Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; UWG §§ 9-10; ZPO § 544 Abs. 9
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 18.05.2021; Aktenzeichen I-20 U 63/19) |
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.06.2019; Aktenzeichen 37 O 24/18 (EnW)) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Mai 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Gerichtskosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf insgesamt 50.000 € und für den zurückgewiesenen Teil des Beschwerdeverfahrens auf 25.000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin ist ein in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener, rechtsfähiger Verbraucherschutzverein. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiger Strom- und Gaslieferant, der Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung mit Strom und Gas beliefert und im Frühjahr 2014 ihre Gas- und Stromkunden per E-Mail über Preiserhöhungen informierte. Die Klägerin hält diese Preiserhöhungen für intransparent und mahnte die Beklagte erfolglos ab. Auf die daraufhin erhobene Klage verurteilte das Landgericht die Beklagte zur Unterlassung (LG Düsseldorf, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 12 O 177/14, juris). Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2017, 111).
Rz. 2
Mit Schreiben vom 28. Juli 2017 hat die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Auskunftserteilung zwecks Berechnung eines Anspruchs auf Gewinnherausgabe nach § 10 Abs. 1 UWG aufgefordert und im Anschluss Stufenklage erhoben, mit der sie auf der ersten Stufe Auskunft und Rechnungslegung beantragt hat. Sie hat unter anderem beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
1.2 der Klägerin für den Auskunftszeitraum ab 28. September 2014 Rechnung zu legen und ihr in monatlich nach Kalendermonaten aufgeschlüsselter und chronologisch geordneter und übersichtlicher Aufstellung insbesondere mitzuteilen,
...
d) welche Ausgaben in welcher Höhe bei der Beklagten aufgeschlüsselt nach Kalendermonaten in den nach Ziff. 1.2 lit. a) anzugebenen Zeiträumen im Zusammenhang mit der Vereinnahmung der erhöhten Strom- oder Gasentgelte bei den nach Ziff. 1.2 lit. b) anzugebenen Verbrauchern angefallen sind, insbesondere mit Angaben zu den Gestehungskosten, Einkaufspreisen, Umsatzsteuer und sonstigen variablen Betriebskosten (Material-, Werbe-, Lohnkosten usw.), soweit solche Ausgaben und Kosten nicht auch ohne die Zuwiderhandlung angefallen wären,...
Rz. 3
Das Landgericht hat der Klage mit Teilurteil vollumfänglich stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Klageantrag 1.2 Buchst. d abgewiesen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Mai 2021 - 20 U 63/19, juris).
Rz. 4
II. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg (dazu II 1). Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen (dazu II 2).
Rz. 5
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, soweit darin zu ihrem Nachteil erkannt worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.
Rz. 6
a) Das Berufungsgericht hat die Teilabweisung damit begründet, die Klägerin könne die Auskunft und Rechnungslegung nicht im beantragten Umfang verlangen. Soweit sie Angaben zu den Ausgaben der Beklagten im Zusammenhang mit der Vereinnahmung der erhöhten Strom- oder Gasentgelte begehre (Antrag Ziffer 1.2 Buchst. d), seien diese Angaben für die Berechnung des abzuschöpfenden Gewinns nicht erforderlich.
Rz. 7
b) Mit dieser Beurteilung hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Rz. 8
aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Damit in engem Zusammenhang steht das ebenfalls aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Verbot von "Überraschungsentscheidungen". Von einer solchen ist auszugehen, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen Hinweis des Gerichts auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 2 BvR 633/16, juris Rn. 24 mwN). Die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt dabei auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen Partei darauf, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrags erforderlich sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70 [juris Rn. 5] mwN).
Rz. 9
bb) Danach hat das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der Klägerin durch die Teilabweisung ihrer Auskunftsklage verletzt. Dem Auskunftsantrag der Klägerin war in erster Instanz vollumfänglich stattgegeben worden. Sie durfte deshalb darauf vertrauen, rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, sollte das Berufungsgericht dem Landgericht in dieser rechtlichen Bewertung nicht folgen wollen. Dass das Berufungsgericht einen solchen Hinweis erteilt hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere findet sich im Protokoll der mündlichen Verhandlung kein Hinweis. Dem Vortrag der Beklagten konnte die Klägerin entsprechende Bedenken ebenfalls nicht entnehmen. Die Beklagte hat die beantragte Auskunft in zweiter Instanz zwar insgesamt als zu umfangreich beanstandet. Die gemäß Klageantrag 1.2. Buchst. d verlangte Auskunft hat sie aber nur unter dem Gesichtspunkt angegriffen, es handele sich dabei um Geschäftsgeheimnisse. Die Klägerin musste danach nicht damit rechnen, dass das Berufungsgericht die beantragte Auskunft teilweise als zur Berechnung des Anspruchs aus § 10 Abs. 1 UWG nicht erforderlich ansehen würde.
