Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) einer Vorschrift deutschen Rechts entgegen, nach der Beiträge eines in Deutschland wohnenden und für die Verwaltung des französischen Staats tätigen Arbeitnehmers zur französischen Altersvorsorge- und Krankenversicherung – anders als vergleichbare Beiträge eines in Deutschland tätigen Arbeitnehmers zur deutschen Sozialversicherung – die Bemessungsgrundlage der ESt nicht mindern, wenn der Arbeitslohn nach dem DBA-Frankreich 1959 in Deutschland nicht besteuert werden darf und nur den auf weitere Einkünfte anzuwendenden Steuersatz erhöht?
2. Ist Frage 1 auch dann zu bejahen, wenn die fraglichen Versicherungsbeiträge im Rahmen der Besteuerung des Arbeitslohns durch den französischen Staat – konkret oder in pauschaler Weise –
a) steuermindernd berücksichtigt worden sind oder
b) zwar hätten steuermindernd berücksichtigt werden dürfen, aber nicht in diesem Sinne geltend gemacht und deshalb nicht berücksichtigt worden sind?
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b, Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des AltEinkG, Art. 39 EG, Art. 18, Art. 45 AEUV, Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA Frankreich 1959
Sachverhalt
Die in den Streitjahren (2005 und 2006) im Inland wohnenden Kläger sind Eheleute, die zusammen zur ESt veranlagt wurden. Der Kläger war inländischer Beamter und erzielte dadurch Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Die Klägerin war französische Staatsbürgerin und in Frankreich als Beamtin beschäftigt. Sie bezog dafür Bruttoarbeitslöhne von 22.342 EUR (2005) und 24.397 EUR (2006). Ihre Bruttobezüge wurden um folgende Abzugspositionen gemindert:
Retenue à la source (Quellensteuer), Pension civile (Zivilpension); Pension civile IMT (Zivilpension auf die monatliche Bruttoentschädigung für Fachwissen); Mutuelle des agents des impôts (MAI) Branche générale bzw. Multi sante (Beitrag zur Zusatzkrankenversicherung sowie zur Zusatzversicherung für Invalidität und Hinterbliebenenversorgung); MAI premuo (Beitrag zur Zusatzversicherung für Invalidität und Hinterbliebenenversorgung der Finanzbeamten); Contribution ouv. maladie deplafon (Arbeitnehmerbeitrag zur Krankenversicherung); RAFP (Beitrag zur Zusatzrente für den öffentlichen Sektor; die während der Aktivphase geleisteten Beiträge wirken sich auf die Höhe der späteren Ruhegehälter aus).
Das FA nahm die Einkünfte der Klägerin als nach dem DBA-Frankreich 1959 steuerfreie Einkünfte von der Bemessungsgrundlage der jeweils festzusetzenden ESt aus. Er berücksichtigte diese Einkünfte aber – vermindert um die Positionen "Pension civile" und "Pension civile IMT", bei denen es sich seiner Auffassung nach nicht um zugeflossenen Arbeitslohn handele – im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 i.d.F. des Alterseinkünftegesetzes vom 5.7.2004 (BGBl I 2004, 1427, BStBl I 2004, 554) bei der Bemessung der Steuersätze.
Die Kläger sind der Auffassung, das FA habe die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte der Klägerin unzutreffend ermittelt. Mit Ausnahme der Quellensteuer (Retenue à la source) dürften die Abzugspositionen vom Bruttoarbeitslohn im Rahmen des Progressionsvorbehalts nicht berücksichtigt werden.
Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 31.7.2013, 14 K 2265/11, Haufe-Index 6460217, EFG 2014, 774).
Entscheidung
Der BFH teilte in der Streitfrage die vom FG eingenommene Position, was das "einfache" materielle Recht anbelangt. Die streitigen Sozialbeträge seien danach nicht abzugsfähig, weder bei der Steuersatzberechnung noch bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die ESt. Das eine verbiete § 32b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 EStG, das andere § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Letzteres könne jedoch womöglich gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoßen, weil Steuerinländer schlechter behandelt würden als Steuerausländer. Der BFH hat deswegen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens den EuGH angerufen.
Hinweis
1. Verständigen sich zwei Staaten in einem DBA auf die Freistellungsmethode, dann geschieht das gemeinhin unter dem Vorbehalt, dass die freigestellten Einkünfte sich jedenfalls im Progressionsvorbehalt steuersatzerhöhend niederschlagen. So verhält es sich auch für Einnahmen eines zwar in Deutschland wohnenden, aber in Frankreich diensttuenden Beamten, welche nach dem DBA-Frankreich 1959 dem sog. Kassenstaatsprinzipunterfallen (Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959). Und in § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG wird das sodann auch innerstaatlich umgesetzt.
2. In der Konsequenz bedeutet das aber auch, dass bestimmte Vorsorgeaufwendungen, welche als Sonderausgaben zu qualifizieren sind, bei jener Steuersatzberechnung nicht anzusetzen sind und das steuerfreie Einkommen nicht mindern.
Denn in die von § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG vorgeschriebene Berechnung gehen ausweislich des Wor...