Leitsatz (amtlich)
1. Wann Gewinnausschüttungen bei dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft einkommensteuerlich zu erfassen sind, ist nicht nach Bestimmungen der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung, sondern allein nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zu beurteilen.
2. Ausschüttungen an den Alleingesellschafter einer GmbH sind diesem in der Regel auch dann zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Gewinnverwendung zugeflossen, wenn die Auszahlung später vorgenommen wird.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1 S. 1; KapStDV § 6 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, wann Gewinnausschüttungen zugeflossen und damit einkommensteuerlich zu erfassen sind.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleingesellschafter einer GmbH. Mit seinen Einkünften aus Kapitalvermögen wurde er für die Streitjahre nach seinen Steuererklärungen veranlagt.
Anläßlich einer Betriebsprüfung bei der GmbH wurde - neben verdeckten Gewinnausschüttungen - festgestellt, daß in den Streitjahren durch Gesellschafterbeschluß bestimmt wurde, die sich jeweils auf ein vorangegangenes Jahr beziehenden Gewinnausschüttungen erst in einem späteren Jahr auszuzahlen. Die Auszahlungen wurden zu den in den Verteilungsbeschlüssen festgesetzten Zeitpunkten vollzogen. Die ausgeschütteten Beträge wurden vorher von der GmbH weder gutgeschrieben noch verzinst. Die Gewinnverteilungsbeschlüsse fanden bei der GmbH keinen buchmäßigen Niederschlag; erst bei der späteren Auszahlung der Gewinne wurde jeweils das Konto "Gewinnvortrag" belastet. Die Kapitalertragsteuer wurde von der GmbH bei den tatsächlichen Auszahlungen einbehalten und abgeführt. Im Interesse der GmbH liegende Gründe für das zeitliche Hinausschieben der Fälligkeiten der beschlossenen Ausschüttungen konnte der Betriebsprüfer nicht feststellen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erließ daraufhin berichtigte Einkommensteuerbescheide, in denen die Gewinnausschüttungen dem jeweiligen Jahr der Beschlußfassung zugerechnet wurden. Dabei ging das FA davon aus, daß die Ausschüttungen mit der Beschlußfassung dem Kläger zugeflossen seien.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:
Die Gewinnausschüttungen seien dem Kläger jeweils zum Zeitpunkt der Beschlußfassung zugeflossen.
Für die Entscheidung könne nicht von § 6 Abs. 2 Satz 1 der KapStDV ausgegangen werden, weil diese Bestimmung nicht als rechtswirksam angesehen werden könne. Der BFH habe die Bestimmung des § 6 Abs. 3 (Urteil vom 2. November 1962 VI 284/61 S, BFHE 76, 270, BStBl III 1963, 96) und des § 6 Abs. 2 Satz 2 KapStDV (Urteil vom 1. März 1972 I R 214/70, BFHE 105, 39, BStBl II 1972, 591) für ungültig erklärt. Entsprechende Folgerungen müßten für § 6 Abs. 2 Satz 1 KapStDV gezogen werden, weil er insoweit durch § 12 AO a. F. nicht gedeckt sei, als er abweichend von § 44 Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG einen besonderen Zeitpunkt für die steuerliche Erfassung bestimme. Allein maßgebend für die Entscheidung sei deshalb § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Als im Zeitpunkt der jeweiligen Beschlußfassung zugeflossen müßten die Gewinnausschüttungen angesehen werden, weil eine Auszahlung zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen wäre und das Hinausschieben der Fälligkeiten nicht im Interesse der GmbH gelegen habe. Dies ergebe sich insbesondere daraus, daß den aufgeschobenen Ausschüttungsbeträgen in allen Jahren weitaus höhere Beträge gegenübergestanden hätten, die sich aus Darlehen der GmbH an den Kläger sowie aus offen ausgezahlten oder verdeckten Gewinnausschüttungen zusammensetzten. Zu berücksichtigen sei auch, daß Vergütungen, die bei der GmbH zur Minderung der Steuer führten, auf seiten des Gesellschafters zur Steuer herangezogen werden müßten. Im Streitfall habe die GmbH durch die Beschlußfassung eine Anwendung des begünstigten Körperschaftsteuersatzes nach § 19 KStG erreicht; dem müsse eine steuerliche Belastung auf seiten des Klägers entsprechen.
