Einigung über Kriterien zur steuerlichen Aufarbeitung vergangener Cum/Cum-Geschäfte
Zur Vermeidung von Cum/Cum-Geschäften in Gegenwart und Zukunft
Mit (partiellem) Inkrafttreten des Investmentsteuerreformgesetzes am 1.1.2016 wurde zur Vermeidung von Cum/Cum-Geschäften § 36a EStG als Missbrauchsvermeidungsnorm eingeführt, wonach eine volle Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer nur noch unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird. Zur Konkretisierung des § 36a EStG wird derzeit ebenfalls ein finales BMF-Schreiben erwartet.
Darüber hinaus wurde zwischenzeitlich § 36a EStG, der nur für Anrechnungen oder Erstattungen nach § 36 EStG wirkt, durch § 50j EStG flankiert, der mit dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen (BEPS-1-Gesetz) vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, S. 3000) eingeführt wurde und die Regelungen des § 36a EStG auf den Erstattungsanspruch nach § 50d EStG überträgt. Die Regelung ist als treaty override ausgestaltet.
Zur Aufarbeitung der Cum/Cum-Geschäfte in der Vergangenheit
Der aktuelle Streit zwischen dem Bund und den Ländern eskalierte über die Frage der Aufarbeitung der in der Vergangenheit (vor dem 1.1.2016) durchgeführten Cum/Cum-Geschäfte. Derzeit wird die Veranlagung der betroffenen inländischen Marktteilnehmer von den Finanzbehörden offen gehalten. Es fehlt den Finanzbehörden bislang an einheitlichen Kriterien, um die infrage kommenden Transaktionen aufzuarbeiten. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob der inländische Markteilnehmer beispielsweise im Rahmen einer Wertpapierleihe nicht nur das zivilrechtliche Eigentum als lediglich rechtliche Hülle erhalten hat, sondern auch das zur Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer notwendige wirtschaftliche Eigentum an dem erhaltenen oder entliehenen Aktienbestand. Zu dieser Frage ist am 18.8.2015 ein Urteil des BFH (Az. I R 88/13) ergangen, worin der BFH in dem zur Entscheidung konkret vorgelegten Fall den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums anhand von vier Kriterien prüfte. Zwar erging das Urteil des BFH nicht zu Cum/Cum-Geschäften, sofern diese aber auf Wertpapierleihgeschäften basierten, kommt den dort niedergelegten Grundsätzen erhebliche Relevanz zu. Am 11.11.2016 erging ein BMF-Schreiben (Gz. IV C 6 – S 2134/10/10003-02), das sich mit den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 18.8.2015 (Az. I R 88/13) zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Wertpapierleihgeschäften befasst. In Reaktion und auf Grundlage des BMF-Schreibens vom 11.11.2016 erließ die OFD Frankfurt am Main die Rundverfügung vom 18.11.2016 (Gz. S 2134 A – 15 – St 210).
Über den Inhalt beider Verwaltungsakte entzündete sich ein politischer Streit über die Aufarbeitung der Cum/Cum-Geschäfte für die Vergangenheit.
Politische Eskalation der Diskussion um steuerliche Aufarbeitung von Cum/Cum-Geschäften
Nachdem der politische Streit, der sich an der am 18.11.2016 von der OFD Frankfurt am Main erlassenen Rundverfügung (Gz. S 2134 A – 15 – St 210) und dem BMF-Schreiben vom 11.11.2016 (Gz. IV C 6 – S 2134/10/10003-02) entzündet hatte, medial eskaliert war, tagten die Steuerabteilungsleiter der Finanzministerien von Bund und Ländern vom 1.3. bis 3.3.2017 in Berlin mit dem Ziel, einvernehmlich einheitliche Kriterien zur steuerlichen Aufarbeitung vergangener Cum/Cum-Geschäfte zu entwickeln.
