Leitsatz
Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung gebotenen summarischen Prüfung ist die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) nicht mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar.
Normenkette
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG, § 69 Abs. 3 FGO, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger erklärte im Streitjahr 2021 Einkünfte aus Termingeschäften i.H.v. 250.000 EUR und –227.000 EUR. Das FA setzte Einkünfte aus Termingeschäften i.H.v. 230.000 EUR an und stellte verrechenbare Verluste aus Termingeschäften i.H.v. 207.000 EUR gesondert fest. Das FA hat die dagegen beantrage AdV abgelehnt. Das FG hat dem Antrag auf AdV stattgegeben (FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5.12.2023, 1 V 1674/23, Haufe-Index 16172301).
Entscheidung
Die dagegen erhobene (vom FG zugelassene) Beschwerde des FA hatte keinen Erfolg. Der BFH hat die Beschwerde des FA gegen den stattgebenden AdV-Beschluss des FG als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F des JStG 2020 dürfen Verluste aus Termingeschäften nur noch mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen und verrechnet werden. Außerdem sind der Verlustausgleich und die Verlustverrechnung – anders als bei Aktienverlusten – der Höhe nach auf jährlich 20.000 EUR beschränkt (Entstehungsjahr und Folgejahre). Die Vorschrift ist anwendbar auf nach dem 31.12.2020 entstehende Verluste aus Termingeschäften.
a) Innerhalb des § 20 Abs. 6 EStG schafft Satz 5 einen besonderen Verlustverrrechnungskreis und schränkt die Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften weiter ein.
b) Die Beschränkung auf jährlich 20.000 EUR bewirkt (wie § 10d Abs. 2 EStG) bei den an sich ausgleichsfähigen Einkünften aus Termin- oder Stillhaltergeschäften eine Mindestbesteuerung. Soweit die Verluste nicht sofort verrechnet werden können, wirken sie sich allenfalls in der Zukunft aus, und das auch nur unter der Voraussetzung, dass weiter positive Einkünfte aus Termin- oder Stillhaltergeschäften erzielt werden.
2. In der Besprechungsentscheidung äußert der BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift. Er erkennt insoweit eine "doppelte Ungleichbehandlung" im Verhältnis zu Steuerpflichtigen, die Verluste aus anderen Kapitalanlagen erzielt haben. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt.
a) In § 20 Abs. 6 Satz 1 und 2 EStG habe der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, dass Verluste innerhalb der Schedule der abgeltend besteuerten Kapitaleinkünfte mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ausgeglichen werden. Diese Grundentscheidung müsse der Gesetzgeber folgerichtig umsetzen. Der besondere Verlustverrechnungskreis, den § 20 Abs. 6 Satz 5 für Verluste aus Termingeschäften eröffne, sei kein Systemwechsel. Die Vorschrift bedürfe deshalb als Abweichung von der Grundentscheidung einer sachlichen Begründung.
b) Die Ungleichbehandlung werde dadurch verschärft, dass die Vorschrift entgegen den Vorgaben des objektiven Nettoprinzips zu einer asymmetrischen Besteuerung von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften auch innerhalb des Verlustverrechnungskreises führe. Insbesondere sehe § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG für Aktienveräußerungsgeschäfte eine derartige Einschränkung nicht vor. Die Vorschrift bewirke, dass "wirtschaftlich" nicht erzielte Gewinne besteuert werden müssten. Außerdem sei unsicher, ob sich die Verluste in der Zukunft auswirken; sie könnten auch endgültig verlorengehen.
c) Für diese Ungleichbehandlung fehle es an einer tragfähigen sachlichen Begründung.
aa) Grundsätzlich wäre zwar eine strenge am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Prüfung angezeigt. Die Vorschrift halte aber schon einer Prüfung am allgemeinen Willkürmaßstab nicht stand.
bb) Nach der Gesetzesbegründung sollen Verluste aus Termingeschäften in einem besonderen Verlustverrechnungskreis berücksichtigt werden, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen.
cc) Dem BFH genügt das nicht. Die Verlustverrechnungsbeschränkung sei schon nicht geeignet, die für Anleger bestehenden Verlustrisiken zu begrenzen. Um erlittene Verluste wirksam werden zu lassen, müssten vielmehr Termingeschäfte weiter durchgeführt werden. Im Verlustjahr müsse der Steuerpflichtige wirtschaftliche Scheingewinne versteuern, was eher dafür spreche, dass der Gesetzgeber Haushaltsrisiken habe begrenzen wollen. Dies könne aber die ungleiche Besteuerung von vornherein nicht rechtfertigen. Eine etwa beabsichtigte abschreckende Wirkung hätte ebenfalls keine legitimierende Funktion, denn Termingeschäfte seien nicht stets hochspekulativ. Sie dienten vielmehr regelmäßig Sicherungszwecken und hätten eher eine Risikobegrenzungsfunktion. Weitere Gründe seien weder genannt noch ersichtlich.
3. In der Abwägung bejaht der BFH schließlich das besondere Aussetzungsinteresse der Antragstell...