Leitsatz
Übt der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine unternehmerische Tätigkeit aus, ist die USt aus dieser Tätigkeit nicht bereits deshalb eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil der Schuldner dabei mit Billigung des Insolvenzverwalters u.a. auch Massegegenstände verwendet.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 2005, § 35, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO a.F.
Sachverhalt
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Schuldners, der ein Hotel mit Restaurant betrieb. Der Kläger erklärte die Freigabe des Geschäftsbetriebs dahingehend, dass der Schuldner den Betrieb auf eigene Rechnung führen könne. Er wies darauf hin, dass weder die Insolvenzmasse noch er, der Kläger, für die Verbindlichkeiten des Schuldners aufkommen würden. Er gestattete dem Schuldner die Nutzung des Inventars und der Küche, die seiner Meinung nach zur Insolvenzmasse gehörten.
Das FA war der Meinung, die "Freigabe" sei rechtlich nicht möglich. Die USt für das Jahr 2005 sowie Januar bis April 2006 aus dem vom Schuldner weitergeführten Betrieb sei deshalb eine Masseverbindlichkeit und gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen.
Das FG gab der Klage statt: Das bloße Nutzen des Inventars und der Küche begründe keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Niedersächsisches FG, Urteil vom 06.12.2007, 16 K 147/07, Haufe-Index 2018599, EFG 2008, 1485).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg.
Der BFH ging bei der Entscheidung, ob eine Verwertung von Massegegenständen vorliege, von den in den Praxis-Hinweisen dargelegten Voraussetzungen aus. Er entschied, dass die Umsätze aus dem Betrieb eines Hotels mit Restaurant, bei dem nur das Inventar und die Küche, nicht aber das Gebäude zu den Massegegenständen gehören, nicht im Wesentlichen auf der Nutzung von Massegegenständen beruhen.
Hinweis
1. Es existiert keine Spezialvoschrift darüber, ob die USt eines vom Insolvenzverwalter "freigegebenen" Geschäftsbetriebs eine Masseverbindlichkeit ist und mithin die Insolvenzmasse für die USt aufzukommen hat, die aufgrund einer unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
Die durch die unternehmerische Tätigkeit des Schuldners entstandene USt kann nicht schon deshalb als Masseverbindlichkeit behandelt werden, weil nach § 35 InsO in der bis zum 30.06.2007 geltenden Fassung das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen erfasst, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).
Nach der Rechtsprechung des BGH fallen die gesamten Einnahmen ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben in die Insolvenzmasse (BGH, Beschluss vom 20.03.2003, IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167). Daraus folgt, dass die berufsbedingten Ausgaben des unternehmerisch tätigen Schuldners keine Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind.
2. Die Festsetzung der USt aus dem "freigegebenen" Geschäftsbetrieb gegenüber dem Insolvenzverwalter setzt voraus, dass der Tatbestand des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt ist. Danach sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden.
Die USt aus einer unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners beruht auf "Handlungen" des Schuldners und nicht des Insolvenzverwalters.
Sie ist auch nicht "in anderer Weise durch die Verwaltung" der Insolvenzmasse entstanden, wenn der Insolvenzverwalter – wie im Besprechungsfall – ausdrücklich erklärt hat, dass der Geschäftsbetrieb "freigegeben" werde und der Schuldner ihn nur auf eigene Rechnung führen könne.
3. In einem noch zur Konkursordnung ergangenen Urteil hat der I. Senat des BFH eine "Verwertung" der Masse im weitesten Sinn darin gesehen, dass der Konkursverwalter zur Masse gehörende Gelder zinsbringend angelegt hatte (BFH, Urteil vom 15.03.1995, I R 82/93, Haufe-Index 65763, BFHE 177, 257).
Unter Hinweis auf dieses Urteil hat der V. Senat des BFH entschieden, dass dann, wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens eine neue Erwerbstätigkeit aufnimmt, indem er durch seine Arbeit und mithilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringt, die hierfür geschuldete USt nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden gehört (BFH, Urteil vom 07.04.2005, V R 5/04, BFH/NV 2005, 1724, BFH/PR 2005, 376).
Daraus kann nicht im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass die USt aus dem "freigegebenen" Geschäftsbetrieb des Schuldners bereits immer dann eine Masseverbindlichkeit ist, wenn der Schuldner dabei u.a. auch Massegegenstände nutzt.
Berücksichtigt man, dass die eigene Arbeitskraft des Schuldners nicht in die Masse fällt (BGH, Beschluss vom 18.12.2008, IX ZB 249/07, ZInsO 2009, 2999), kann von einer "Verwertung" von Massegegenständen durch Nutzung jedenfalls dann nicht die Rede sein, wenn die vom Schuldner erbrachten Leistungen nicht im Wesentli...