Das am 11.11.2016 veröffentlichte BMF-Schreiben war Bestandteil der Beratungen im Rahmen der Finanzministerkonferenz vom 10.11.2016. Eine Woche später erging die Verfügung der OFD Frankfurt am Main. Bereits am darauf folgenden Wochenende war im Handelsblatt ein Bericht mit der Überschrift „Cum-Cum-Deals: Bankenrettung, mal anders: Die SPD wirft dem Bundesfinanzministerium und einigen Ländern vor, gezielt illegale Steuerdeals von Banken durchzuwinken“ (Handelsblatt vom 25. bis 27.11.2016, Nr. 229, S. 44) zu lesen. Weitere Berichte folgten: „Cum-Cum-Deals: Bankenfreibrief auf der Kippe“ (Handelsblatt vom 1.12.2016, Nr. 233, S. 30), „Cum-Cum-Deals: Banken sollen zahlen“ (Handelsblatt vom 2. bis 4.12.2016, Nr. 234, S. 33). So wurde bekannt, dass die Veröffentlichung des BMF-Schreibens offenbar gegen den Willen des Finanzministers Nordrhein-Westfalens Dr. Norbert Walter-Borjans (SPD) erfolgte, der im Handelsblatt vom 25. bis 27.11.2016, Nr. 229, S. 44, mit der Aussage „Das hessische Vorgehen entlarvt die Nacht-und-Nebel-Aktion, mit der das BMF sein Schreiben vor der von NRW beantragten Beratung der Länder geschickt hat, als skrupellose Kumpanei mit den Banken“ zitiert wird.
„Behauptungen, das Bundesfinanzministerium würde rechtswidrige Gestaltungen der Banken nachträglich legalisieren“, weist das Bundesministerium der Finanzen, vertreten durch den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen Dr. Michael Meister entschieden zurück. Sie würden jeder Grundlage entbehren (BMF, PM vom 7.3.2017).
Bereits am 30.11.2016 soll über das BMF-Schreiben im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags beraten worden sein. Dem folgte die Finanzministerkonferenz am Folgetag. Die Landesministerkonferenz votierte mit deutlicher Mehrheit für eine Klarstellung und Ergänzung des BMF-Schreibens durch das Bundesministerium der Finanzen.
Formulierungen im BMF-Schreiben bieten Interpretationsspielraum
Das BMF-Schreiben vom 11.11.2016 enthält auf Seite 3 (Tz. II Buchst. a) bis d)) bezugnehmend auf die Grundsätze des BFH-Urteils vom 18.8.2015 über den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, folgende Formulierung: „Ungeachtet der Voraussetzungen a) bis d) spricht für eine Zuordnung beim Darlehensnehmer, wenn er aus dem Wertpapiergeschäft und den damit zusammenhängenden Geschäften (siehe a)) vor Steuer einen wirtschaftlichen Vorteil (positive Vorsteuerrendite) zieht und das zivilrechtliche Eigentum vor dem Dividendenstichtag übergegangen ist.“ In Bezug auf die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs im Sinne des § 42 AO wird auf Seite 4 festgestellt, dass ein solcher im Grundsatz nicht anzunehmen ist, wenn der Darlehensnehmer aus dem Wertpapiergeschäft und den damit zusammenhängenden Geschäften vor Steuer einen wirtschaftlichen Vorteil (positive Vorsteuerrendite) erzielt.
Liest man aus Sicht der durch das BMF-Schreiben gebundenen Finanzbehörden die zitierten Passagen so, dass allein aufgrund des Vorliegens einer positiven Vorsteuerrendite trotz der Formulierungen „spricht für“ und „im Grundsatz“ von einer Prüfung der §§ 39, 42 AO unter Beachtung der vom BFH aufgestellten Grundsätze Abstand genommen werden kann und wird zusätzlich bei der Berechnung der Vorsteuerrendite auf die Bruttodividende abgestellt, würde dies einen überaus erheblichen Teil der zu prüfenden Transaktionen betreffen.
Diese Intention ist dem BMF-Schreiben jedoch nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Über die Berechnung der Vorsteuerrendite macht das BMF-Schreiben keine Angaben. Im Ergebnis lässt die Formulierung der betreffenden Passagen jedoch Interpretationsspielraum, der auch die beschriebene Lesart nicht auszuschließen vermag.
Es kommt damit zur Wertung der in der medialen Berichterstattung gemachten Aussagen im Wesentlichen auf die Formulierung der Rundverfügung der OFD Frankfurt am Main vom 18.11.2016 (Gz. S 2134 A – 15 – St 210) an, die allerdings derzeit, soweit ersichtlich, nicht (mehr) öffentlich zugänglich ist und dem Vernehmen nach zurückgezogen wurde.
