Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 05.01.2022; Aktenzeichen 39 T 99/21) |
AG Leverkusen (Entscheidung vom 23.07.2021; Aktenzeichen 17 XIV (B) 21/21) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen wird unter Aufhebung des Beschlusses der 39. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 5. Januar 2022 festgestellt, dass der Vollzug der durch den Beschluss des Amtsgerichts Leverkusen vom 23. Juli 2021 angeordneten Haft den Betroffenen im Zeitraum vom 30. Juli 2021 bis zum 31. August 2021 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Person des Vertrauens des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt L. auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe
Rz. 1
I. Der Betroffene, ein russischer Staatsbürger, reiste am 16. Februar 2018 erstmals in das Bundesgebiet ein, nachdem er sich zuvor in Polen aufgehalten hatte, wo ein Asylantrag jedoch erfolglos geblieben war. Er stellte am 23. Februar 2018 in Deutschland einen Asylantrag, der am 12. März 2018 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: "Bundesamt") als unzulässig abgelehnt wurde. Zugleich wurde die Abschiebung nach Polen angeordnet. Mehrere Überstellungsversuche nach Polen scheiterten. Nach Ablauf der Überstellungsfrist ging das Asylverfahren in das nationale Verfahren über. Der Asylantrag (Zweitantrag) des Betroffenen wurde durch das Bundesamt am 13. Dezember 2019 als unzulässig abgelehnt. Zugleich wurde dem Betroffenen eine Ausreisefrist gesetzt und für den Fall der Nichteinhaltung seine Abschiebung in die Russische Föderation angedroht. Ferner wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für 36 Monate angeordnet. Der Betroffene erhob gegen den Bescheid Klage und reichte einen Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ein, der vom Verwaltungsgericht Köln mit Beschluss vom 10. Januar 2020 unanfechtbar abgelehnt wurde.
Rz. 2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. Juli 2021 gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 1. September 2021 angeordnet.
Rz. 3
Mit Schreiben vom 30. Juli 2021 hat F. G. gegenüber dem Gericht mitgeteilt, dass er eine Person des Vertrauens des Betroffenen (Vertrauensperson) sei, und beantragt, die Sicherungshaft aufzuheben sowie für den Fall der Haftentlassung das Verfahren als Feststellungsverfahren fortzusetzen.
Rz. 4
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 24. August 2021 den Antrag auf Haftaufhebung abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Vertrauensperson hat das Landgericht am 5. Januar 2022 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Vertrauensperson nach der Abschiebung des Betroffenen am 31. August 2021 den Beschluss des Landgerichts aufzuheben, soweit er den Haftzeitraum ab dem 30. Juli 2021 betrifft, und festzustellen, dass die Freiheitsentziehung den Betroffenen ab dem 30. Juli 2021 in seinen Rechten verletzt hat.
Rz. 5
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Rz. 6
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Haftantrag der beteiligten Behörde sei ausreichend begründet. Auch zur Dauer der Freiheitsentziehung und zur Durchführbarkeit der Abschiebung sei hinreichend vorgetragen worden. Ausführungen zur Möglichkeit einer früheren Flugbuchung seien ausnahmsweise entbehrlich gewesen, da für eine Flugbuchung mit Sicherheitsbegleitung ein organisatorischer Aufwand von sechs Wochen ohne weiteres angemessen sei. Dass die Behörde eine Sicherheitsbegleitung für erforderlich hielt, erschließe sich noch ausreichend aus den Darlegungen zu den strafrechtlichen Auffälligkeiten des Betroffenen und ergebe sich ferner aus der beigezogenen Ausländerakte. Das Amtsgericht habe nicht verfahrensfehlerhaft versäumt, einen Rechtsanwalt beizuziehen. Die bloße Äußerung des Betroffenen, er habe einen Rechtsanwalt, habe eine solche Verpflichtung nicht begründet.
Rz. 7
2. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Der Haftantrag der beteiligten Behörde war unzulässig.
Rz. 9
aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft oder - wie hier - der beantragte Ausreisegewahrsam nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 28. Februar 2023 - XIII ZB 5/22, juris Rn. 8).
