Dr. Alfred Simlacher, Dr. Stephan Vossel
Rn. 316
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die dargestellte Konzeption der Bilanzierung von latenten Steuern erfordert an den Übergängen von einer nicht organschaftlich verbundenen Gesellschaft zu einer Organgesellschaft sowie deren Ausscheiden aus dem Organkreis eine Prüfung, welcher Rechtsträger in welchem Umfang latente Steuern ansetzt und ob bereits erfasste latente Steuern bei dem einen Rechtsträger auszubuchen und beim anderen einzubuchen sind. Während eine Zuordnungsänderung bei den Kategorien (1) und (3) denklogisch ausscheidet, weisen die Kategorien (2), (4) und (5) Übergänge auf und somit die Notwendigkeit, Informationen über den Zeitpunkt der Umkehrung der temporären Differenzen sowie über den Steuerschuldner zu erheben.
Rn. 317
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Zu jedem BilSt ist eine Einschätzung erforderlich, wann sich die temporären Differenzen der Organgesellschaft umkehren und ob sie zu diesem Zeitpunkt (noch) in den Organkreis des Organträgers eingebunden sind. Ausgehend von den Planungen des Organträgers und unter Anwendung eines Schätzverfahrens scheint zunächst eine verlässliche Ermittlung möglich zu sein. In einer Vielzahl von Fällen zeigt sich in praxi jedoch, dass insbesondere die Bestimmung des Zeitpunkts des Ausscheidens einer Gesellschaft aus einem Organkreis sehr schwierig ist. Es gibt vielfältige und sachlich gerechtfertigte Gründe, die organschaftliche Einbindung einer Gesellschaft vorzeitig zu beenden (z. B. bei Verkauf der Organgesellschaft) oder eine bestehende Organschaft über den geplanten Zeitpunkt hinaus fortzuführen (z. B. für den Fall eines noch nicht vollständig verrechneten steuerlichen Verlustvortrags des Organträgers). Zudem lässt sich – selbst bei fiktiver – exakter Bestimmung des Zeitpunkts des Ein- bzw. Austritts einer Gesellschaft in den bzw. aus dem Organkreis nicht immer verlässlich bestimmen, wie sich die temporären Differenzen bis dahin entwickeln, weil der Zeitpunkt der Realisierung von Sachverhalten sich ändern kann (z. B. bei Verschiebung der Veräußerung eines Grundstücks wegen vorübergehenden Verfalls des erzielbaren Veräußerungspreises durch die Organgesellschaft).
Rn. 318
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die skizzierten konzeptionellen Anforderungen und die geforderte Vorgehensweise stoßen in praxi an Vollzugsgrenzen. Trotz bestmöglicher Schätzung des Zeitpunkts der Umkehrung von temporären Differenzen kann ein nicht unerheblicher Effekt auf das Steuerergebnis wirken, wenn der Eintritt der Steuerbe- oder -entlastung von der ursprünglichen Schätzung abweicht. Daher wird im Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Praxis jene Konstellationen schwer abzubilden sind (vgl. Kühne/Melcher/Wesemann, WPg 2009, S. 1057 (1059)). Aus diesen Gründen können unbefristete EAV, bei denen eine Kündigung weder erfolgt noch geplant ist, für Zwecke der Berechnung und Zuordnung latenter Steuern im Wege der Fiktion als dauerhaft geltende EAV angesehen werden. Dies sollte entsprechend auch für befristete EAV gelten, die – zumal eine Verlängerung geplant ist – explizit verlängert werden müssen. Maßgeblich ist hier die Planung des Organträgers, weil dieser faktisch darüber entscheiden kann, ob eine Verlängerung erfolgen soll.
Rn. 319
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Aus den dargestellten Zuordnungskriterien ergibt sich somit die Notwendigkeit, im Zeitpunkt des Austritts der Organgesellschaft aus dem Organkreis die latenten Steuern auf temporäre Differenzen der Organgesellschaft in ihrem Abschluss insoweit zu erfassen, als sich diese in der Zeit nach Beendigung der Organschaft als künftige Steuerbe- oder -entlastungen niederschlagen werden (vgl. Kühne/Melcher/Wesemann, WPg 2009, S. 1057 (1059)). Sofern der Organgesellschaft ein bisher nicht genutzter und während der Organzugehörigkeit nicht nutzbarer ("eingefrorener") steuerlicher Verlustvortrag für die künftige Verlustverrechnung zur Verfügung steht, ist dieser bei der Ermittlung der latenten Steuern unter Beachtung der allg. Grundsätze mit einzubeziehen.
Rn. 320
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Von besonderer Bedeutung ist zudem der Zeitpunkt, wann bei den beteiligten Rechtsträgern die Ein- und die Ausbuchung von latenten Steuern zu erfolgen hat. Das Kontinuum an sachgerechten Buchungszeitpunkten ist denkbar weit und reicht im Falle des Eintritts einer Gesellschaft in einen Organkreis von der ernsthaften Absicht, ein Organschaftsverhältnis zu begründen, bis hin zu dessen zivilrechtlicher Wirksamkeit (vgl. Herzig/Fuhrmann (2012), Kap. IV/C, Rn. 251).
Rn. 321
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Korrespondierend hierzu ergibt sich ein solches zeitliches Kontinuum auch für den Austritt einer Gesellschaft aus der Organschaft. Entscheidend für die Bestimmung des sachgerechten Zeitpunkts ist die hinreichende Konkretisierung einer solchen Maßnahme. Die Anforderungen, die an eine hinreichende Konkretisierung zu stellen sind, gelten für den Ein- und Austritt einer Gesellschaft gleichermaßen. Indes wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, wonach beim Eintritt auf eine rechtl...