Leitsatz (amtlich)
Hat eine Partei gegen ein erstinstanzliches Urteil Berufung (nur) zur Fristwahrung eingelegt und nimmt sie ihr Rechtsmittel, bevor sie es begründet hat, innerhalb der Begründungsfrist zurück, so kann die Gegenpartei die zweite Hälfte der anwaltlichen Prozessgebühr, die durch ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung entstanden ist, nicht gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattet verlangen (Fortführung von BGH, Beschl. v. 17.12.2002 - X ZB 9/02, BGHReport 2003, 412 = MDR 2003, 530 = NJW 2003, 756).
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Hechingen (Beschluss vom 07.12.2002) |
AG Hechingen |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Hechingen v. 7.12.2002 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 195,65 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihrer Klage haben die Klägerinnen die Wandelung eines Kaufvertrages über einen PKW begehrt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen Berufung eingelegt; zugleich hat ihr Prozessbevollmächtigter der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten mitgeteilt, dass die Berufung lediglich zur Fristwahrung eingelegt worden sei und deshalb noch keine Vertretungsanzeige beim Berufungsgericht erfolgen möge, bis entschieden sei, ob die Berufung durchgeführt werden solle. Hierauf antwortete die Anwältin der Beklagten, dass sie mit einer Legitimation beim LG Hechingen bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist abwarten werde.
Nachdem das LG auf Antrag der Klägerinnen die Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.10.2002 verlängert hatte, legitimierte sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten beim LG Hechingen für das Berufungsverfahren und stellte den Antrag, das angefochtene Urteil zu bestätigen. Am 16.10.2002 nahmen die Klägerinnen ihre Berufung, die sie bis dahin nicht begründet hatten, zurück.
Mit Beschl. v. 17.10.2002 hat das LG den Klägerinnen die Kosten ihrer Berufung auferlegt. Die Rechtspflegerin hat die der Beklagten zu erstattenden Kosten der Berufungsinstanz auf der Grundlage einer vollen 13/10-Prozessgebühr zzgl. Auslagenpauschale auf insgesamt 411,30 EUR festgesetzt. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerinnen hat das LG den Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert und die erstattungsfähigen Auslagen der Beklagten auf 215,65 EUR ermäßigt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Das LG hat zur Begründung ausgeführt: Die Frage, in welchem Umfang dem Berufungsbeklagten Kosten zu erstatten seien, wenn die Berufung zunächst nur fristwahrend eingelegt worden sei, die Gegenpartei aber dennoch einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung gestellt habe und das Rechtsmittel sodann, ohne dass es begründet worden sei, zurückgenommen werde, sei umstritten. Einigkeit bestehe zwar darin, dass der Berufungsbeklagte grundsätzlich berechtigt sei, sofort nach der Einlegung des Rechtsmittels einen Anwalt mit der Vertretung im Berufungsverfahren zu beauftragen. Strittig sei aber, ob er in einem Fall wie dem vorliegenden die volle Prozessgebühr von 13/10 erstattet verlangen könne oder ob es ihm zuzumuten sei, mit der Stellung eines Sachantrages zu warten, bis die Berufung begründet worden sei. Gehe man von Letzterem aus, sei lediglich die halbe Prozessgebühr (13/20) erstattungsfähig, weil die Entstehung der vollen Gebühr nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i. S. d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO gewesen sei. Dieser Auffassung sei zuzustimmen; denn der Berufungsgegner habe vor der Begründung des Rechtsmittels keinen Anlass, einen Sachantrag zu stellen. Ein solcher Antrag sei nicht geeignet, das Verfahren zu diesem Zeitpunkt zu fördern. Erst auf der Grundlage der Berufungsanträge und -begründung könne sich der Berufungsbeklagte überhaupt mit Inhalt und Umfang des Angriffs gegen das erstinstanzliche Urteil befassen. Dies gelte auch dann, wenn die Berufung zunächst nur zur Fristwahrung eingelegt und die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden sei.