Dr. Falk Mylich, Dr. Mathias Link
Tz. 43
Der Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften muss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermitteln. Wegen der Vielzahl der mit einer Bewertung verbundenen Prognosen und dem Realisationsprinzip, das insbesondere den Ausweis erhöhter Grundstückswerte oder selbst geschaffener Immaterialgüter untersagt, wird nie ein der wirtschaftlichen Situation 1:1 entsprechendes Bild abgedeckt. Es kann daher nur darum gehen, dass ein relativ richtiges Bild bei Einhaltung der Bilanzierungsregeln geschaffen wird. Es soll ein gewisses Mindestinformationsniveau gesichert werden. Das richtige Bild beschränkt sich aber auf die Wiedergabe zutreffender Kennzahlen, weil das Bild erst durch Interpretation dieser Kennzahlen im Wege der Jahresabschlussanalyse geschaffen wird. In der Literatur ist bislang nicht diskutiert worden, auf welche tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist – jene der Vergangenheit oder jene der Zukunft. Die Frage ist fast unlösbar, weil der Jahresabschluss eine Informationsquelle für den Erfolg der Vergangenheit darstellt, allerdings Elemente mit Zukunftsbezug (z. B. Fortführungsprinzip) enthält und den Bilanzleser nur mit Blick auf die Zukunft interessiert. Stellt man die Ausschüttungs- und Gewinnbemessungsfunktion des Jahresabschlusses in den Vordergrund, geht es vordergründig doch um den Vergangenheitsbezug. Diese Sichtweise wird von der Funktion des Lageberichts gestützt. Dieser erläutert einerseits die Vergangenheit, hat aber gem. § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB ausdrücklich vom Gesetzgeber den Auftrag bekommen, die voraussichtliche Entwicklung mit ihren Chancen und Risiken zu prognostizieren. Der Lagebericht als Bericht muss auch einen Blick in die Zukunft werfen, während Bilanz und GuV als Rechenwerke nur die Vergangenheit (korrekt) abbilden können. Der Anhang dient auch nur dazu, diese vergangenheitsbezogenen Rechenwerke zu erläutern. Mithin muss der Jahresabschluss, d. h. Bilanz, GuV und Anhang ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild für die Vergangenheit abgeben.
Tz. 44
Der Vergangenheitsbezug bedeutet aber nicht, dass jegliche Zukunftsperspektive außen vor bleibt und allein dem Lagebericht zu überlassen ist. Das gelingt dadurch, dass das Fortführungsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) ggf. auch auf Betriebsteile (im Sinne von Teilbetrieben) angewendet bzw. aufgegeben wird, wenn die Einstellung im kommenden Geschäftsjahr beabsichtigt ist. Zudem sorgt das Gebot für Transparenz gem. § 268 Abs. 4, 5 HGB durch den gesonderten Ausweis von Forderungen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr und Verbindlichkeiten, die innerhalb eines Jahres getilgt werden müssen. Der Bilanzleser kann die künftige Zahlungsfähigkeit zumindest abschätzen. Weitere Ausweise für die Zukunft sind nicht nötig, weil das Gesellschaftsrecht z. B. durch § 64 Satz 3 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG dafür sorgt, dass bei Gewinnausschüttungen an Gesellschafter auch die künftige Zahlungsfähigkeit beachtet werden muss. Mit Blick auf die Zukunft von mehr als einem Jahr sollten Prognosen im Jahresabschluss auch nicht angestellt werden, weil diese zu unsicher sind.