In diesem Verfahren könne auch nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, daß durch diese Beurteilung einer - unter Annahme der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 2 Satz 1 KapStDV gemachten - Disposition, nämlich der Leistung von Sonderausgaben, mit steuerlich nachteiliger Wirkung der Boden entzogen worden sei. Das FG müsse die Ungültigkeit einer Veordnung beachten und es der Verwaltung überlassen, erforderlichenfalls Härten über § 131 AO auszugleichen.
Mit der Revision werden Nichtanwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 KapStDV, fehlerhafte Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG sowie ein Verstoß gegen § 222 Abs. 1 AO in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben gerügt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht haben FA und FG die in Rede stehenden Gewinnausschüttungen als dem Kläger im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Gewinnverwendung der GmbH zugeflossen und damit als im Veranlagungszeitraum der Beschlußfassung steuerlich zu erfassen angesehen.
1. Dem FG ist im Ergebnis darin beizutreten, daß im Streitfall für die Frage, wann die Gewinnausschüttungen zugeflossen und zur Einkommensteuer heranzuziehen sind, nichts aus § 6 Abs. 2 Satz 1 KapStDV hergeleitet werden kann.
Es ist zwar richtig, daß der BFH einzelne Bestimmungen der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung, die sich mit dem Zeitpunkt des Zufließens von Gewinnanteilen (Dividenden) oder anderen Kapitalerträgen, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, oder von Einkünften aus einer Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter befassen, für rechtsunwirksam gehalten hat. So wurden die Ungültigkeit von § 6 Abs. 2 Satz 2 KapStDV im BFH-Urteil I R 214/70 und die Ungültigkeit von § 6 Abs. 3 dieser Verordnung im BFH-Urteil VI 284/61 S ausgesprochen. Ob aber aus den gleichen Gründen wie in den beiden vorgenannten Urteilen auch § 6 Abs. 2 Satz 1 KapStDV, der als Zeitpunkt des Zufließens den im Gewinnverteilungsbeschluß bestimmten Tag der Auszahlung bezeichnet, rechtsunwirksam ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Bestimmungen der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung sind im vorliegenden Fall, in dem es um die Erfassung von Kapitalerträgen bei der Veranlagung zur Einkommensteuer geht, schon deshalb nicht anwendbar - mit der Folge, daß auch ihre Rechtswirksamkeit nicht zu prüfen ist -, weil sie nur die Durchführung des in den §§ 43, 44 EStG vorgesehenen Steuerabzugs vom Kapitalertrag betreffen. Die Normen über das Steuerabzugsverfahren enthalten lediglich die Regelung über eine Erhebungsform der Einkommensteuer, bei der die Steuer im Wege einer Art Einkommensteuervorauszahlung erhoben wird, nämlich dadurch, daß der Schuldner von Kapitalerträgen die Steuer für Rechnung des Gläubigers auf dessen Einkommensteuer zu entrichten hat und die Steuer bei der Einkommensteuerveranlagung des Gläubigers anzurechnen ist. Wird eine Veranlagung vorgenommen, dann hat das nach den Bestimmungen der KapStDV durchgeführte Steuerabzugsverfahren den Charakter der Vorläufigkeit mit der Folge, daß die im Abzugsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche Beurteilung im Veranlagungsverfahren weder die Steuerpflichtigen noch die Steuerbehörden binden (vgl. BFH-Urteile vom 28. März 1956 IV 624/54 U, BFHE 62, 468, BStBl III 1956, 174; vom 3. Juli 1968 I 191/65, BFHE 93, 373, BStBl II 1969, 4). Hieraus folgt, daß im Veranlagungsverfahren auch die Frage des Zufließens von Kapitalerträgen nicht nach den Regeln des Abzugsverfahrens, sondern nach der Regel des Einkommensteuergesetzes, wie sie in § 11 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes enthalten ist, entschieden werden muß.