Rz. 10
bb) Diesen Anforderungen wurde der Antrag der beteiligten Behörde nicht gerecht. Es fehlte an ausreichenden Angaben zur erforderlichen Haftdauer. Die beteiligte Behörde hat in dem Haftantrag vom 23. Juli 2021 ausgeführt, eine Abschiebung nach Russland sei nach den Erfahrungen der Ausländerbehörde und nach Auskunft des Behördenportals "ZAIPORT" innerhalb von drei Monaten möglich. Es sei bereits ein Flug für den 31. August 2021 gebucht worden. Ein gültiger Reisepass liege vor. Das reicht nicht aus. Zwischen dem Antrag und dem gebuchten Flug lagen mehr als fünf Wochen. Es wurde nicht konkret dargelegt, warum keine frühere Flugbuchung möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 - XIII ZA 1/22, juris Rn. 3). Das erschließt sich auch nicht aus der pauschalen Angabe, Abschiebungen nach Russland seien erfahrungsgemäß binnen drei Monaten möglich.
Rz. 11
cc) Entsprechende Angaben waren entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht deshalb entbehrlich, weil der Flug mit einer Sicherheitsbegleitung durchgeführt wurde. Zwar bedarf es bei einem Flug mit Sicherheitsbegleitung grundsätzlich keiner näheren Erläuterung, wenn - wie hier - ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Wochen für die Durchführung der Abschiebung veranschlagt wird (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11; vom 24. Juni 2020 - XIII ZB 39/19, juris Rn. 11). Der Haftantrag vom 23. Juli 2021 ließ jedoch nicht erkennen, dass eine Sicherheitsbegleitung geplant war. Entgegen der Ansicht des Landgerichts erschloss sich dies auch nicht aus den Umständen. Zwar geht aus dem Haftantrag hervor, dass der Betroffene in verschiedenen europäischen Ländern Asylanträge gestellt hat, mehrfach untergetaucht ist und seinen Ankündigungen, freiwillig auszureisen, keine Taten folgen ließ. Auch wurde dargelegt, dass er in einer Unterkunft wegen eines Angriffs auf einen Bewohner und wegen eines Streits aktenkundig geworden ist. Derartige Umstände können eine Sicherheitsbegleitung zwar objektiv erforderlich erscheinen lassen. Ob die Behörde eine Sicherheitsbegleitung aber tatsächlich vorgesehen hat, erschließt sich daraus nicht. Nähere Angaben zu der beantragten Haftdauer waren daher nicht entbehrlich.
Rz. 12
dd) Der Mangel ist auch nicht durch ergänzende Feststellungen des Amtsgerichts oder des Beschwerdegerichts geheilt worden.
Rz. 13
(1) Das Beschwerdegericht hat festgestellt, aus der Ausländerakte ergebe sich, dass die Behörde eine Sicherheitsbegleitung für erforderlich hielt. Es sei für den 31. August 2021 eine Flugbuchung mit Sicherheitsbegleitung erfolgt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht dieses Dokument bei seiner Entscheidung berücksichtigt und dass es den Betroffenen dazu angehört hat. Aus dem Protokoll der Verhandlung vom 23. Juli 2021 geht lediglich hervor, dass die beteiligte Behörde die Ausländerakte mitgebracht hat und diese eingesehen wurde. Die Ausländerakte umfasst mehrere hundert Seiten. Es ist nicht erkennbar, dass gerade die beabsichtigte Sicherheitsbegleitung Gegenstand der Anhörung des Betroffenen war. Das wäre jedoch erforderlich gewesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 38/19, juris Rn. 13; vom 22. Februar 2022 - XIII ZA 1/22, juris Rn. 5).
Rz. 14
(2) Durch das Beschwerdegericht konnte der Mangel nicht mehr geheilt werden. Mängel des Haftantrages können nur mit Wirkung für die Zukunft geheilt werden, wobei die Heilung erst mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts eintritt, vorliegend also am 5. Januar 2022 (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 6 ff.; vom 22. August 2019 - V ZB 179/17, juris Rn. 21; vom 22. Februar 2022 - XIII ZA 1/22, juris Rn. 5). Der Betroffene wurde bereits vor Eingang der Akten beim Beschwerdegericht abgeschoben. Die Haft endete am 31. August 2021.
Rz. 15
b) Es kann danach dahinstehen, ob das Amtsgericht den Betroffenen auch in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt hat, weil es nicht ausreichend aufgeklärt haben soll, ob der Betroffene anwaltlichen Beistand wünscht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).
Rz. 16
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann damit keinen Bestand haben. Der Senat hat nach § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst zu entscheiden, da sie entscheidungsreif ist. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15705758 |