten aufgrund der logistischen Entbehrlichkeit (z. B. nur wenige Teilenummern des notleidenden Lieferanten) gering sind. Zudem ist das Engagement des einkaufenden Unternehmens tendenziell gering, da die technologische bzw. prozessuale Expertise des notleidenden Lieferanten gering ist und ein Alternativlieferant gefunden werden kann. Daher ist die Ausstiegstendenz wahrscheinlich, wenn das einkaufende Unternehmen nur wenig Bindung an den notleidenden Lieferanten hat und es für einfacher und bequemer hält, zu gehen als zu bleiben.

Vernachlässigung (Neglect)

Vernachlässigung sollte gewählt werden, wenn die anderen EVLN-Antworten riskant oder unnötig erscheinen und wenn die technologische Position des angeschlagenen Lieferanten mäßig ist. Gleichzeitig sollte das einkaufende Unternehmen Verbesserungspotenzial sehen. Daher wird die passive Strategie der Vernachlässigung tendenziell gewählt, wenn die einkaufenden Unternehmen aktive Handlungen, wie beispielsweise Verlagerung, für momentan zu kostspielig oder unnötig halten.

Stimme (Voice)

Einkaufende Unternehmen wählen die Stimme-Option, wenn die Kosten und das Risiko eines Lieferantenwechsels (Beendigung) hoch sind. Außerdem ist die Abhängigkeit hoch z. B. durch eine überlegene Technologieposition des Lieferanten. Einkaufende Unternehmen, welche die Stimmenoption nutzen, sind daher daran interessiert, den notleidenden Lieferanten zu halten, vermeiden jedoch den Aufwand und das Risiko einer Loyalitätsreaktion. Ein typisches Beispiel wäre hier die Unterstützung bzw. Suche nach einer Investorenlösung für den notleidenden Lieferanten. Findet sich ein Finanz- oder strategischer Investor, der bereit ist, in den notleidenden Lieferanten zu investieren, ist die Situation für den Käufer wesentlich komfortabler. Wenn ein Investor gefunden wird, kann der notleidende Lieferant von seiner Branchen- und/oder Restrukturierungserfahrung profitieren und Zugang zu zusätzlichen Kapitalressourcen erhalten, was eine Stärkung der finanziellen Situation des notleidenden Lieferanten wahrscheinlich macht.

Loyalität (Loyalty)

Die Reaktionsmöglichkeit Loyalität wird typischerweise gewählt, wenn kein Investor gefunden werden kann und der notleidende Lieferant zu wichtig ist, um ausgewechselt (Beendigung) oder ignoriert (Vernachlässigung) zu werden. Wenn also ein notleidender Lieferant viele Teile an den Käufer liefert und/oder über herausragende technologische Qualitäten verfügt, kann der notleidende Lieferant auf die Unterstützung der Abnehmer zählen. Eine Form der Unterstützung könnte beispielsweise die bewusste Vergabe von Neugeschäft an den Lieferanten sein. Die Vergabe von neuen Aufträgen ist ein wichtiges Signal an andere Stakeholder des kritischen Lieferanten (siehe Abbildung 6).

Abb. 6: Reaktionsalternativen von Stakeholdern (basierend auf Buschmann)

Ein Unternehmen – in diesem Fall ein kritischer Lieferant – hat erfolgskritische Stakeholder-Gruppen wie Mitarbeiter, Investoren, (Unter-)Lieferanten und Kunden, die das Unternehmen mit Ressourcen versorgen. Wie Abbildung 6 zeigt, können diese Stakeholder-Gruppen entweder unterstützend oder konfrontativ auf eine Unternehmenskrise reagieren. Da günstige Beziehu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?