Bund und Länder legen einheitliche Kriterien zu Cum/Cum-Geschäften fest
Nach einer Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen vom 7.3.2017 konnten sich Bund und Länder einvernehmlich auf Kriterien zur steuerlichen Aufarbeitung vergangener Cum/Cum-Geschäfte verständigen. Die Ausarbeitung und Ausformulierung des gefundenen Ergebnisses wurde der vom Bundesministerium der Finanzen eingerichteten Fach-Arbeitsgruppe übertragen, welche bereits die während der dreitägigen Konferenz in Berlin getroffene Entscheidung fachlich vorbereitet hatte. Diese wird eine für die dem Bundesministerium der Finanzen nachgeordneten Finanzbehörden einheitliche und verbindliche Handlungsanweisung anhand von einheitlichen Kriterien formulieren, die den politisch getroffenen Beschluss fachlich umsetzt und es den einzelnen Finanzämtern erlaubt, die infrage kommenden Transaktionen an einem vereinheitlichten Maßstab auf eine gegebenenfalls unrechtmäßige Anrechnung bzw. Erstattung von Kapitalertragsteuer hin zu prüfen.
Es ist daher zeitnah mit einem weiteren BMF-Schreiben zu rechnen. Über die Ausgestaltung der Handlungsanweisung ist derzeit noch nichts bekannt. Das zu erwartende BMF-Schreiben wird neben das BMF-Schreiben vom 11.11.2016 treten, das gemäß der Ankündigung des Bundesministeriums für Finanzen entgegen der Forderungen der Finanzministerkonferenz unverändert weiterhin Bestand haben wird.
Praxisrelevanz und die Frage nach der Einstufung von Cum/Cum-Geschäften als missbräuchlich
Am 16.2.2017 haben die Oppositionsparteien in einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung (BT-Drucks. 18/11345) zahlreiche Fragen gerichtet, die auch die beiden vorliegend thematisierten Verwaltungsanweisungen sowie das Handeln der politisch Verantwortlichen betreffen (insbesondere die Fragen 28 ff.). Die Antwort der Bundesregierung steht derzeit noch aus und bleibt daher mit Spannung abzuwarten.
Zudem kommt der Diskussion Bedeutung für die laufende Erstellung der Jahresabschlüsse zu. Wurde bereits 2015 davon ausgegangen, dass eine Rückerstattung oder Anrechnung der in Abzug gebrachten Kapitalertragsteuer unwahrscheinlich war, wäre auf Grundlage des BMF-Schreibens vom 11.11.2016 und möglicherweise gerade aufgrund der OFD-Verfügung vom 18.11.2016, soweit es Transaktionen mit positiver Vorsteuerrendite betraf, eine Aktivierung einer Forderung gegenüber der Finanzverwaltung in Betracht gekommen.
Die Frage, ob Cum/Cum-Geschäfte überhaupt als missbräuchlich einzustufen sind, verlangt nach einer differenzierenden Antwort. Geht es um eine (politische) Gesamtwertung der in Rede stehenden Transaktionen, fehlt es der Diskussion oftmals an der Berücksichtigung eines Aspekts, der für die Wertung von Cum/Cum-Geschäften, die vor dem Inkrafttreten des § 8b Abs. 4 KStG am 1.3.2013 im Geltungsbereich der Europäischen Grundfreiheiten durchgeführt wurden, insofern von zentraler Bedeutung ist, als die Erhebung der in Rede stehenden Kapitalertragsteuer bis zum Februar 2013 selbst gegen die Europäischen Grundfreiheiten verstieß (EuGH-Urteil v. 20.10.2011, C-284/09). Sie war damit selbst (europa-)rechtswidrig. Es muss daher nach Ansicht der Autoren (auch politisch) ernstlich diskutiert werden, inwiefern die Vermeidung einer Kapitalertragsteuerbelastung und die Aufteilung der insoweit erzielten „Steuerersparnis“ zwischen den Transaktionsbeteiligten überhaupt als missbräuchlich angesehen werden kann, insoweit die Kapitalertragsteuerbelastung, die infolge der Transaktion vermieden wurde, nie hätte eintreten dürfen bzw. deren Erhebung selbst rechtswidrig war.
In Bezug auf das in der medialen Berichterstattung oftmals verzerrte Bild muss abschließend darauf hingewiesen werden, dass strikt zwischen den Cum/Cum-Geschäften und den Cum/Ex-Geschäften zu unterscheiden ist. Sie sind einander keinesfalls gleichzustellen.
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