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Wie das LG zutreffend dargelegt hat, ist die Frage der Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühr umstritten, wenn - wie hier - der Berufungskläger das Rechtsmittel zunächst nur zur Fristwahrung einlegt, der Gegner einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung stellt und der Berufungsführer sodann das Rechtsmittel zurücknimmt, bevor er es begründet hat. Allerdings ist die Streitfrage durch den nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ergangenen Beschluss des BGH v. 17.12.2002 (BGH, Beschl. v. 17.12.2002 - X ZB 9/02, BGHReport 2003, 412 = MDR 2003, 530 = NJW 2003, 756) insoweit geklärt, als es grundsätzlich um die Erstattungsfähigkeit von Kosten des Berufungsbeklagten geht, der einen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beauftragt hat. Dort hat der BGH dargelegt, dass dem Berufungsbeklagten eine 13/20-Gebühr zu erstatten ist, wenn der Berufungskläger das Rechtsmittel (nur) zur Fristwahrung eingelegt und vor der Begründung innerhalb der Begründungsfrist wieder zurückgenommen hat; dieser Gebührenteil ist nicht Gegenstand der Beschwerde des Berufungsbeklagten, weil er bereits zu ihren Gunsten festgesetzt worden ist. Die weitere Frage, ob die volle Gebühr (13/10) erstattungsfähig ist, wenn ein Sachantrag gestellt wird, bevor feststeht, ob die Berufung tatsächlich durchgeführt wird, hat der BGH in der genannten Entscheidung ausdrücklich offen gelassen.
2. Zu Recht hat das LG mit der h. M. die Erstattungsfähigkeit der weiteren Gebührenhälfte verneint. Zutreffend stellt es darauf ab, dass bei einer nur zur Fristwahrung eingelegten Berufung ein die volle Prozessgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung der Berufung sachlich nicht gerechtfertigt ist, solange ein Berufungsantrag nicht gestellt und das Rechtsmittel nicht begründet worden ist. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Berufungsbeklagte sich inhaltlich mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Mit der "voreiligen" Stellung des Zurückweisungsantrages verstößt der Berufungsbeklagte gegen die ihm auf Grund des Prozessrechtsverhältnisses obliegende Verpflichtung, die Kosten möglichst niedrig zu halten (vgl. dazu BVerfG v. 30.1.1990 - 2 BvR 1085/89, NJW 1990, 3072 [3073]). Soweit durch einen solchen vorzeitigen Sachantrag (auf Zurückweisung der Berufung) die volle 13/10-Gebühr entstanden ist, kann der Berufungsbeklagte daher nicht gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO eine Erstattung hinsichtlich der zweiten Hälfte der Gebühr verlangen (ebenso z. B. OLG Braunschweig v. 26.5.1997 - 2 W 83/97, OLGReport Braunschweig 1997, 169 = MDR 1997, 981; OLG Hamburg JurBüro 1997, 141; JurBüro 1997, 142; OLG Jena v. 20.2.2001 - 3 W 667/00, MDR 2001, 896; OLG Karlsruhe v. 28.4.1999 - 3 W 40/99, NJW-RR 2000, 512; OLG Koblenz v. 6.12.1994 - 14 W 687/94, MDR 1995, 968; OLG Köln v. 15.9.1997 - 17 W 243/97, OLGReport Köln 1997, 323 = FamRZ 1998, 841; OLG München JurBüro 1994, 93; OLG Naumburg JurBüro 1997, 484; Musielak/Wolst, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rz. 14 - 16; Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 91 Rz. 21; Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 91 Rz. 13, Stichwort "Berufung").
Fundstellen
BB 2003, 1754 |
NJW 2003, 2992 |
BGHR 2003, 1115 |
FamRZ 2003, 1461 |
JurBüro 2003, 595 |
ZAP 2003, 1048 |
MDR 2003, 1140 |
Rpfleger 2003, 619 |
BRAGOreport 2003, 202 |
RENOpraxis 2004, 8 |
SVR 2004, 36 |
BRAK-Mitt. 2003, 283 |
KammerForum 2003, 405 |
ProzRB 2003, 286 |