2. Frei von Rechtsirrtum hat das FG als Zeitpunkt des Zuflusses im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG den jeweiligen Zeitpunkt der Beschlußfassung angesehen.
Einnahmen gelten im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG als zugeflossen, wenn der Empfänger über die ihm zustehenden Beträge "wirtschaftlich verfügen kann". Geht es wie hier um Ausschüttungen auf Grund eines ordnungsgemäß gefaßten Gewinnverwendungsbeschlusses an den Alleingesellschafter einer GmbH, dann ist in der Regel davon auszugehen, daß der Gesellschafter vom Zeitpunkt der Beschlußfassung an über die Ausschüttungen wirtschaftlich verfügen kann. Ob dies schon deshalb anzunehmen ist, weil für den Gesellschafter einer GmbH auf Grund des Gewinnverwendungsbeschlusses ein sofort fälliger und klagbarer Anspruch auf Auszahlung des auf ihn entfallenden Gewinnanteils entsteht (vgl. Baumbach-Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., Anm. 2 B zu § 29; Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 4./5. Aufl., Anm. III Rdnr. 3 zu § 29), kann hier dahingestellt bleiben. Bei der Gewinnausschüttung an den Alleingesellschafter einer GmbH ist für die Beurteilung maßgebend, daß es dem Gesellschafter, der in der Beschlußfassung und in der Bestimmung des Zeitpunkts der Auszahlung frei ist, nicht überlassen bleiben kann, auf der einen Seite für die Gesellschaft den begünstigten Körperschaftsteuersatz zu erhalten und auf der anderen Seite die einkommensteuerliche Erfassung beliebig hinauszuschieben. Denn die Frage nach der wirtschaftlichen Verfügungsmöglichkeit kann nicht unabhängig von dem Einfluß gesehen werden, den der Einmanngesellschafter einer GmbH in dieser Beziehung auszuüben in der Lage ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des RFH und des BFH, daß die Frage der wirtschaftlichen Verfügungsmöglichkeit und damit des Zuflusses von Leistungen einer GmbH an ihren alleinigen oder beherrschenden Gesellschafter streng zu beurteilen ist, weil die Interessen einer solchen GmbH mit denen ihres beherrschenden Gesellschafters gleichgerichtet sind. So hat der Senat in einem anderen Zusammenhang in seiner Entscheidung vom 22. Mai 1973 VIII R 97/70 (BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815) ausgesprochen, daß die Forderung eines Alleingesellschafters an eine GmbH nur dann nicht als im Sinne von § 11 EStG zugeflossen angesehen werden kann, wenn die Gesellschaft im maßgebenden Zeitpunkt infolge Zahlungsunfähigkeit konkursreif war.
Dem entspricht die Vorentscheidung, wenn sie angenommen hat, daß die Gewinnausschüttungen dem Kläger mit der Beschlußfassung zugeflossen sind. Nach den einwandfrei getroffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des FG wären die Gewinnausschüttungen jweils im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses möglich gewesen, wenn die GmbH nicht dem Kläger Darlehen und verdeckte Gewinnausschüttungen aus außerbetrieblichen Gründen überlassen hätte.
3. Mit den zu Nr. 1 gemachten Ausführungen über die Möglichkeit des FA, bei den tatsächlichen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung im Veranlagungsverfahren von der im Steuerabzugsverfahren getroffenen Entscheidung abzuweichen, erledigt sich auch der Einwand des Klägers hinsichtlich der Zulässigkeit von Berichtigungsveranlagungen. Das FA war danach auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht gehindert, die durch eine Betriebsprüfung aufgedeckte unzutreffende zeitliche Zuordnung der offenen Gewinnausschüttungen im Wege einer Gesamtwiederaufrollung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO richtigzustellen.
Fundstellen
BStBl II 1974, 541 |
BFHE 1974, 355 |