Rz. 10
cc) Auf diesem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG beruht die angegriffene Entscheidung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn es den nach einem entsprechenden Hinweis gehaltenen Vortrag der Klägerin berücksichtigt hätte. Die Klägerin hat insoweit ausgeführt, sie benötige die mit dem Klageantrag 1.2. Buchst. d begehrten Angaben zwingend, um bei der Berechnung des Gewinnabschöpfungsanspruchs diejenigen Ausgaben und Kosten der Beklagten als Negativposten berücksichtigen zu können, die in Bezug auf die von den unlauteren Preisanpassungsmitteilungen betroffenen Kunden in den maßgeblichen Zeiträumen nicht ohnehin angefallen wären.
Rz. 11
2. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt dagegen ohne Erfolg. Sie ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache insoweit keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten aufgeworfenen datenschutzrechtlichen Fragen sind durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. September 2019 geklärt (BGH, Beschluss vom 24. September 2019 - VI ZB 39/18, BGHZ 223, 168 [juris Rn. 33 bis 43]). Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs vom 2. April 2020 (EuGH, Urteil vom 2. April 2020 - C-765/18, RIW 2020, 370 - Stadtwerke Neuwied/RI) für erforderlich hält, fehlt es an Ausführungen dazu und ist auch nicht ersichtlich, weshalb diese Entscheidung, die - anders als der Streitfall - einen Grundversorgungsvertrag betraf, Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen sein sollte. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Rz. 12
III. Die Entscheidung über die Gerichtskosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, die nur insoweit anfallen, als die Beschwerde zurückgewiesen worden ist (Nr. 1242 KV GKG), beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Rz. 13
IV. Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist in Übereinstimmung mit dem vom Berufungsgericht festgesetzten Streitwert nach § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO auf 50.000 € festzusetzen.
Rz. 14
1. Der Streitwert ist vom Gericht gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen. Er bestimmt sich im Rechtsmittelverfahren nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung des angefochtenen Urteils (vgl. MünchKomm.ZPO/Krüger, 6. Aufl., § 542 Rn. 20). Wird bei einer Stufenklage - wie hier - eine Verurteilung zur Auskunft ausgesprochen, so ist für die Bemessung der Beschwer, die auch den Gebührenstreitwert bestimmt (vgl. Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., Anh. § 3 Rn. 85), das Interesse der Rechtsmittelführerin maßgebend, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dieses Interesse bemisst sich nach dem voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten, der mit der Erteilung der Auskunft verbunden ist, sowie nach einem etwaigen Geheimhaltungsinteresse der zur Auskunft verurteilten Partei (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2016 - XI ZR 305/14, NJW 2017, 739 [juris Rn. 4]). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen, das den Aufwand der Beklagten zur Erfüllung der Auskunftsverpflichtung bei der Festsetzung des Streitwerts auf 50.000 € ausdrücklich berücksichtigt hat.
Rz. 15
2. Soweit die Beklagte mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erstmals zu einem angeblichen Aufwand für die Auskunftserteilung in Höhe von über 6 Mio. € vorträgt, kann sie damit eine Erhöhung des Streitwerts des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht erreichen.
Rz. 16
a) Einem Beschwerdeführer, der nicht glaubhaft gemacht hat, dass bereits in den Vorinstanzen vorgebrachte Umstände, die die Festsetzung eines höheren Streitwerts - und einer entsprechend höheren Beschwer - rechtfertigen, nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig verwehrt, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf neue Angaben zu berufen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2015 - IX ZR 205/14, juris Rn. 4; Beschluss vom 30. April 2020 - VII ZR 151/19, NJW-RR 2020, 1258 [juris Rn. 9]; Beschluss vom 16. Dezember 2021 - IX ZR 259/20, juris Rn. 8; zur Unterlassungsklage vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020 - I ZR 205/19, juris Rn. 7; Beschluss vom 15. April 2021 - I ZR 23/20, MMR 2021, 812 [juris Rn. 5]).
Rz. 17
b) Danach hätte die Beklagte, die schon in erster Instanz vollumfänglich zur Auskunft verurteilt worden war, bereits im Berufungsverfahren auf einen höheren Streitwert hinweisen und entsprechende Umstände glaubhaft machen müssen. Dass sie solchen Vortrag gehalten, das Berufungsgericht diesen aber übergangen hätte, macht die Beklagte nicht geltend. Ebenso wenig beruft sie sich darauf, der Streitwert habe sich zwischen dem Schluss der Berufungsverhandlung und dem Zeitpunkt der Einreichung des Rechtsmittels geändert (vgl. § 40 ZPO; Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., § 47 GKG Rn. 22).
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